Formunwirksame Vermächtnisse und Schenkungsversprechen als abzugsfähige Nachlassverbindlichkeiten
Kernaussage
Formunwirksame Schenkungsversprechen sind als Erblasserschuld abzugsfähig, wenn der Erbe diese unter Anerkennung und Beachtung des Erblasserwillens erfüllt und den Nachweis eines entsprechenden Erblasserwillens führen kann.
Sachverhalt
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob vom Kläger geltend gemachten Zahlungen auf Anordnung der Erblasserin erfolgten und daher als Nachlassverbindlichkeiten im Sinne des § 10 Abs. 5 ErbStG bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer zu berücksichtigen sind.
Der Kläger ist aufgrund eines privatschriftlichen Testaments vom … Alleinerbe der am … verstorbenen A (Erblasserin). Im Rahmen seiner Erbschaftsteuererklärung machte der Kläger als Nachlassverbindlichkeiten Zahlungen an Frau B und Frau C als Nachlassverbindlichkeiten geltend. Das Finanzamt (FA) setzte gegenüber dem Kläger Erbschaftsteuer fest, ohne die geltend gemachten Zahlungen bereicherungsmindernd zu berücksichtigt. In den Erläuterungen des Bescheids heißt es hierzu: „In dem mir vorliegenden Testament vom … hat die Erblasserin Sie als Alleinerbe eingesetzt und keine Vermächtnisse ausgesprochen. Vermächtnisse, d.h. die durch Testament (§ 1939 BGB) oder Erbvertrag (§ 1941 BGB) verfügten Zuwendungen von einzelnen Vermögensvorteilen sind zivilrechtlich nur wirksam. wenn sie den gesetzlichen Formerfordernissen entsprechen. Ein nur mündlich verfügtes Vermächtnis ist nichtig (§ 125 BGB).“
Mit seinem Einspruch wandte sich der Kläger u.a. gegen die Nichtberücksichtigung der Zahlungen als Nachlassverbindlichkeiten. Zur Begründung trug er vor, die Erblasserin habe hochbetagt und körperlich stark eingeschränkt, aber geistig klar in einem Seniorenstift gewohnt. Über Kontakte habe sie nur im ganz geringen Umfang verfügt; er selbst sei in den letzten Jahren wohl ihr einziger Besucher gewesen. Anlässlich seines Besuchs am … habe sie ihm aufgegeben, jeweils … € an die Geschwister B/C, die Enkelinnen des Klägers, auszuzahlen. Nachdem dies nicht geschehen sei, habe sie diesen Auftrag am … wiederholt. Die Ausführung des Auftrags habe er aber bis zum Tod der Erblasserin zurückgestellt. Zwar sei er bevollmächtigt gewesen, Geldabhebung vom Konto der Erblasserin vorzunehmen. Da das Vermögen der Erblasserin während ihres Heimaufenthaltes jedoch stetig abgenommen habe, habe er sich aber verpflichtet gefühlt, finanzielle Sorge dafür zu tragen, dass die Mittel der Erblasserin bis zu ihrem Lebensende reichten. Zu diesem Zeitpunkt habe er zudem keine Kenntnis gehabt, dass er die Erblasserin beerben würde. Ihm sei lediglich ein früheres Testament der Erblasserin bekannt gewesen, durch das sie ihre Großnichten als Erben und ihn als Testamentsvollstrecker eingesetzt habe. Aus seiner Sicht seien die Anweisungen, seinen Enkelinnen je … € zukommen zu lassen, Schenkungsversprechen gewesen, die er auch nach dem Tod der Erblasserin sicher habe ausführen können, da er – seiner damaligen Kenntnis nach - zum Testamentsvollstecker bestimmt worden sei und dieses Amt – bis zum späteren Auffinden des Testaments vom … - auch innegehabt habe. Gleichzeitig sei er der Ansicht gewesen, dass die Großnichten der Erblasserin, als seiner Kenntnis nach eingesetzten Erbinnen, nach dem Tod der Erblasserin früheren Vermögensübertragung hätten zustimmen müssen. Dem Verlangen der Erblasserin sei er (der Kläger) schließlich durch Überweisung der Geldbeträge im März … nachgekommen. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass auch formunwirksame Schenkungsversprechen und Vermächtnisse der Besteuerung zugrunde zu legen seien, wenn diese - wie im Streitfall geschehen - tatsächlich durchgeführt worden seien. Zum Nachweis der tatsächlichen Durchführung verwies der Kläger auf die der Erbschaftsteuererklärung in Kopie beiliegenden Kontoauszüge der Bank.
