Update Umsatzsteuer – was ist neu und was kommt noch auf uns zu?
Jeder Unternehmer muss sich mit der Umsatzsteuer befassen und hat sicher bereits am eigenen Leib erfahren, wie dynamisch die Rechtsprechung und die Vorgaben rund um diese Steuerart sind. Globalisierung, Digitalisierung und damit verbundene, immer neue Tätigkeitsbereiche bringen zusätzliche Herausforderungen mit sich. Um Sie auf den neuesten Stand zu bringen, geben unsere Experten ein Update.
Das Jahressteuergesetz 2022 hat zu Beginn des Jahres mit der Einführung des Nullsteuersatzes für Photovoltaikanlagen für Aufregung gesorgt. Wie ist hier der aktuelle Stand?
Gert Klöttschen: Dem kann ich zustimmen. Selten hat eine Änderung des Umsatzsteuergesetzes eine solche Beachtung in der breiten Öffentlichkeit erfahren. Dies dürfte auf die stark angestiegene Nachfrage für solche Anlagen aufgrund der Energiekrise sowie die Pläne einiger Bundesländer zur Einführung einer Solarpflicht zurückzuführen sein. Zudem stellt der Nullsteuersatz ein Novum für das deutsche Umsatzsteuergesetz dar. Neue Photovoltaikanlagen werden damit fürs Eigenheim günstiger, vorbehaltlich etwaiger Mitnahmeeffekte durch die Anbieter. Die umsatzsteuerliche Erfassung vereinfacht sich erheblich. Das Bundesfinanzministerium hat am 27.2.2023 ein ausführliches Schreiben hierzu veröffentlicht, mit durchaus großzügigen Regelungen. Allerdings gibt es immer noch offene Fragen. So ist z.B. nicht geklärt, ob Solarziegel begünstigt sind oder der Lieferant Vertrauensschutz erhält, wenn der Erwerber der Photovoltaikanlage falsche Angaben macht. Hier sollten sich die Lieferanten adäquat absichern.
Die Umsatzsteuer ist innerhalb der Europäischen Union harmonisiert und wird daher maßgeblich vom europäischen Recht beeinflusst. Gibt es hier neue Entwicklungen, die sich auf Unternehmen in Deutschland auswirken?
Oliver Lohmar: Hier kündigen sich große Veränderungen an. Die Europäische Kommission hat im Dezember 2022 einen Richtlinienentwurf mit dem Titel „VAT in the Digital Age“ veröffentlicht. Dieser enthält neben weiteren Reformvorschlägen auch die Verpflichtung zur elektronischen Rechnungsstellung. Bereits ab 2024 wird die Definition einer elektronischen Rechnung geändert. Sie muss in einem strukturierten elektronischen Format ausgestellt und übermittelt werden. Der bloße Versand einer Rechnungsdatei – zum Beispiel im PDF-Format – stellt dann keine elektronische Rechnung mehr dar. Ab 2028 soll die elektronische Rechnungsstellung für grenzüberschreitende Leistungen verpflichtend werden. Parallel dazu ist geplant, die Zusammenfassende Meldung durch die sogenannten digitalen Meldepflichten zu ersetzen. Ziel ist es, Informationen über Umsätze nahezu in Echtzeit zu erhalten. In einigen EU-Ländern gilt bereits heute eine Verpflichtung zur elektronischen Rechnungsausstellung. Frankreich führt ein solches System zum 1.1.2024 ein.
Das klingt nach gravierenden Änderungen für Unternehmen. Gibt es bereits Vorschläge für eine Umsetzung in Deutschland und ab wann müssen Unternehmer hier umstellen?
Oliver Lohmar: Ein konkreter Zeitplan oder ein Gesetzentwurf liegen hierzu bislang nicht vor. Allerdings hat die Regierungskoalition sich bereits im Koalitionsvertrag darauf verständigt, ein elektronisches Meldesystem für die Erstellung, Prüfung und Weiterleitung von Rechnungen einzuführen. Somit kann man davon ausgehen, dass eine Umsetzung in Deutschland noch in dieser Legislaturperiode erfolgt. Dem Vernehmen nach arbeitet das Bundesfinanzministerium an einem Diskussionsentwurf, der zeitnah veröffentlicht werden soll. Sobald dieser vorliegt, werden wir mehr wissen und hierüber berichten. Unternehmen sollten sich auf jeden Fall frühzeitig auf diese Änderungen vorbereiten. Dabei können wir natürlich unterstützen.
