Keine Anwendung des Einstiegstests für originär gewerblich tätige Kapitalgesellschaften
Hintergrund
Unternehmerisches Vermögen kann für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer teilweise bzw. ganz von der Besteuerung ausgenommen werden. Ziel des Gesetzgebers ist es, Unternehmen nicht mit einer hohen Erbschaft- und Schenkungsteuer zu belasten, die unter Umständen Unternehmen und deren Arbeitsplätze gefährdet.
Damit Unternehmen in den Genuss dieser Steuerbefreiungen kommen, ist zunächst ein sogenannter Einstiegstest (90-Prozent-Test) durchzuführen. Hierbei werden das Verwaltungsvermögen (z.B. an Dritte vermietete Immobilien) und die Finanzmittel (z.B. Bankguthaben und Forderungen) ins Verhältnis zum Unternehmenswert gesetzt. Beträgt das Verhältnis 90 % oder mehr, scheidet eine Begünstigung des unternehmerischen Vermögens vollständig aus. Die Besonderheit: Eine Verrechnung der Finanzmittel mit etwaigen Schulden findet im Rahmen des Einstiegstests nicht statt. So führt dieser für Unternehmen mit hohen Finanzmittelbeständen, einschließlich der Forderungen aus Kundenbeziehungen, regelmäßig zu einem wirtschaftlich nicht zu rechtfertigenden Ausschluss der schenkungsteuerlichen Begünstigungen und zur vollständigen Besteuerung des übertragenen Betriebs. Über einen solchen Fall hatte kürzlich das Finanzgericht Münster zu entscheiden.
Urteilsfall
Im Urteilsfall waren Anteile an einer originär gewerblich tätigen GmbH mit einem Wert von rund 556.000 € geschenkt worden. Zudem bestanden Finanzmittel von rund 2,5 Mio. € und Schulden von rund 3,1 Mio. €. Die Finanzverwaltung stellte bei Durchführung des Einstiegstests eine Quote von 473 % fest, die bei Weitem die zulässige Quote von 90 % überstieg. Die Finanzverwaltung versagte daraufhin die Begünstigung und unterwarf den vollständigen Unternehmenswert der Schenkungsteuer. Unberücksichtigt blieb die Tatsache, dass nach der Verrechnung mit Schulden kein Verwaltungsvermögen (Nettofinanzmittel) vorgelegen hätte.
Entscheidung
Das Finanzgericht Münster hat hierzu entschieden, dass der Einstiegstest (in der Norm des § 13b Abs. 2 Satz 2 Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz – ErbStG) im Wege der teleologischen Reduktion einschränkend auszulegen ist. Der Einstiegstest solle demnach schlicht nicht zur Anwendung kommen, wenn die Kapitalgesellschaft in ihrem Hauptzweck einer originär gewerblichen (alternativ einer land- und forstwirtschaftlichen oder freiberuflichen) Tätigkeit nachgeht. Der Einstiegstest sähe entsprechend dem Gesetzeswortlaut zwar eindeutig vor, dass in jedem Fall eine Verrechnung der Finanzmittel und Schulden nicht vorzunehmen ist; dies entspreche aber nicht dem Gesetzeszweck und führe im vorliegenden Fall zu einem sinnwidrigen Ergebnis. Zweck der Regelung sei die Vermeidung von Missbrauch, wie der Schenkung einer sogenannten Cash-GmbH (ohne geschäftliche Tätigkeit), die – mit übermäßigen finanziellen Mitteln ausgestattet – steuerfrei in die nächste Generation geschenkt werden soll. Gerade im Fall eines wie im Urteilsfall originär gewerblich tätigen Handels- und Dienstleistungsunternehmens stelle der Missbrauch jedoch keine Gefahr dar. Hingegen gebiete auch der Gleichheitsgrundsatz die teleologische Reduktion der Vorschrift des Einstiegstests, denn eine wortgetreue Anwendung verletze im Fall der originär gewerblich tätigen GmbH den Gleichheitssatz.
Fazit
Die Entscheidung des Finanzgerichts Münster ist zu begrüßen. Sie nimmt sich eines Problems an, das in der Literatur bereits seit längerer Zeit diskutiert wird. Das Finanzgericht hat die Revision zugelassen, die beim Bundesfinanzhof anhängig ist. Ob sich dieser der Auffassung des Finanzgerichts anschließt, bleibt abzuwarten. In ähnlichen Fällen sollte gegen offene Steuerbescheide Einspruch eingelegt und gegebenenfalls die Aussetzung der Vollziehung beantragt werden.