Alles bleibt anders: Arbeitswelt nach der Coronazeit
Es gibt wohl kaum ein Unternehmen oder eine Führungskraft, die sich nicht die Frage stellt, wie sich das Arbeitsleben nach Corona gestaltet. Viele Unternehmen bewegen sich zwischen „zurück ins Büro“, „weiter im Homeoffice“ oder „von beidem etwas“. Unser Arbeitsrechtsexperte schaut auf die Arbeitswelt und darauf, wie man nach der Pandemie ein gutes Miteinander finden kann.
Interview: Michael Huth
Was haben Sie als Arbeitsrechtler oder auch Mitarbeiter ganz persönlich aus der Coronazeit gelernt?
Michael Huth: Wie viele andere habe auch ich noch mehr zu schätzen gelernt, was ich habe. Auf die Arbeit bezogen: Eine gute Unternehmenskultur. Eine gute Kommunikation. Eine klare, wertschätzende Führung. Auch: Arbeitsplatzsicherheit. Das sind Privilegien, das ist mir klar. Über das Persönliche hinaus haben sich zum Glück unsere Mechanismen des Sozial- und Arbeitsrechts auch in einer so immensen Krise als wehrhaft und funktionsfähig erwiesen. Ich denke vor allem an das Modell der Kurzarbeit, aber auch an den Kündigungsschutz, an die Sozialpartnerschaft oder die Betriebsverfassung. Trotz aller Defizite waren zudem Politik und Verwaltung handlungsfähig und letztlich durchsetzungsstark.
Viele Unternehmen beklagen, dass die Mitarbeiterbindung geringer wird, wenn die Arbeitnehmer:innen nicht regelmäßig im Büro sind. Gibt es dafür Belege? Wie können Unternehmen entgegenwirken?
Michael Huth: Langfristige Bindung ist kein so hohes Gut mehr wie früher. Dieses gesamtgesellschaftliche Phänomen reicht vom Privaten über Vereine, Kirchen, Parteien, Gewerkschaften eben auch bis zu den Arbeitgebern. Das Homeoffice hat einen ohnehin bestehenden Trend beschleunigt. Viele Unternehmen steuern längst gegen, etwa indem sie auf Mitarbeiterwünsche eingehen, gerade auch auf die noch immer teils ungewohnten Erwartungen der jungen Generation. Dazu zählt nicht zuletzt die verbreitete Möglichkeit mobilen Arbeitens, die dann die Bindung ironischerweise wieder gefährdet. Ich glaube, hier die Balance zu finden und zu halten ist eine der wichtigsten Aufgaben eines modernen Arbeitgebers.
Eine ganze Reihe an Unternehmen möchten gerne ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wieder ganz zurück ins Büro holen. Ist das arbeitsrechtlich so einfach möglich?
Michael Huth: Das hängt ein wenig davon ab, wie es zu der Arbeit im Homeoffice gekommen ist. Wenn das Homeoffice ausdrücklich nur vorübergehend vereinbart war, besteht arbeitsrechtlich keine besondere Hürde. Schwieriger wird es für Unternehmen, in denen nichts konkret besprochen und schon gar nicht schriftlich festgehalten war, sondern sich das Arbeiten im Homeoffice eher spontan entwickelt hat. Dann lässt sich aber meist auf das allgemeine Weisungsrecht des Arbeitgebers zurückgreifen, das auch die Festlegung des Arbeitsorts umfasst.
Sollte der Wiedereinstieg aus psychologischer Sicht stufenweise erfolgen (im Sinne eines erneuten Onboardings)? Welchen Weg kann man den Führungskräften empfehlen?
Michael Huth: Das ist ein wichtiges Thema; als Arbeitsrechtler kann ich mich da aber nur fachfremd äußern. Ich glaube, dass sich Verallgemeinerungen verbieten und bisweilen viel Einfühlungsvermögen im Einzelfall gefragt ist. Es macht ja einen Unterschied, ob ich endlich wieder ins Büro kommen möchte oder ob ich mich daheim gut eingerichtet habe und darüber freue, den morgendlichen Stau vermeiden zu können. Ebenso reagiere ich unterschiedlich, wenn mir eine Regelung aufgezwungen wird (wenn auch vielleicht mit gutem Grund) oder mir der Arbeitgeber eine Option anbietet. Ein regelrechtes neues Onboarding dürfte aber wohl allenfalls für noch recht neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter notwendig werden, die den Alltagsbetrieb noch gar nicht erlebt haben. Oder wenn es nicht um die Rückkehr aus dem Homeoffice, sondern aus langer Kurzarbeit geht.
