Bilanzierung von Erlösen aus Verträgen mit Kunden (IFRS 15) in Zeiten der Corona-Pandemie
Die im Frühjahr 2020 ausgebrochene Corona-Pandemie tangiert eine Vielzahl von bilanzierungstechnischen Sachverhalten. In diesem Beitrag erörtern wir die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Bilanzierung nach International Financial Reporting Standard 15 (IFRS 15 [Erlöse aus Verträgen mit Kunden]) und zeigen Handlungsmöglichkeiten für Unternehmen auf.
Das International Accounting Standards Board (IASB) veröffentlichte im Mai 2014 den neuen IFRS 15, um der Thematik der Umsatzrealisation Rechnung zu tragen. Seit Geschäftsjahren ab dem 1.1.2018 ist eine Anwendung des Standards verpflichtend. Ziele des Standards bestehen darin, die Widersprüchlichkeit vorheriger Standards zur Umsatzrealisation zu beheben und eine Einheitlichkeit in der Bilanzierung von Verträgen mit Kunden zu gewährleisten. Weiterhin sollen der Problematik der Bilanzierung von Mehrkomponentengeschäften entgegengewirkt und Spielräume für Bilanzpolitik eingeschränkt werden.
Die Umsatzrealisation nach IFRS 15 erfolgt in fünf Schritten. Diese veranschaulichen wir Ihnen anhand des folgenden Praxisbeispiels.
Vorstellung des Praxisbeispiels
Das nach IFRS bilanzierende Unternehmen (nachfolgend Auftragnehmer) stellt Maschinen für die Fertigung von Fahrzeugen in der Automobilindustrie her. In diesem Praxisbeispiel liefert der Auftragnehmer im Dezember 2019 eine Maschine an einen Automobilhersteller (nachfolgend Auftraggeber). Weiterhin wird ein Wartungsvertrag über fünf Jahre für diese Maschine abgeschlossen. Ab Juni 2020 soll die Maschine in einem Zeitintervall von sechs Monaten gewartet werden. Inbegriffen sind Reparaturleistungen sowie jegliche Maschinenteile, die bei der Wartung auszutauschen sind.
Schritt 1: Identifizierung des Vertrags mit einem Kunden
Als Vertrag im Sinne des IFRS 15 gilt eine vertragliche Vereinbarung mindestens zweier Vertragsparteien, die für beide Parteien durchsetzbare Rechte und Pflichten begründet.
Für eine Bilanzierung nach IFRS 15 muss ein Vertrag mehrere Kriterien kumulativ erfüllen:
- Zustimmung der Parteien zu den vertraglichen Inhalten
- Eindeutige Identifikation der durchsetzbaren Rechte und Pflichten jeder Partei
- Eindeutige Identifikation der Zahlungsbedingungen (Zahlungsort und Zahlungszeitpunkt)
- Der Vertrag hat wirtschaftliche Substanz (Erwartung, dass sich das Risiko, die Höhe oder der Zeitpunkt der künftigen Erträge des bilanzierenden Unternehmens durch den Vertrag ändern)
- Die Erlangung der Gegenleistung (in der Regel Bezahlung) muss aus Sicht des leistenden Unternehmens wahrscheinlich sein
Eine Ertragsvereinnahmung ohne das Vorliegen aller Kriterien ist nicht gestattet. Sofern eines oder mehrere Kriterien nicht erfüllt sind, hat an jedem folgenden Abschlussstichtag eine Neubewertung der Kriterien durch das Unternehmen zu erfolgen. Wenn der jeweilige Vertrag die Voraussetzungen einmal erfüllt hat, hat eine diesbezügliche erneute Kontrolle nur zu erfolgen, wenn es einen Hinweis darauf gibt, dass bei Fakten und Umständen eine signifikante Änderung eingetreten ist.
Im Praxisbeispiel können alle Kriterien als kumulativ erfüllt angesehen werden. Die Vertragsparteien stimmen durch Unterzeichnung des Vertrags der Lieferung der Maschine sowie den Wartungsleistungen zu. Die durchsetzbaren Rechte und Pflichten sind ebenfalls durch den Vertrag geklärt, da der Auftragnehmer sich zur Lieferung der Maschine im Dezember 2019 sowie zur halbjährlichen Wartung ab Juni 2020 verpflichtet. Der Auftraggeber verpflichtet sich zur Zahlung der vereinbarten Preise. Beide Vertragsparteien haben das Recht, die soeben beschriebenen Pflichten vom Vertragspartner einzufordern.
Die vertraglich festgelegten Zahlungsbedingungen sehen es vor, dass der Auftraggeber den Preis für die Maschine innerhalb von 30 Tagen nach Lieferung zahlt. Für die Wartungsleistungen ist der Preis für jede Wartung innerhalb von 30 Tagen nach erfolgter Wartung zu zahlen.
Die wirtschaftliche Substanz des Vertrags ist dadurch gegeben, dass sich die Höhe der Erträge des Auftragnehmers voraussichtlich künftig ändern wird.
