Bundesgerichtshof: Aufklärungspflichten des Verkäufers bei Einrichtung eines Datenraums
Was ist ein Datenraum?
Im Zuge eines Unternehmenskaufs gebietet es die kaufmännische Sorgfalt des Kaufinteressenten, bereits vor dem Erwerb eine Prüfung des zu erwerbenden Unternehmens vorzunehmen. Dieser Prüfungsprozess, der als „Due Diligence“ (sinngemäß „gebotene Sorgfalt“) bezeichnet wird, beinhaltet die Einrichtung eines Transaktions-Datenraums, der dem potenziellen Käufer die Möglichkeit bietet, durch die dort eingestellten Unterlagen den geplanten Erwerb im Einzelnen gründlich zu überprüfen und zu bewerten.
Dieser Datenraum beschreibt einen geschützten, physischen oder – wie heutzutage fast ausschließlich üblich – virtuellen Raum, in dem sämtliche Unterlagen für die Due Diligence von dem Verkäufer bereitgestellt werden. Typischerweise werden die Unterlagen in die Bereiche Financial, Tax und Legal unterteilt. Ausgangslage für die Einstellung der Unterlagen ist in der Regel eine Anforderungsliste des Kaufinteressenten, mit der er die für ihn relevanten Unterlagen, die er sich im Rahmen der Due Diligence anschauen möchte, beim Verkäufer abfragt. Dem Kaufinteressenten ist es durch den Datenraum sodann möglich, die dort eingestellten Unterlagen sorgfältig einzusehen und zu bewerten.
Der Datenraum bietet dem Verkäufer den Vorteil, sämtliche relevanten Unterlagen gesichert (Sicherung erfolgt durch einen sogenannten Gatekeeper) und kontrolliert in diesen virtuellen Raum einzustellen. Hierdurch wird einerseits die Vertraulichkeit innerhalb des Unternehmens gewahrt und es ergeben sich auf Käuferseite wiederum Vorteile, wie die Möglichkeit, mit speziellen Suchfunktionen zu arbeiten, für mehrere Benutzer:innen gleichzeitig auf den Inhalt zuzugreifen sowie eine einfache und präzise Nachverfolgung der vom Verkäufer eingestellten Informationen.
Bloße Bereitstellung von Unterlagen ohne Hinweis genügt nicht immer!
Der Bundesgerichtshof hatte sich kürzlich mit der Frage zu befassen, wann und in welchem Umfang ein Verkäufer die andere Vertragspartei bei einer Transaktion über wichtige Eigenschaften des Kaufobjekts informieren und auf Besonderheiten hinweisen muss. Wird dem Käufer Zugriff auf einen Datenraum mit Unterlagen und Informationen zum Transaktionsobjekt gewährt, erfüllt der Verkäufer seine Aufklärungspflicht jedenfalls nicht, wenn er es bei der alleinigen Bereitstellung der Daten bewenden lässt. Er muss vielmehr sicher sein können, dass der Käufer durch Einsichtnahme in den Datenraum Kenntnis von dem offenbarungspflichtigen Umstand erlangen wird.
Was war geschehen?
Der Käufer einer Gewerbeeinheit, die er innerhalb eines Gebäudekomplexes für rund 1,5 Mio. € erworben hatte, wurde nach Abschluss der Transaktion von kostenintensiven Instandhaltungsmaßnahmen überrascht. Er focht daraufhin den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung an mit der Begründung, er habe viel zu spät von dem zusätzlichen Kostenapparat erfahren und der Verkäufer habe ihn darüber im Vorfeld des Vertragsabschlusses auch nicht ordnungsgemäß aufgeklärt. Das bloße Hochladen eines Protokolls der Eigentümerversammlung (in dem diese Instandhaltungsmaßnahmen thematisiert wurden) in den virtuellen Transaktions-Datenraum ohne expliziten Hinweis genüge dazu jedenfalls nicht. Erschwerend komme hinzu, dass das betreffende Dokument erst am Freitag vor dem am darauffolgenden Montag stattfindenden Beurkundungstermin in den Datenraum eingestellt worden war.
Bundesgerichtshof stellt strenge Anforderungen an Aufklärungspflicht des Verkäufers
Die Karlsruher Richter:innen gaben dem Kläger recht und erklärten, der Verkäufer habe hinsichtlich des Kostenumfangs für die anstehenden Sanierungsmaßnahmen die ihn treffende Aufklärungspflicht erheblich verletzt (Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsschluss aufgrund unterbliebener Aufklärung). Der Verkäufer hätte den Käufer ungefragt darüber aufklären müssen, dass bauliche Maßnahmen an dem Kaufobjekt mit einem erheblichen Kostenumfang ausstanden. Die genauen Kosten waren für den Kläger zweifelsohne von erheblicher Bedeutung, sodass der Verkäufer seine Aufklärungspflicht durch das bloße Einstellen des entsprechenden Protokolls der Eigentümerversammlung, aus dem sich die Kosten ergaben, in den Datenraum nicht erfüllt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt es zur Freizeichnung eines Verkäufers von seiner grundsätzlichen Offenbarungspflicht nicht, wenn der Käufer nur die Möglichkeit hat, sich selbst Kenntnis von den offenbarungspflichtigen Umständen zu verschaffen. Allein der Umstand, dass der Verkäufer einen Datenraum einrichtet und den Kaufinteressent:innen den Zugriff auf die Daten ermöglicht, lässt nicht stets den Schluss zu, dass der Käufer den offenbarungspflichtigen Umstand zur Kenntnis nehmen wird, so die Richter:innen. Ob ein Verkäufer dies erwarten könne, hänge davon ab, wie der Datenraum und der Zugriff hierauf strukturiert und organisiert sind, welche Vereinbarungen hierzu getroffen wurden, wie wichtig die Information ist, um deren Offenbarung es geht, und wie leicht sie im Datenraum aufzufinden ist. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs hatte der Käufer hier ohne gesonderten Hinweis auf das neu eingestellte Protokoll keinen Anlass, in dem Zeitfenster zwischen dem Einstellen am Freitag und dem Notartermin am folgenden Montag noch einmal Einsicht in den Datenraum zu nehmen.
Hinweis für die Praxis
Auch wenn das Urteil eine Immobilientransaktion betraf, sind die darin vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze zur Aufklärungspflicht des Verkäufers für alle Arten von Unternehmenstransaktionen von Bedeutung. Es zeigt die unbedingte Notwendigkeit einer sorgfältigen Vorbereitung, Strukturierung und rechtzeitigen Bereitstellung der Dokumente im Datenraum. Hierbei gilt: besser ein Hinweis auf neue Unterlagen zu viel als zu wenig.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.9.2023 – V ZR 77/22