Dem Einspruch gab das FA - aus anderen, im vorliegenden Verfahren nicht streitigen Gründen - teilweise statt und im Übrigen wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben.
Entscheidung
Die Klage ist unbegründet. Der streitige Erbschaftsteuerbescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Die geltend gemachten Zahlungen sind nicht als Nachlassverbindlichkeiten im Sinne des § 10 Abs. 5 ErbStG im Rahmen der Erbschaftsteuerfestsetzung zu berücksichtigen. Weder liegen zu berücksichtigende mündliche Vermächtnisse vor, noch konnte das Gericht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens die Überzeugung gewinnen, dass es sich bei den Zahlungen an die Enkelinnen des Klägers um die Erfüllung von Erblasserschulden handelt.
Gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG sind u.a. Verbindlichkeiten aus Vermächtnissen als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig. Im Streitfall sind die hinsichtlich der streitgegenständlichen Zahlungen die zivilrechtlichen Voraussetzungen von Vermächtnissen unstreitig nicht gegeben. In ihrem formell-ordnungsgemäßen Testament hat die Erblasserin die Enkelinnen des Klägers nicht mit einem entsprechenden Vermögensvorteil bedacht (vgl. §§ 1939, 2231 BGB).
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, der sich das Gericht anschließt, sind als Nachlassverbindlichkeiten im Sinne des § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG aber auch sogenannte „mündliche Vermächtnisse“ zu berücksichtigen. Für Zwecke der Erbschaftsteuer wird hierbei das wirtschaftliche Ergebnis eines Vollzugs berücksichtigt, wenn eine Verfügung des Erblassers von Todes wegen ausgeführt wird, obwohl sie unwirksam ist, und die Ausführung der Verfügung auf der Beachtung des erblasserischen Willens beruht, den Begünstigter und Belasteter anerkennen. Nach dieser auf § 41 Abs. 1 Satz 1 AO gestützten Rechtsprechung setzt die erbschaftsteuerrechtliche Beachtung unwirksamer Verfügungen von Todes wegen zweierlei voraus: Zum einen muss eine - wenn auch den formellen Wirksamkeitsvoraussetzungen eines Testaments nicht genügende - Anordnung des Erblassers vorliegen, die dieser in Hinblick auf seinen Tod getroffen hat. Zum anderen muss die von den an dem Erbfall Beteiligten getroffene Regelung auf Grund der Anordnung des Erblassers ausgeführt worden sein. Nur in diesem Fall haben die Bereicherung des Begünstigten und die Verminderung der Bereicherung des Beschwerten ihre Wurzeln im erblasserischen Willen.
Im Streitfall folgt bereits aus dem Vortrag des Klägers, dass keine „mündlichen Vermächtnisse“ vorliegen, da es an einer Anordnung der Erblasserin „von Todes wegen“ fehlt. Ein Vermächtnis ist eine Einzelzuwendung eines Vermögensvorteils von Todes wegen. Die Zuwendung durch Vermächtnis begründet mit dem Erbfall ein (schuldrechtliches) Forderungsrecht gegenüber dem Beschwerten auf Erfüllung des Vermögensvorteils. Ein solches Ansinnen der Erblasserin wird vom Kläger jedoch im Streitfall nicht vorgebracht. Vielmehr trägt der Kläger vor, die Erblasserin habe ihm aufgegeben, bereits zu ihren Lebzeiten seinen beiden Enkelinnen jeweils … € auszuzahlen. Er habe diese Anweisung lediglich zurückgestellt, um das finanzielle Auskommen der Erblasserin zu Lebzeiten zu sichern. Seinem Vortrag ist somit nicht zu entnehmen, dass die Erblasserin von Todes wegen einen Vermögensvorteil zuwenden wollte. Vielmehr bringt der Kläger vor, die Erblasserin habe noch zu ihren Lebzeiten seine Enkelinnen aus ihrem Vermögen bereichern wollen (vgl. § 516 BGB) bzw. habe sich zu einer solchen Bereicherung ihm gegenüber verpflichtet (vgl. § 328 BGB). Lediglich der Vollzug bzw. die Erfüllung der schuldrechtlichen Verpflichtung habe noch ausgestanden. Dies stellt aber keine Vermächtnisanordnung dar.
Gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sind als Nachlassverbindlichkeiten zudem die vom Erblasser herrührenden Schulden zu berücksichtigen, wenn sie nicht im wirtschaftlichen Zusammenhang zu einem gesondert zu bewertenden Gewerbebetrieb oder land- und fortwirtschaftlichen Betrieb stehen.
