Ländererlass zum 90 %-Test bei der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer
Hintergrund und Bedenken des Bundesfinanzhofs
Der sogenannte 90 %-Test ist die Eingangshürde der erbschaft- und schenkungsteuerlichen Befreiungen für Unternehmensvermögen. Unternehmensvermögen kann nur dann von der Erbschaft- und Schenkungsteuer befreit werden, wenn das Verwaltungsvermögen weniger als 90 % des gemeinen Werts des begünstigungsfähigen Vermögens bzw. des Unternehmenswerts beträgt.
Der Bundesfinanzhof hatte sich in seinem Urteil vom 13.9.2023 mit der Frage zu beschäftigen, ob im Rahmen des 90 %-Tests eine Saldierung der vorhandenen Finanzmittel (Geldbestände, Forderungen etc.) mit vorhandenen Schulden zu erfolgen hat.
In dem Urteilsfall hatte das Finanzamt aufgrund des unklaren und missinterpretierenden Wortlauts der Norm die vorhandenen Schulden unberücksichtigt gelassen. Der Bundesfinanzhof ließ hingegen eine Schuldenverrechnung zu, mit der Konsequenz, dass der Kläger für die geschenkten Anteile an seinem operativ tätigen Handelsunternehmen von den schenkungsteuerlichen Befreiungen Gebrauch machen konnte. Den Urteilsfall mit den Entscheidungsgründen des Bundesfinanzhofs haben wir bereits in unserem Blogbeitrag vom 18. Januar 2024 vorgestellt.
Ländererlass folgt Auffassung des Bundesfinanzhofs
Die obersten Finanzbehörden der Länder haben mit Erlass vom 19.6.2024 auf das Urteil des Bundesfinanzhofs reagiert und weiten die Grundsätze zur Schuldenverrechnung auch auf weitere Fallkonstellationen aus. Die modifizierte Ermittlungsweise des 90 %-Tests ist nun auf sämtliche Rechtsformen des begünstigungsfähigen Vermögens anzuwenden und gilt gleichermaßen für Erbfälle sowie für Schenkungen.
Prüfung des Vorliegens des Hauptzwecks
Da der 90 %-Test weiterhin bestimmte Gestaltungsformen von den unternehmensbezogenen Befreiungen ausschließen soll, statuierte der Bundesfinanzhof anhand des Regelungszusammenhangs der Norm den sogenannten Hauptzweckansatz. Voraussetzung für die modifizierte Ermittlungsweise durch Schuldenverrechnung ist, dass das begünstigungsfähige Vermögen des Betriebs oder der nachgeordneten Gesellschaft nach seinem Hauptzweck einer land- und forstwirtschaftlichen, originär gewerblichen oder selbstständigen Tätigkeit dienen muss.
Schlussfolgerungen für die Beratungspraxis
Für Unternehmen mit gemischten Tätigkeiten bleibt leider unklar, welche qualitativen oder quantitativen Anforderungen an den Hauptzweckansatz zu stellen sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn neben einer originär gewerblichen Tätigkeit auch noch nicht begünstigte Tätigkeiten ausgeübt werden. Rechtsunsicherheiten bestehen auch für mehrstufige Beteiligungs- und Konzernstrukturen, in denen einzelne Tochtergesellschaften nicht operativ tätig sind oder die Konzernspitze den Hauptzweckansatz nicht unmittelbar, sondern nur durch Abfärbung nachgeordneter Gesellschaften im Rahmen der Verbundvermögensaufstellung erfüllen kann.
Cash-GmbHs sowie gewerblich geprägte Personengesellschaften, die ansonsten rein vermögensverwaltend tätig sind und den Status einer erbschaft-/schenkungsteuerlichen Begünstigungsfähigkeit einzig durch ihre Rechtsform oder aufgrund der an ihr beteiligten Gesellschafter:innen erlangen, erfüllen den Hauptzweckansatz nicht und können in der Folge nicht von der modifizierten Ermittlungsweise des 90 %-Tests profitieren.
Oberste Finanzbehörden der Länder, Gleichlautende Erlasse vom 19.6.2024;
Bundesfinanzhof, Urteil vom 13.9.2023 – II R 49/21