Wie genau muss ein Nachlassverzeichnis sein?
Nachlassverzeichnis muss vollständig sein
Ein Nachlassverzeichnis ist eine ausführliche Auflistung der Vermögenswerte und Schulden eines Verstorbenen (z.B. in dessen Eigentum stehende Fahrzeuge, Grundstücke, Schmuck, Möbel, Bargeld, Bankguthaben/-schulden und Finanzanlagen). Wenn pflichtteilsberechtigte Personen, wie der Ehegatte oder die Kinder, vom Verstorbenen enterbt wurden, haben diese per Gesetz (§ 2314 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) einen Anspruch gegen die Erben auf Erstellung eines Nachlassverzeichnisses, das den gesamten pflichtteilsrelevanten Nachlass vollständig wiedergibt. Dabei besteht die Besonderheit, dass hier auch alle Schenkungen des Erblassers zu seinen Lebzeiten innerhalb der letzten zehn Jahre vor seinem Tod aufgeführt werden müssen. Auf Verlangen des Pflichtteilsberechtigten muss das Verzeichnis von einem Notar erstellt werden. Dieser Anspruch kann bei unvollständiger Erfüllung sogar mit Zwangsgeld durchgesetzt werden. Das Frankfurter Oberlandesgericht (OLG) musste sich Ende 2023 ausführlich mit der Frage auseinandersetzen, wie umfangreich ein solches notarielles Nachlassverzeichnis genau sein muss und welchen Mindestinhalt es haben soll.
Was tun, wenn im Nachlassverzeichnis etwas „fehlt“?
Eine Erbin war gerichtlich verurteilt worden, Auskunft über den Bestand des Nachlasses durch Vorlage eines notariellen Bestandsverzeichnisses zu erteilen, dort sämtliche Werte der Nachlassgegenstände anzugeben und ein Sachverständigengutachten über den Wert des dazugehörigen Grundvermögens vorzulegen. Sechs Monate lang geschah nichts. Als die Pflichtteilsberechtigte erfolgreich die Festsetzung eines Zwangsgelds beantragte, erklärte die Erbin, der „faule“ Notar sei schuld; er habe auf telefonische Erinnerungen nicht reagiert. Der daraufhin endlich übermittelte Entwurf eines notariellen Nachlassverzeichnisses war zum Leidwesen der Pflichtteilsberechtigten auch noch unvollständig: Es fehlte das neutrale Sachverständigengutachten zum Wert des Grundbesitzes. Schließlich landete die Sache beim OLG Frankfurt.
Grundsätze für die Errichtung eines Nachlassverzeichnisses
Die Richter:innen gaben der Pflichtteilsberechtigten recht, das Zwangsgeld blieb bestehen. Gleichzeitig präzisierten sie noch einmal die Mindestanforderungen an ein notarielles Nachlassverzeichnis und hoben hervor, dass der gesetzliche Auskunftsanspruch nur erfüllt ist, wenn der Notar den Nachlassbestand selbst und eigenständig ermittelt und sich mittels Bestätigung verantwortlich für den Inhalt erklärt. Ferner trifft den Notar eine Überprüfungspflicht der Angaben des Auskunftspflichtigen; hierbei darf er sich nicht auf eine reine Plausibilitätskontrolle beschränken, sondern muss diejenigen Nachforschungen anstellen, die ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich halten würde. Konkret muss er z.B. selbst Einsicht in die Kontounterlagen nehmen und prüfen, ob Anhaltspunkte für ergänzungsrelevante Zuwendungen vorliegen, die der Verstorbene innerhalb der letzten zehn Jahre seines Lebens an dritte Personen gemacht hat und die gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten ausgleichspflichtig sind. Ganz wichtig war den Richter:innen, dass das Nachlassverzeichnis vollständig sein muss. Zwar sind minimale Unvollständigkeiten hinzunehmen, ein Anspruch auf Ergänzung des Verzeichnisses besteht aber jedenfalls dann, wenn bestimmte Positionen gar nicht bzw. ohne Wertangabe aufgeführt sind.
Was muss der Notar konkret tun?
Aus der Entscheidung wird deutlich, dass der mit der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses beauftragte Notar seine Pflicht nicht allein vom eigenen Schreibtisch aus erfüllen kann. Er muss zumindest ein zum Nachlass gehörendes Grundstück selbst in Augenschein nehmen, die Einrichtung des Wohnhauses des Erblassers nebst Wertgegenständen und Fahrzeugen besichtigen und sich auch einen gegebenenfalls vorhandenen Safe öffnen lassen. Ferner muss er, falls verlangt, ein neutrales Gutachten über den Grundstückswert erstellen lassen. Tut er das nicht, muss sich dafür der Erbe gegenüber dem Pflichtteilsberechtigten verantworten, es sei denn, er kann beweisen, dass er „alles getan“ hat, um den Notar zur Erfüllung seiner Pflicht zu bewegen.
Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 6.10.2023 – 14 W 41/23