Versandhandel: Abholen oder Versenden ist hier die Frage
Fall
Die Klägerin betrieb einen Online-Versandhandel mit Sitz in Polen. Sie belieferte u.a. Privatkunden in Ungarn. Hierbei wurde die Ware von Polen zu den Kunden nach Ungarn transportiert. Die Klägerin bot den Kunden im Zuge der Bestellung die Möglichkeit an, einen Vertrag mit einer polnischen Spedition zwecks Transport der Ware abzuschließen. Die Klägerin selbst war an dem Vertrag nicht beteiligt. Alternativ konnten die Kunden die Waren auch in Polen abholen oder einen anderen als den empfohlenen Spediteur wählen. Die Klägerin war nicht sicher, ob die Umsätze in Polen oder Ungarn zu versteuern waren. Sie holte daher eine Auskunft von der polnischen Finanzverwaltung ein. Diese vertrat die Auffassung, dass die Umsätze in Polen (8 %) zu versteuern sind (Abholfall). Die ungarische Steuerverwaltung war anderer Ansicht. Sie wandte die Versandhandelsregelung an und forderte Umsatzsteuer (27 %) nach. Hiergegen wehrte sich die Klägerin; das zuständige ungarische Gericht legte das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof vor.
Entscheidung
Laut Europäischem Gerichtshof sind die Steuerbehörden nicht verpflichtet, sich zu einigen, in welchem Mitgliedstaat die Umsätze zu besteuern sind. Vielmehr sind die Finanzgerichte gefordert, den Europäischen Gerichtshof um Vorabentscheidung anzurufen, wenn hierdurch eine Doppelbesteuerung droht. Solange es sich nicht um eine rein künstliche Gestaltung handelt, ist es nicht missbräuchlich, seine Geschäfte so auszurichten, um den günstigeren Steuersatz zu nutzen. Hinsichtlich der Frage, wie die Beauftragung der Spedition durch die Kunden zu bewerten ist, geht der Europäische Gerichtshof zweistufig vor. Im ersten Schritt sind die vertraglichen Grundlagen zu prüfen. Sofern sich Anhaltspunkte ergeben, dass die vertraglichen Grundlagen nicht der Realität entsprechen, ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob der Transport nicht wirtschaftlich dem Lieferanten zuzurechnen ist. Dies ist der Fall, wenn sowohl bei der Beauftragung als auch bei der Organisation der wesentlichen Phasen des Versands die Rolle des Lieferers überwiegt, was vom vorlegenden Gericht noch zu prüfen ist.
Konsequenzen
Es hilft der Klägerin wenig, dass ihr Vorgehen nicht als missbräuchlich gewertet wird, da ihr vermutlich der Transport wirtschaftlich zugerechnet wird. Die Umsätze sind dann in Ungarn zu versteuern. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass mit Inkrafttreten der Neuregelung für Fernverkäufe, voraussichtlich zum 1.7.2021, schon die indirekte Beteiligung des Versandhändlers reicht, um ihm den Transport zuzurechnen. Das Urteil hat aber nicht nur Auswirkungen auf Vertragsgestaltungen im Versandhandel, sondern betrifft auch Reihengeschäfte. Die Bestimmung der für die Besteuerung der Reihengeschäfte wesentlichen bewegten Lieferung wird bisher in Abhängigkeit von der Beauftragung des Spediteurs vorgenommen. Dies gilt nach dem Urteil auch weiterhin, allerdings nur, sofern dies auch den wirtschaftlichen Gegebenheiten entspricht, was die Behandlung von Reihengeschäften nicht einfacher macht.