Hinzurechnungsbesteuerung kann gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen

Hintergrund

Das Außensteuergesetz (AStG) sieht für bestimmte, niedrig besteuerte Einkünfte, die von einer ausländischen Zwischengesellschaft erzielt werden, die Hinzurechnung dieser Einkünfte zum Einkommen des inländischen Gesellschafters vor (Hinzurechnungsbesteuerung). Bei solchen Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter – das sind solche Einkünfte aus dem Halten, der Verwaltung, Werterhaltung oder Werterhöhung von Zahlungsmitteln, Forderungen, Wertpapieren, bestimmten Beteiligungen oder ähnlichen Vermögenswerten – ist hierfür lediglich eine Mindestbeteiligung von 1 % an der ausländischen Zwischengesellschaft erforderlich. Fraglich war, ob diese Hinzurechnungsbesteuerung mit den europäischen Grundfreiheiten im Einklang steht.

Sachverhalt und Ausgangslage

Eine inländische GmbH war zu 30 % an einer schweizerischen Aktiengesellschaft beteiligt. Diese erzielte Einkünfte aus abgetretenen Geldforderungen. Das Finanzamt unterwarf diese als Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter der Hinzurechnungsbesteuerung bei der deutschen GmbH.

Im Verhältnis zu Drittstaaten, wie im Urteilsfall zur Schweiz, gewährt nur die Kapitalverkehrsfreiheit grundfreiheitlichen Schutz. Da die Hinzurechnung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter lediglich eine Mindestbeteiligung von 1 % voraussetzt, war bei der Prüfung der Europarechtskonformität kein Fall der vorrangig zu prüfenden Niederlassungsfreiheit gegeben. Schutzwirkung entfaltet die Kapitalverkehrsfreiheit jedoch nur unter den Voraussetzungen der sogenannten Stand-still-Klausel des Art. 64 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Durch diese Klausel genießen Altregelungen, die am 31.12.1993 bereits galten, Bestandsschutz.

Entscheidung

Die Hinzurechnungsbesteuerung ist geeignet, inländische Investoren von Investitionen in ausländische Gesellschaften abzuhalten, und stellt somit eine grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar (EuGH, Urteil vom 26.02.2019, C 135/17). Vorliegend könnte dies jedoch durch die Stand-still-Klausel gedeckt sein. Der Europäische Gerichtshof trägt dem vorlegenden Bundesfinanzhof auf, zu prüfen, ob die fragliche Vorschrift bereits am 31.12.1993 bestand und somit Bestandsschutz genießt.

Sollte die Stand-still-Klausel nicht greifen, wäre eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit nur dann gerechtfertigt, wenn die Ungleichbehandlung Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Eine solche Berechtigung sieht der EuGH insbesondere in der Wahrung der Besteuerungsbefugnisse sowie der Wirksamkeit der steuerlichen Aufsicht. Voraussetzung sei allerdings, dass es in den Streitjahren im Verhältnis zur Schweiz keine hinreichenden Amtshilfemöglichkeiten gab. Auch dies zu prüfen, sei Aufgabe des Bundesfinanzhofs.

Ausblick

Der Bundesfinanzhof hat nun zunächst zu prüfen, ob die Vorschrift des § 7 Abs. 6, 6a AStG aufgrund der Stand-still-Klausel Bestandsschutz genießt und damit bereits nicht dem Schutzschirm der Kapitalverkehrsfreiheit unterliegt. Unterfällt die Regelung nicht der Stand-still-Klausel, hat der Bundesfinanzhof weiter zu prüfen, ob im Verhältnis zur Schweiz hinreichende Amtshilfemöglichkeiten bestanden. Falls ja, muss dem Steuerpflichtigen Gelegenheit gegeben werden, wirtschaftliche Gründe für seine Investition im Drittland darzulegen. Falls derartige Gründe nicht bestehen, wäre der Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit gerechtfertigt. Betroffenen ist anzuraten, entsprechende Bescheide offenzuhalten, bis der Bundesfinanzhof in dem Folgeverfahren entschieden hat.

Benno Lange

Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Fachberater für Internationales Steuerrecht

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Oliver Lohmar, LL.M.

Steuerberater

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