Umsatzsteuerbetrug durch Arbeitnehmer und die Folgen für Ihr Unternehmen
Fall
Der Kläger betreibt in Polen u.a. Tankstellen. Eine Steuerprüfung ergab, dass das Unternehmen von 2010 bis 2014 ca. 1.700 Scheinrechnungen über fiktive Verkäufe von Waren an Unternehmen ausgestellt hatte, die hieraus – zu Unrecht – den Vorsteuerabzug (335.000 €) geltend gemacht hatten. Interne Recherchen ergaben, dass eine ehemalige Mitarbeiterin die Scheinrechnungen ohne Wissen und Zustimmung der Geschäftsführung erstellt hatte. Hierzu hatte die Mitarbeiterin Zahlungsbelege, die Kund:innen in den Abfallkorb geworfen hatten, gesammelt und auf Basis dieser Belege Gesamtrechnungen erstellt. Sie bewahrte die Zahlungsbelege im Kesselraum der Tankstelle nach Jahren sortiert auf, um sicherzustellen, dass die fiktiven Umsätze keine größeren Mengen an Treibstoff enthielten, als die Tankstelle tatsächlich verkauft hatte. Die Scheinrechnungen wichen vom Format her von den Originalrechnungen ab, wiesen aber ansonsten den Kläger als Rechnungsaussteller aus mit den üblichen Angaben, z.B. der USt.-ID des Klägers.
Die Finanzverwaltung forderte nun vom Kläger die Umsatzsteuer, da der Betrug der Mitarbeiterin dem Unternehmen zuzurechnen sei, auch weil Mängel in der Organisation des Klägers diesen begünstigt hätten. Der Kläger ging hiergegen gerichtlich vor. Mittlerweile ist der Fall beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) anhängig.
Schlussanträge der Generalanwältin
Im vorliegenden Fall ist zu klären, ob der Kläger unberechtigt Umsatzsteuer ausgewiesen hat und diese daher schuldet (14c UStG). Hierzu vertritt die Generalanwältin folgende Auffassung:
Entsprechend der jüngsten Rechtsprechung des EuGH setzt eine Steuerschuld des Klägers eine Gefährdung des Steueraufkommens voraus. Soweit der Vorsteuerabzug bei den Käufern der Rechnungen durch den Fiskus verhindert werden konnte, kann sich keine Steuerschuld des Rechnungsausstellers ergeben.
Handlungen eines fremden Dritten sind einem Unternehmen nicht zuzurechnen. Stellt dagegen eine Mitarbeiterin die Rechnung auf den Namen des Klägers aus, ist die Beurteilung schwieriger. Grundsätzlich schuldet die Mitarbeiterin die Umsatzsteuer. Sofern der Kläger allerdings nicht gutgläubig ist, ist ihm die Steuerschuld zuzurechnen. Gutgläubig ist derjenige, dem kein eigenes Verschulden vorgeworfen werden kann. Hierzu reicht kein allgemeines „Wissenmüssen“, sondern es bedarf eines persönlichen Auswahl- und Überwachungsverschuldens. Ein Überwachungsverschulden ist im Fall denkbar. Hierzu ist aber zu klären, ob konkrete Anhaltspunkte für den Betrug vorlagen. Dann hätte der Kläger konkrete Überwachungsmaßnahmen vornehmen müssen. Ohne konkreten Anlass reicht ein einfaches internes Risikomanagement, um ein Verschulden zu verhindern.
Konsequenzen
Die Entscheidung des EuGH steht zwar noch aus, dennoch deuten die Aussagen der Generalanwältin darauf hin, wo die Reise hingeht. Demnach besteht für Unternehmer:innen die Gefahr, für den Betrug ihrer Arbeitnehmer:innen zur Rechenschaft gezogen zu werden, auch wenn sie hiervon nichts wussten, sofern ihnen ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden vorgeworfen werden kann. Die Argumentation ähnelt der Regelung des § 130 OWIG (Gesetz über Ordnungswidrigkeiten), das erhebliche Bußgelder in solchen Fällen vorsieht. Nicht nur der Fall zeigt, dass die Finanzverwaltung sehr schnell die Schuld beim Unternehmen sucht. In der Praxis schützen kann Sie hiervor nur die Einrichtung eines geeigneten Risikomanagementsystems.
Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott vom 21.9.2023 – C-442/22