In der Coronazeit mussten rasch neue Lösungen für das Arbeiten von zu Hause her. Vielfach wurden kurzfristig Entscheidungen – vom gesetzlichen Recht auf Homeoffice gestützt – getroffen. Welche rechtlichen Vereinbarungen in Bezug auf das Arbeiten im Homeoffice sollten nun nachgeholt werden?
Michael Huth: Auf der großen politischen Ebene wird sich vermutlich nach der Regierungsbildung in Berlin zeigen, ob und unter welchen Voraussetzungen ein allgemeines Recht auf Homeoffice geschaffen wird. Bislang gibt es das nicht. Auf der kleinen Ebene vollziehen nun viele Unternehmen vertraglich nach, was zwischendurch bisweilen einfach gemacht worden ist. Derzeit entstehen zahlreiche Homeoffice-Regelungen mit unterschiedlichsten Inhalten, auf individualarbeitsvertraglicher Basis, teils werden Betriebsvereinbarungen überarbeitet oder geschaffen. Hier ist übrigens vor allem dann eine qualifizierte rechtliche und steuerliche Beratung notwendig, wenn sich das mobile Büro oder das Homeoffice möglicherweise im Ausland befindet. Die dhpg hat dafür ein ganzes Team von Experten.
Es gibt in der Zwischenzeit Unternehmen, die über eine Art freiwilliger Green Card ihren Teammitgliedern wieder mehr Freiheit geben. Wer sich als Geimpfter „outet“, kann z.B. die Kantine wieder besuchen, gewisse Räume ohne Maske betreten etc. Wie sind solche Maßnahmen arbeitsrechtlich zu bewerten? Darf der Arbeitgeber den Impfstatus erfragen?
Michael Huth: Persönlich sage ich dazu „Ja“, und ich meine auch, dass sich die Abfrage jedenfalls in den meisten Fällen arbeitsrechtlich begründen lässt. Rechtssicherheit besteht aber nicht. Da wichtige Rechtsgüter gegeneinander abzuwägen sind, lassen sich nicht so leicht richtig und falsch unterscheiden. Hinzu kommen die komplexen und veränderlichen Rahmenbedingungen durch die Coronaschutzregeln auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene und vor allem die teils hitzigen Debatten zur Impfpflicht. Gerade wegen dieser politisch-gesellschaftlichen Brisanz sollte nicht jedem Mittelständler oder Kleinbetrieb zugemutet werden, die rechtlichen Grenzen selbst auszuloten. Ich halte eine politische Diskussion für wünschenswert, an deren Ende hoffentlich die gesetzliche Klarstellung steht, dass Arbeitgeber den Impfstatus abfragen dürfen. Bis dahin appelliere ich auch an die Betriebsräte: Bei der Frage geht es nicht um Konflikte zwischen einzelnen Arbeitnehmer:innen und der Arbeitgeberin, sondern um ein wichtiges Detail des Zusammenlebens, des Miteinanders im Betrieb. Der Gesundheitsschutz wie auch die in der Frage angesprochenen praktischen Vereinfachungen dienen allen. Ein klassischer Fall für eine Betriebsvereinbarung.
Inwiefern muss Zusammenarbeit zwischen Führung und Team neu ausgehandelt werden? Was kommt auf einen Mitarbeiter zu, der ständig im Homeoffice arbeitet – welche Skills müssen sich verstärken?
Michael Huth: Eine selbstkritische Überprüfung auf Anpassungsbedarf ist immer richtig. Aber das Homeoffice wurde ja 2020 nicht neu erfunden. Viele Unternehmen und Belegschaften meistern das verstärkte Homeoffice ganz hervorragend. Andernorts war und bleibt Homeoffice unmöglich und stellen sich teils viel wichtigere Fragen; denken Sie ans Busfahren, an die industrielle Produktion, an das Handwerk oder erst recht die Pflege. Wer oft oder gar ständig im Homeoffice oder gar tätig wird, braucht aber gewiss eine ausgeprägtere Fähigkeit zur Selbstorganisation, zur Selbstmotivation und auch zur Konzentration. Vielleicht noch wichtiger stellt das Homeoffice auch hohe Anforderungen an die Kommunikation. Wer nicht von sich aus auf andere zugeht, droht im Homeoffice übersehen zu werden. Arbeitgeber und Führungskräfte müssen darauf achten, auch in solchen Mitarbeiter:innen die Motivation und Identifikation mit dem Unternehmen immer aufs Neue zu stimulieren.