Mitteilungspflicht für grenzüberschreitende Steuergestaltungen kommt

 

Wie kam es zu dieser Gesetzesänderung in der deutschen Abgabenordnung?

Benno Lange: Die Mitteilungspflicht geht zurück auf das Projekt der OECD und der G-20-Staaten gegen die Reduzierung und Verlagerung steuerlicher Gewinne durch aggressive Steuergestaltung (Base Erosion and Profit Shifting / BEPS). Auslöser waren insbesondere aggressive Steuergestaltungen multinationaler Konzerne. Auf europäischer Ebene wurde die Mitteilungspflicht in der EU-Amtshilferichtlinie (DAC) umgesetzt – mit deren Sechster Änderung. So erklärt sich auch die vielfach verwendete Abkürzung „DAC 6“. Der deutsche Gesetzgeber hat also jetzt die Vorgaben aus der Richtlinie in nationales Recht umgesetzt.

Was bezweckt der Gesetzgeber mit der neu eingeführten Mitteilungspflicht?

Benno Lange: Ziel der Mitteilungspflicht ist es, der Finanzverwaltung durch die Anzeigen von grenzüberschreitenden Steuergestaltungen frühzeitig Informationen über diese zu verschaffen, sodass grenzüberschreitende Steuervermeidungspraktiken und Gewinnverlagerungen zeitnah identifiziert und vermeintliche „Schlupflöcher“ geschlossen werden können. Außerdem soll die Finanzverwaltung in die Lage versetzt werden, die gemeldeten Gestaltungen im Rahmen von Betriebsprüfungen genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Koordination erfolgt über das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt), an das auch die Meldungen zu richten sind.

Wann liegt denn eine meldepflichtige Gestaltung vor?

Benno Lange: Unter grenzüberschreitenden Steuergestaltungen werden Gestaltungen verstanden, die nicht harmonisierte Steuern (darunter insbesondere die Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer sowie die Grunderwerb- und Erbschaftsteuer) betreffen, sich in mehr als einem Land steuerlich auswirken und mindestens ein durch das Gesetz bestimmtes Kennzeichen zur Identifizierung (sogenanntes Hallmark) erfüllen. Das Gesetz führt eine Vielzahl solcher Kennzeichen an, die von der Vereinbarung einer Vertraulichkeitsklausel bis hin zur gezielten Nutzung bestimmter Verrechnungspreisgestaltungen reichen.

Die Meldepflicht setzt im Übrigen nicht in allen Fällen voraus, dass die Erzielung eines steuerlichen Vorteils das Hauptmotiv für die Wahl einer bestimmten Gestaltung ist. So unterliegen beispielsweise im Bereich der Verrechnungspreise bestimmte Vorgänge wie Funktionsverlagerungen oder die Übertragung von Patenten und ähnlichen immateriellen Wirtschaftsgütern immer der Meldepflicht – auch wenn hiermit überhaupt kein steuerlicher Vorteil verbunden ist. Wir müssen daher aktuell davon ausgehen, dass der Begriff der Gestaltung sehr umfassend auszulegen ist. 

Für wen gilt die Mitteilungspflicht?

Benno Lange: Das Gesetz sieht eine Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen vorrangig für sogenannte Intermediäre vor. Nach der gesetzlichen Definition sind Intermediäre diejenigen, die solche grenzüberschreitenden Gestaltungen vermarkten, für Dritte konzipieren, organisieren, zur Nutzung bereitstellen oder ihre Umsetzung durch Dritte verwalten. Intermediäre können beispielsweise Steuerberater und Rechtsanwälte, aber auch Banken sein.

Allerdings können auch die Nutzer der Steuergestaltung, also die Unternehmen, der Mitteilungspflicht unterliegen. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Intermediäre, wie in Deutschland beispielsweise Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer, einer gesetzlichen Verschwiegenheitsverpflichtung unterliegen und die Nutzer diese davon nicht entbinden. Auch sogenannte Inhouse-Gestaltungen, die von Unternehmen ohne die Einschaltung von Intermediären entwickelt werden, unterliegen der Mitteilungspflicht.

Die gesetzlichen Regelungen sind verabschiedet. Wann tritt die Mitteilungspflicht in Kraft?

Benno Lange: Das Gesetz sieht eine Mitteilungspflicht ab dem 1. Juli 2020 vor. Es ist allerdings schon abzusehen, dass das BZSt die für die Übermittlung erforderliche Schnittstellenanbindung erst ab dem 1. August 2020 zur Verfügung stellen kann. Daher wird die Finanzverwaltung nach aktuellem Stand wohl eine Fristverlängerung bis zum 30. September 2020 für die erstmalige Meldung gewähren. Wenn diese Frist nicht eingehalten wird, kann ein Bußgeld von bis zu 25.000 € verhängt werden.

Aktuell wird von einigen Wirtschaftsverbänden eine weitere Verschiebung der Erstanwendung gefor-dert, um die Unternehmen in der Corona-Krise möglichst nicht noch mit weiteren administrativen Verpflichtungen zu belasten. Ob es zu einer solchen Verschiebung kommt, ist aber noch nicht entschie-den.

Was sollten Betroffene nun tun?

Benno Lange: Zunächst einmal ist die Erkenntnis wichtig, wer überhaupt „Betroffener“ ist. Diese Frage kann letztlich nur individuell anhand konkreter Fälle und Kennzeichen geprüft und beurteilt werden. Fakt ist jedoch, dass sich die Vorschrift nicht auf US-amerikanische Softwarekonzerne beschränkt, sondern auch der deutsche Mittelstand ab einer gewissen Größe und Internationalität potenziell betroffen ist.

Bei diesen Unternehmen sind insbesondere zwei Schritte wichtig: Zum einen sollte eine „Inventur“ von Gestaltungen aus den letzten zwei Jahren erfolgen, weil auch Gestaltungssachverhalte, deren erster Umsetzungsschritt nach dem 24. Juni 2018 erfolgte, rückwirkend der Mitteilungspflicht unterliegen. Zum anderen müssen innerhalb der Unternehmen sowie zwischen Unternehmen und Beratern Prozesse definiert werden, um sicherzustellen, dass die relevanten Informationen für die Mitteilungen vollständig und rechtzeitig zusammengetragen werden. Denn die Frist für die Meldung beträgt lediglich 30 Tage. Hier müssen zahlreiche Instanzen in den Unternehmen – einschließlich deren Leitungsorgane – konstruktiv zusammenarbeiten, um diese Compliance-Herausforderung zu meistern.
 

Benno Lange

Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Fachberater für Internationales Steuerrecht

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