EuGH: Wer darf zu viel gezahlte Umsatzsteuer behalten – Staat oder Unternehmen?
Der Kläger mit Sitz in Polen reichte im Jahr 2016 berichtigte Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 2012 bis 2014 ein. Umsätze, die der Kläger bisher entsprechend den Vorgaben der dortigen Finanzbehörden mit dem Regelsteuersatz versteuert hatte, deklarierte er nun zutreffend zum ermäßigten Steuersatz. Die zuständige Finanzbehörde versagte die Korrektur, da der Kläger keine korrigierten Rechnungen vorlegen konnte. Grund hierfür war, dass der Kläger seine Leistungen gegenüber Endverbraucher:innen erbrachte und diese zulässigerweise mittels Kassenbons abrechnete. Es gab damit keine Rechnungen, die hätten korrigiert werden können. Womit auch klar war, dass die Kund:innen aufgrund der Korrektur kein Geld vom Kläger zurückerhielten. Der Streit liegt mittlerweile dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor.
Hinweise der Generalanwältin
Die Generalanwältin weist zunächst auf den Kern des Problems hin. Eigentlich müssten die Kund:innen die zu viel gezahlte Umsatzsteuer zurückerhalten. Wenn dies aber nicht möglich ist, weil z.B. Festpreise vereinbart werden oder die Kund:innen nicht namentlich erfasst sind, stellt sich die Frage, wer durch die zu viel gezahlte Umsatzsteuer „bereichert“ bleiben darf: der Staat oder der leistende Unternehmer? Die Generalanwältin kommt zu folgenden Ergebnissen:
- Kalkulieren Unternehmer:innen die Umsatzsteuer zu hoch, schulden sie trotzdem nur die Umsatzsteuer in der richtigen Höhe. Ob die Gegenleistung dann zu verringern ist, ist allein eine Frage des Zivilrechts. Die Rechtsprechung zum „Direktanspruch“ betrifft nur Kund:innen, die Unternehmer:innen sind und nicht Endverbraucher:innen.
- Auch handelt es sich nicht, wie vom polnischen Fiskus vorgebracht, um eine Änderung der Bemessungsgrundlage, da das Entgelt, mangels Rückzahlung, unverändert bleibt. Der Kläger hat seine Umsatzsteuererklärungen geändert, nicht die Bemessungsgrundlage seiner Umsätze. Insofern spielen die polnischen Regelungen zur Änderung der Bemessungsgrundlage keine Rolle.
- Da keine Rechnungen ausgestellt wurden, hat der Kläger auch keine Umsatzsteuer ungerechtfertigt ausgewiesen, die er schulden würde. Selbst wenn die Kassenbons Rechnungen darstellen sollten, greift die Regelung nicht (im Umsatzsteuergesetz: § 14c), da sich keine Gefährdung des Steueraufkommens ergibt, weil Endverbraucher:innen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind.
- Eine ungerechtfertigte Bereicherung des Klägers liegt nicht vor, da im Fall Festpreise vereinbart wurden. Das heißt, die Kund:innen hatten den Preis akzeptiert, unabhängig von der Höhe der Umsatzsteuer.
Korrekturen unter bestimmten Voraussetzungen wohl zulässig
Im Endergebnis schlägt die Generalanwältin vor, dass eine Berichtigung der Umsatzsteuer möglich ist, wenn Leistungen an Endverbraucher:innen erbracht, keine Rechnungen ausgestellt und Festpreise vereinbart werden. Dies dürfte der hiesigen Praxis der Finanzverwaltung entsprechen, wenn es auch immer wieder Streit diesbezüglich gibt. Das abschließende Urteil des EuGH wird zu beachten sein, da es grundlegende Hinweise zur Korrektur solcher Fälle geben wird, die in der Praxis leider häufig vorkommen. Es ist zu hoffen, dass der EuGH dann auch klärt, wie mit der Vereinbarung von Preisen „zzgl. gesetzlicher Umsatzsteuer“ umzugehen ist, was die Generalanwältin offengelassen hat. Wichtig für die Praxis ist auch der Hinweis der Generalanwältin, dass es widersprüchlich ist, wenn ein Rechtsstaat einem Unternehmer die Erstattung der Umsatzsteuer versagt, mit dem Hinweis, er sei ungerechtfertigt bereichert, nur weil dieser der „falschen“ Auffassung der Finanzbehörde gefolgt ist.
Schlussanträge vom 16.11.2023 – EuGH C-606/22