Befreiung von der Offenlegung: Welcher Verlust muss übernommen werden?
Kernproblem
Kapitalgesellschaften müssen ihre Jahresabschlüsse nach den besonderen Vorschriften des Handelsgesetzbuchs (HGB) aufstellen und veröffentlichen. Bei mittelgroßen und großen Kapitalgesellschaften besteht ergänzend die Verpflichtung, den Jahresabschluss um einen Lagebericht zu erweitern sowie Jahresabschluss und Lagebericht durch einen Abschlussprüfer prüfen zu lassen. Allerdings können sich Kapitalgesellschaften, die als Tochtergesellschaften Teil eines Konzerns sind, von diesen Vorschriften zur Aufstellung, Prüfung und Offenlegung des Jahresabschlusses befreien lassen (§ 264 Abs. 3 HGB). Die genauen Voraussetzungen für diese Befreiungsnorm wurden durch das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG) im Jahr 2015 geändert.
Rechtslage vor 2016
Nach alter Rechtslage (bis einschließlich Geschäftsjahr 2015 bzw. 2015/2016) setzte die Befreiung für die Tochtergesellschaft u.a. voraus, dass das Mutterunternehmen zur Verlustübernahme nach § 302 des Aktiengesetzes oder nach dem für das Mutterunternehmen maßgeblichen Recht verpflichtet ist oder eine solche Verpflichtung freiwillig übernommen hat und diese Erklärung offengelegt worden ist. Die gesetzliche Regelung enthielt keinen ausdrücklichen Hinweis darauf, wann die Verpflichtung zur Verlustübernahme erklärt bzw. vereinbart werden muss und welchen Zeitraum sie zu umfassen hat. Die herrschende Literaturmeinung ging bislang davon aus, dass sich die Verpflichtung auf das Folgejahr des Geschäftsjahres, für das die Befreiung in Anspruch genommen wird, beziehen müsse. Denn ohne die Befreiung müsse die Offenlegung des Jahresabschlusses im Folgejahr erfolgen, und zu diesem Zeitpunkt sei den Gläubigern der Gesellschaft ein ausreichender Schutz zu gewähren.
Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln
Mit seiner Entscheidung ist das Oberlandesgericht (OLG) Köln der herrschenden Meinung nicht gefolgt. Vielmehr entschieden die Richter, dass die Verpflichtung des Mutterunternehmens diejenigen Verluste des Tochterunternehmens abdecken müssten, die bis zum Abschlussstichtag, auf den sich die Befreiung bezieht, entstanden sind und bis zu diesem Stichtag fortbestanden haben. Will also konkret eine GmbH, die als Tochtergesellschaft in einen Konzern eingebunden ist, ihren Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2015 nicht veröffentlichen, muss sich das Mutterunternehmen zum Ausgleich eines etwaigen Jahresfehlbetrages für das Geschäftsjahr 2015 verpflichten. Wird eine Verlustübernahme nur für das Geschäftsjahr 2016 vereinbart, soll dies für eine Befreiung für den Jahresabschluss 2015 nicht ausreichend sein.
Konsequenzen
Die Entscheidung des OLG Köln könnte Auswirkungen auf Jahresabschlüsse bis zum Geschäftsjahr 2015 (bzw. 2015/2016) haben, wenn die jeweilige Gesellschaft bislang – in Übereinstimmung mit der herrschenden Literaturauffassung – mit der Muttergesellschaft eine Verlustübernahme nur für das jeweilige Folgejahr vereinbart hat. Es ist denkbar, dass in derartigen Fällen das Bundesamt für Justiz die betroffenen Unternehmen zur nachträglichen Offenlegung ihrer Abschlüsse auffordert.
Durch das BilRUG wurde die Befreiungsvoraussetzung geändert. Nunmehr muss sich das Mutterunternehmen bereit erklärt haben, für die von dem Tochterunternehmen bis zum Abschlussstichtag eingegangenen Verpflichtungen im folgenden Geschäftsjahr einzustehen. Auch wenn diese Formulierung hinsichtlich ihrer zeitlichen Komponente eindeutig erscheint, ist noch nicht final geklärt, ob die Entscheidung des OLG Köln auch Auswirkungen auf die aktuelle Rechtslage hat. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers soll auch eine Verlustübernahmeverpflichtung nach Maßgabe der alten Rechtslage geeignet sein, das Kriterium der Einstandspflicht zu erfüllen. In diesen Fällen könnte auch die zeitliche Komponente der Verlustübernahme unverändert zu beurteilen sein. Dann kann aktuell nur eine Verlustübernahme, die (auch) den Verlust des zu befreienden Geschäftsjahres abdeckt, für Rechtssicherheit sorgen.