Nachweis des niedrigeren Liquidationswertes
Kernaussage
Das FG Mecklenburg-Vorpommern sieht keinen Verstoß gegen das Übermaßverbot bei Ansatz des festgestellten Grundstückswerts, wenn dieser den nachgewiesenen gemeinen Wert um 21,7 % überschreitet.
Sachverhalt
Die 2015 verstorbene Erblasserin war u. a. Eigentümerin verschiedener Grundstücke, die teilweise als Ackerland genutzt wurden. Das Flurstück … ist mit Ruinen, die Flurstücke … sind mit Schuppen bzw. Ställen und die Flurstücke … sind mit Einfamilienhäusern bebaut. Der Kläger A ist der Alleinerbe. Mit Kaufvertrag vom 17.02.2016 veräußerte er sämtliche Grundstücke zu einem Kaufpreis i. H. v. 292.000 €.
Das für die Erbschaftsteuer zuständige Finanzamt forderte das beklagte FA auf, die Grundbesitzwerte zum Todestag für Zwecke der Erbschaftsteuer festzustellen. Eine Erklärung zur Feststellung des Bedarfswertes gab A nicht ab. Mit Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes auf den 18.09.2015 für Zwecke der Erbschaftsteuer vom 20.07.2016 stellte der Beklagte einen Grundbesitzwert für die landwirtschaftlich genutzten Flächen mit einer Gesamtfläche von 173.617 m² i. H. v. 238.668 € fest. Dabei behandelte der Beklagte, da die Nutzungsüberlassung am Bewertungsstichtag weniger als 15 Jahre betrug, die Grundstücke als land- und forstwirtschaftliches Vermögen und legte den vom Gutachterausschuss zuletzt festgelegten Bodenrichtwert zugrunde. Von diesem Wert nahm er einen Abschlag von 10 % für Liquidationskosten vor.
Dagegen legte der Kläger Einspruch ein. Zur Begründung trug er vor, dass für die Höhe des festzustellenden Grundbesitzwertes auf den erzielten (niedrigeren) Verkaufspreis abzustellen sei. Den Einspruch des Klägers wies der Beklagte als unbegründet zurück. Mit seiner Klage macht A geltend, dass der Nachweis des niedrigeren gemeinen Wertes möglich sein müsse. Der Gesetzgeber habe nicht bedacht, dass es auch bei der Bewertung des Grundbesitzes mit den Bodenrichtwerten zu unbilligen Ergebnissen kommen könne. Der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes sei durch den zeitnahen Verkauf erbracht. Unter Berücksichtigung des in dem Grundstückskaufvertrag vom 17.02.2016 vereinbarten Gesamtkaufpreis ergebe sich für die streitbefangenen Grundstücke ein Teilkaufpreis i. H. v. 196.130 €, der wesentlich unter dem vom Beklagten festgestellten Liquidationswert liege.
Entscheidung
Die Klage ist unbegründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nach Ansicht des FG Mecklenburg-Vorpommern nicht in seinen Rechten. Der Beklagte hat den Grundbesitzwert in der zutreffenden Höhe festgestellt.
Nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG sind Grundbesitzwerte gesondert festzustellen, wenn die Werte für die Erbschaftsteuer von Bedeutung sind. Für die wirtschaftlichen Einheiten des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens sind die Grundbesitzwerte unter Anwendung der §§ 158 bis 175 BewG zu ermitteln (§ 157 Abs. 2 BewG). Gemäß § 158 Abs. 2 Satz 1 BewG ist die wirtschaftliche Einheit des land- und forstwirtschaftlichen Vermögens der Betrieb der Land- und Forstwirtschaft. Zu den Wirtschaftsgütern, die der wirtschaftlichen Einheit „Betrieb der Land- und Forstwirtschaft” – zu dienen bestimmt sind, gehört insbesondere der Grund und Boden (§ 158 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BewG). Dieser beinhaltet alle land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen, die nicht ausnahmsweise als Grundvermögen zu erfassen sind.
Wird ein Betrieb der Land- und Forstwirtschaft innerhalb eines Zeitraums von 15 Jahren nach dem Bewertungsstichtag veräußert, erfolgt die Bewertung der wirtschaftlichen Einheit mit dem Liquidationswert nach § 166 BewG (§ 162 Abs. 3 Satz 1 BewG). Gleiches gilt für die Bewertung einzelner wesentlicher Wirtschaftsgüter, sofern diese dem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft innerhalb eines Zeitraums von 15 Jahren nicht mehr auf Dauer zu dienen bestimmt sind (§ 162 Abs. 4 Satz 1 BewG); wesentliche Wirtschaftsgüter in diesem Sinn sind u. a. der Grund und Boden nach § 158 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BewG. Dies gilt nicht, wenn der Veräußerungserlös innerhalb von sechs Monaten ausschließlich im betrieblichen Interesse verwendet wird (§ 162 Abs. 4 Satz 2 BewG).
