Wann führt die Überbewertung von Bilanzposten zur Nichtigkeit des Jahresabschlusses?
Hintergrund
Bei der Aufstellung und Feststellung des Jahresabschlusses können gewichtige Fehler bei der Rechnungslegung dazu führen, dass der Jahresabschluss nichtig ist. Fehler, die zur Nichtigkeit führen, sind in § 256 AktG abschließend aufgeführt. Hierzu zählen auch Verstöße gegen Bewertungsvorschriften, nämlich wenn dadurch Bilanzposten
- überbewertet werden oder
- unterbewertet werden und dadurch die Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft vorsätzlich unrichtig wiedergegeben oder verschleiert wird.
Dabei hat jedoch nicht jede unerhebliche Fehlbewertung die Nichtigkeit des Jahresabschlusses zur Folge. Stattdessen müssen Bewertungsmängel die Bilanzdarstellung wesentlich beeinträchtigen. Es ist jedoch umstritten, wann diese Schwelle zur Wesentlichkeit erreicht ist.
In einer aktuellen Entscheidung hat sich der Bundesgerichtshof mit Hinweisbeschluss vom 11.5.2021 zu dieser Frage in Bezug auf die Überbewertung geäußert.
Kernaussagen des Urteils zur Frage der Wesentlichkeit
Der Bundesgerichtshof hat zunächst festgehalten, dass Vermögensgegenstände grundsätzlich mit ihren tatsächlich angefallenen Anschaffungskosten und -nebenkosten zu aktivieren sind, auch wenn diese überhöht sind. Bei einer überhöhten Zugangsbewertung ist eine Wertberichtigung in der laufenden Abrechnungsperiode nicht ausgeschlossen. Spätestens zum folgenden Jahresabschluss ist eine Abwertung zu prüfen und gegebenenfalls durchzuführen.
Ferner wird der Grundsatz vom Bundesgerichtshof bestätigt, dass Überbewertungen von Bilanzposten zur Nichtigkeit führen, wenn die Bilanzierung den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung widerspricht und sie ihrem Umfang nach nicht bedeutungslos ist. Der Bundesgerichtshof lässt jedoch weiterhin offen, ob die Wesentlichkeit der Überbewertung im Verhältnis zur Bilanzsumme oder zum Bilanzgewinn zu betrachten ist.
Unabhängig von dieser Frage sei die im vorliegenden Fall bestehende Überbewertung von über 500 % wesentlich, da sie ihrem Umfang nach keine bloße Bagatellabweichung ohne wesentliche Auswirkungen auf die Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage darstelle. Damit hat der Bundesgerichtshof jedoch keine Mindestgrenze festgelegt und sich nur auf den ihm vorliegenden Fall bezogen, sodass im Einzelfall auch Überbewertungen in geringerem Umfang als wesentlich anzusehen sein könnten.
Des Weiteren sei die Schwelle zur Wesentlichkeit ungeachtet der quantitativen Betrachtung jedenfalls dann überschritten, wenn wichtige Bewertungsvorschriften missachtet würden und dies einen schweren Verstoß darstelle. In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatte die Beklagte die Überbewertung eines Bilanzpostens gezielt eingesetzt, um den Gläubigern ein falsches Bild von der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu vermitteln. Es wird indes nicht erläutert, welche Anforderungen an die Voraussetzung der Schwere des Verstoßes in genereller Hinsicht zu stellen sind und welche weiteren Bewertungsvorschriften als derart bedeutend anzusehen sind, um unmittelbar eine Wesentlichkeit zu begründen. Es ist davon auszugehen, dass die Frage der Wesentlichkeit stets im Wege einer einzelfallabhängigen Gesamtbetrachtung geklärt werden muss.
Bedeutung der Nichtigkeit des Jahresabschlusses
Bei Nichtigkeit des Jahresabschlusses wird die Pflicht zur Rechnungslegung nicht länger erfüllt. Es existiert kein Bilanzgewinn und damit auch kein Raum für einen Gewinnverwendungsbeschluss. Ein hierauf beruhender Gewinnverwendungsbeschluss ist demnach ebenfalls nichtig, sodass bezogene Dividenden bzw. Gewinne grundsätzlich zurückzugewähren sind. Lediglich die Offenlegungspflicht nach § 325 Handelsgesetzbuch – HGB kann auch durch einen nichtigen Jahresabschluss erfüllt werden.
Die Nichtigkeit kann nicht durch schlichte Korrektur des Fehlers beseitigt werden, sondern nur durch eine vollständig neue Aufstellung des Jahresabschlusses, die keine Rückwirkung entfaltet. Allenfalls kann eine Heilung durch Zeitablauf von – abhängig vom Grund der Nichtigkeit – sechs Monaten oder drei Jahren eintreten.
Fazit
Der Bundesgerichtshof hat zwar offengelassen, ob die Überbewertung zur Begründung ihrer Wesentlichkeit mit der Bilanzsumme oder dem Bilanzgewinn verglichen werden muss. Dafür hat er erklärt, dass Überbewertungen auch unabhängig hiervon erheblich sein können, wenn es sich ihrem Umfang nach nicht um bloße Bagatellabweichungen ohne wesentliche Auswirkungen auf die Darstellung der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft handelt. Des Weiteren könne die Schwelle zur Wesentlichkeit auch aufgrund der Bedeutung missachteter Bewertungsvorschriften und der Schwere des damit verbundenen Verstoßes überschritten sein. Die Entscheidung hat nicht nur für Aktiengesellschaften Bedeutung, da die Vorschriften zur Nichtigkeit analog auch auf andere Rechtsformen (insbesondere GmbH) Anwendung finden.
Bundesgerichtshof, Hinweisbeschluss vom 11.5.2021 – II ZR 56/20