Das sind einige Veränderungen, die da anstehen. Wie steht es um die Rechtsprechung? Welche bedeutenden Entscheidungen hat es hier zuletzt gegeben?
Oliver Lohmar: Einigen Wirbel gab und gibt es derzeit rund um die umsatzsteuerliche Organschaft. Lange Zeit war unklar, ob die deutsche Regelung zur Organschaft, nach welcher der Organträger als einziger Steuerpflichtiger der Organschaft angesehen wird, mit dem Recht der Europäischen Union im Einklang steht. Seit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Dezember 2022 steht nun fest, dass diese deutsche Vorgehensweise rechtmäßig ist. An anderer Stelle blieb der EuGH allerdings sehr vage. Im Zuge des Verfahrens war auch fraglich geworden, ob Umsätze zwischen Organträger und Organgesellschaften (sogenannte Innenumsätze) der Umsatzsteuer unterliegen. In Deutschland werden solche Innenumsätze bislang als nicht steuerbar behandelt. Das bietet in einigen Branchen, die nicht oder nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sind – beispielsweise in der Pflege- oder Immobilienbranche –, Gestaltungspotenzial, um das Entstehen einer nicht abziehbaren Vorsteuer zu vermeiden. Da der EuGH auf diese Frage bislang keine eindeutige Antwort gegeben hat, hat der Bundesfinanzhof diese Frage nun erneut dem EuGH vorgelegt. Somit bleibt die Organschaft leider weiterhin mit erheblichen rechtlichen Unsicherheiten verbunden. Das neue Vorlageverfahren birgt einige Brisanz. Sollte der EuGH zu dem Ergebnis gelangen, dass Innenumsätze steuerbar sind, würde die Organschaft einiges an Attraktivität verlieren. Für die Vergangenheit genießen Unternehmen in Deutschland jedoch Vertrauensschutz.
Die Bedeutung der Rechtsprechung des EuGH sowie der nationalen Gerichte ist also nicht zu unterschätzen. Gibt es hier weitere Entscheidungen, die für deutsche Unternehmer wichtig sind?
Gert Klöttschen: Immer wieder: Nichts ist so im Fluss wie die Umsatzsteuer. So hat der EuGH jüngst zur Korrektur von Rechnungen Stellung bezogen, in denen die Umsatzsteuer falsch ausgewiesen wurde. Das Urteil dürfte der Finanzverwaltung nicht gefallen, kann es doch dazu beitragen, derartige Korrekturen wesentlich zu erleichtern. Ferner erwarten wir u.a. zwei Entscheidungen zur Frage, ob die Überlassung von Betriebsvorrichtungen bzw. die Lieferung von Strom durch die Vermieter Nebenleistungen zur Vermietung darstellen. Dies betrifft alle Vermieter, die steuerfrei vermieten, und deren Mieter. Werden die Leistungen als Nebenleistungen qualifiziert, so werden diese ebenfalls steuerfrei erbracht, ohne Berechtigung zum Vorsteuerabzug.
Gibt es darüber hinaus aktuelle Themen, die für Sie von besonderem Interesse sind?
Gert Klöttschen: Ja, spannend und fachlich fordernd ist die Entwicklung im Bereich der Influencer, Blogger, Gamer und der von ihnen genutzten Portale. Die umsatzsteuerlichen Regelungen hierzu sind komplex, aber nicht das eigentliche Problem. Vielmehr geht es um grundlegende Fragen, wie: Liegt überhaupt ein umsatzsteuerlich relevanter Leistungsaustausch vor, und wenn ja, wer sind die Beteiligten? Fragen, die sich in der analogen Welt eher selten stellen. Mittlerweile gibt es erste Urteile zur Steuerpflicht von Donations (Spenden) für Streamer oder zur Vermietung virtueller Grundstücke in Games. Dies dürfte erst der Anfang sein. Die Betroffenen müssen leider vorerst mit einer gewissen Unsicherheit leben. Für uns als Berater bedeutet dies, die Entwicklung intensiv zu verfolgen.