Bei diesen sogenannten Erblasserschulden handelt es sich um Verbindlichkeiten, die noch zu Lebzeiten in der Person des Erblassers begründet wurden und im Zeitpunkt des Todes des Erblassers noch bestanden und den Erben wirtschaftlich belasten. Unter Berücksichtigung der Grundsätze des § 41 Abs. 1 Satz 1 AO können hierunter auch formunwirksame Schenkungsversprechen des Erblassers fallen, wenn der Erbe diese unter Anerkennung und Beachtung des Erblasserwillens erfüllt. Wie bei mündlichen Vermächtnissen erfordert die (gerichtliche) Anerkennung eines solchen Verpflichtung als Nachlassverbindlichkeit die Überzeugung des Gerichts, dass die Erblasserin zu ihren Lebzeiten eine entsprechende Äußerung abgegeben hat und die geleisteten Zahlungen auf dieser Äußerung beruhen.
Im Streitfall konnte das Gericht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens nicht die Überzeugung gewinnen, dass die erfolgten Zahlungen auf entsprechenden Äußerungen der Erblasserin zu ihren Lebzeiten beruhen. Die Unerweislichkeit der mündlichen Erklärung der Erblasserin führt zu einer Entscheidung unter Berücksichtigung der Beweis- bzw. Feststellungslast, die vorliegenden den Kläger trifft, als denjenigen, der die Nachlassverbindlichkeit bereicherungsmindernd geltend macht.
Im Steuerverfahren ist der streitgegenständliche Sachverhalt durch die Finanzbehörde und das Finanzgericht von Amts wegen unter Mithilfe der Beteiligten zu erforschen. Der Kläger hat angegeben, aufgrund der Lebenssituation der Erblasserin sei bei den mündlich abgegebenen Äußerungen nur er selbst zugegen gewesen. Zeugen für das Vorliegen der mündlichen Anordnung könne er daher nicht benennen und auch keine anderen Nachweise hierfür vorlegen.
Allein aus dem tatsächlichen Vorbringen des Klägers vermag das Gericht aber seine - für die Urteilsfindung maßgebende - richterliche Überzeugung vom Vorliegen der im Streitfall erforderlichen Tatsachen, nämlich der mündlichen Anordnungen der Erblasserin, nicht zu bilden. Denn dies erfordert zwar weniger als Gewissheit, aber mehr als nur ein überwiegender Grad von Wahrscheinlichkeit, nämlich ein so hoher Grad von Wahrscheinlichkeit, dass er nach der Lebenserfahrung praktisch der Gewissheit gleichkommt. Demzufolge ist ein Sachverhalt nach der Grundregel des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO als erwiesen anzusehen, wenn er sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt. Dem folgend fordert die höchstrichterliche Rechtsprechung beispielsweise für die Anerkennung des Werbungskostenabzugs, dass sich die Finanzgerichte in der Regel nicht allein auf die Darstellung des Steuerpflichtigen stützten, wenn es an entsprechenden Nachweisen für dessen Sachvortrag fehle. Vielmehr habe der Steuerpflichtige die berufliche Veranlassung der Aufwendungen im Einzelnen umfassend darzulegen und nachzuweisen. Einen solchen Nachweis konnte der Kläger im Streitfall nicht erbringen.
Entgegen der Ansicht des Klägers folgt aus der Feststellung der fehlenden Erweislichkeit seines Vortrags weder die Unterstellung eines Gestaltungsmissbrauchs noch die zwingende Folge, er habe sein gerichtliches Vorbringen „erfunden“. Die „Beweislosigkeit“ stellt sich weder als Verstoß gegen Pflichten noch als Obliegenheitsverstoß dar, sondern zieht eine nach allgemeine Regeln zu treffende Entscheidung nach sich, welcher Beteiligte die Folgen dafür zu tragen hat, dass das Gericht die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht treffen kann. Diese Entscheidung folgt auch im vorliegenden Fall der Regel, dass jeder Beteiligte die Feststellungslast für das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen derjenigen Normen trägt, ohne deren Anwendung sein Prozessbegehren keinen Erfolg haben wird. Dies ist vorliegend der Kläger, da er die Berücksichtigung von steuermindernden Aufwendungen nach § 10 Abs. 5 ErbStG begehrt.
Fundstelle
FG Hessen Urt. v. 18.5.2022 – 10 K 1940/17, rkr