Bei der Ermittlung des Liquidationswertes nach § 166 Abs. 1 BewG ist der Grund und Boden i. S. d. § 158 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BewG mit den zuletzt vor dem Bewertungsstichtag ermittelten Bodenrichtwerten zu bewerten (§ 166 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BewG). Zur Berücksichtigung der Liquidationskosten ist der ermittelte Bodenwert um 10 % zu mindern (§ 166 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 BewG).
Im Streitfall hat der Kläger den Grund und Boden ca. sechs Monate nach dem Bewertungsstichtag veräußert und den Veräußerungserlös nicht wieder in einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb investiert. Die Grundstücke sind daher grundsätzlich mit dem Liquidationswert zu bewerten. Dieser beträgt wie vom Beklagten festgestellt 238.668 €.
Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert der kurze Zeit nach dem Erbanfall veräußerten land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen wesentlich niedriger ist als der nach § 166 BewG ermittelte Liquidationswert, kann der niedrigere gemeine Wert nach § 9 Abs. 2 BewG als Grundbesitzwert für Zwecke der Erbschaftsteuer festgestellt werden.
Um einen Verstoß gegen das grundgesetzliche Übermaßverbot zu verhindern, ist der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts bei verfassungskonformer Auslegung auch dann geboten, wenn er nach dem Wortlaut des BewG nicht vorgesehen ist. Das Übermaßverbot ist nur verletzt, wenn die Folgen einer schematisierenden Bewertung extrem über das normale Maß hinausgehen. Dies erfordert den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes, der den festgestellten Grundstückswert so erheblich unterschreitet, dass sich der festgestellte Grundstückswert als extrem über das normale Maß hinausgehend erweist. Während der BFH in dem Urteil vom 11.12.2013 (II R 22/11, BFH/NV 2014, 1086) eine Bewertungsdifferenz von 10 % als Folge der typisierenden Bewertungsmethode aufgrund der mit der Wertschätzung verbundenen Ungenauigkeit als hinnehmbar qualifiziert hat, hat er in dem Urteil vom 30.01.2019 – II R 9/16, BStBl 2019 II, S. 599 eine Bewertungsdifferenz von 55 % als nicht mehr hinnehmbar qualifiziert.
Der Kläger hat im Streitfall einen niedrigeren gemeinen Wert i. H. v. 196.130 € nachgewiesen, der zwischen den Beteiligten nicht streitig ist. Anhaltspunkte dafür, dass der vom Kläger erzielte Kaufpreis nicht nach den im gewöhnlichen Geschäftsverkehr geltenden Grundsätzen der Preisbildung durch Angebot und Nachfrage zustande gekommen ist, wurden weder vorgetragen noch sind diese ersichtlich. Der Bodenrichtwert übersteigt den vereinbarten Kaufpreis somit nur um das 1,217-fache bzw. 21,7 % und damit nach Ansicht des FG nicht wesentlich, so dass er der Bewertung zugrunde zu legen ist.
Hinweis
Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen und ist unter dem Az. II R 39/20 beim BFH anhängig.
Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert, der kurze Zeit nach dem Erbanfall veräußerten, land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen wesentlich niedriger ist als der nach § 166 BewG ermittelte Liquidationswert, kann der niedrigere gemeine Wert nach § 9 Abs. 2 BewG als Grundbesitzwert für Zwecke der Erbschaftsteuer festgestellt werden.
Das Übermaßverbot ist nur verletzt, wenn die Folgen einer schematisierenden Bewertung extrem über das normale Maß hinausgehen. Dies erfordert den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Wertes, der den festgestellten Grundstückswert so erheblich unterschreitet, dass sich der festgestellte Grundstückswert als extrem über das normale Maß hinausgehend erweist. Dies verneinte das FG bei einer Überschreitung des gemeinen Werts um 21,7 %. Es bleibt abzuwarten, wie der BFH die Abweichung beurteilt. Im BFH-Fall v. 30.01.2019 – II R 9/16 betrug die Abweichung 55 % und wurde vom BFH als extrem über das normale Maß hinausgehend beurteilt.