Die Erlangung der Gegenleistung war bei Vertragsschluss 2019 für alle im Vertrag aufgeführten Leistungen wahrscheinlich, da der Auftraggeber über eine gute Bonität verfügte.
Schritt 2: Identifizierung der separaten Leistungsverpflichtungen des Vertrags
Wenn ein Vertrag identifiziert wurde, der in den Anwendungsbereich des IFRS 15 fällt, ist im zweiten Schritt zu prüfen, ob voneinander separat abgrenzbare Leistungsverpflichtungen im Vertrag enthalten sind. Um von einer separat abgrenzbaren Leistungsverpflichtung sprechen zu können, müssen die folgenden Kriterien erfüllt sein:
- Nutzenkriterium: Der Kunde kann die Leistung entweder selbstständig oder mit bereits vorhandenen Ressourcen nutzen.
- Trennbarkeitskriterium: Die Leistung muss vom Unternehmen trennbar sein, das heißt eine selbstständige Verkehrsfähigkeit besitzen.
Wenn Leistungsverpflichtungen nicht voneinander separierbar sind, fassen Sie es solange mit anderen Leistungsverpflichtungen zusammen, bis ein einzeln abgrenzbares Leistungsbündel identifiziert ist, das die notwendigen Kriterien erfüllt.
Im Praxisbeispiel liegt ein Mehrkomponentengeschäft vor, da durch den Vertrag elf Leistungsverpflichtungen begründet werden. Zum einen ist hier die Lieferung der Maschine im Dezember 2019 zu benennen. Zum anderen hat der Auftragnehmer ab Juni 2020 in halbjährlichen Abständen insgesamt zehn Wartungen der Maschine durchzuführen.
Die Nutzen- und das Trennbarkeitskriterien sind für alle Leistungsverpflichtungen als erfüllt anzusehen. Der Auftraggeber kann sowohl aus der Maschine als auch aus den Wartungsleistungen (zusammen mit anderen Ressourcen, die er bereits vom Auftragnehmer erhalten hat, das heißt der Maschine) einen Nutzen ziehen. Weiterhin besitzen die Lieferung der Maschine und die Wartungsleistungen eine selbstständige Verkehrsfähigkeit.
Schritt 3: Bestimmung des Transaktionspreises
Im dritten Schritt des fünfstufigen Modells ist der Vertrag durch Ermittlung des Transaktionspreises zu bewerten. Der Transaktionspreis ist die Gegenleistung, die das Unternehmen von seinem Kunden für die Ausführung der Leistungsverpflichtungen aufgrund des Vertrags erwarten kann. Bei der Berechnung des Transaktionspreises ist davon auszugehen, dass die Leistungsverpflichtungen auf den Kunden übergehen und der Vertrag nicht gekündigt, verlängert oder geändert wird.
In die Ermittlung des Transaktionspreises sind neben festen Bestandteilen auch variable Gegenleistungen (z.B. Preisnachlässe) einzubeziehen. Diese sind auch dann gegeben, wenn das Recht des Unternehmens auf Gegenleistung von dem Eintreten oder Nichteintreten künftiger Ereignisse abhängt. Da variable Gegenleistungen für das bilanzierende Unternehmen Unsicherheit bedeuten, ist deren Höhe mit besonderer Sorgfalt zu schätzen. Es empfiehlt sich, stets historische und aktuelle Informationen sowie Prognosen über zukünftige Entwicklungen heranzuziehen. Daher hat die Schätzung der variablen Gegenleistung in dem Umfang zu erfolgen, in dem es hochwahrscheinlich ist, dass es bei Wegfall der Unsicherheiten hinsichtlich der Höhe der variablen Beträge nicht zu einer signifikanten Stornierung der bereits erfassten kumulierten Umsatzerlöse kommt.
Ein weiterer in den Transaktionspreis einzubeziehender Bestandteil sind signifikante Finanzierungskomponenten. Diese liegen vor, wenn zwischen der Leistungserbringung durch das Unternehmen und der Erbringung der Gegenleistung durch den Kunden ein Zeitraum von über einem Jahr liegt (z.B. bei einem langfristigen Fertigungsauftrag im Baugewerbe oder im Maschinenbau). Erbringt das Unternehmen seine Verpflichtung zuerst, liegt der Finanzierungsvorteil beim Kunden. Im umgekehrten Fall liegt der Finanzierungsvorteil beim Unternehmen. Ökonomisch gesehen entspricht dies der Gewährung eines Kredits. Sofern das Unternehmen oder der Kunde einen signifikanten finanziellen Vorteil daraus ziehen kann, liegt eine signifikante Finanzierungskomponente vor. Die betreffenden Gegenleistungen sind in diesem Fall um den Zeitwert des Gelds anzupassen. Dies erfolgt durch Berichtigung mittels eines laufzeit- und risikoäquivalenten Zinssatzes. Dieser ist grundsätzlich der Zinssatz, den das bilanzierende Unternehmen bei einem gesonderten Finanzierungsgeschäft verwenden würde, wenn es dieses zu Vertragsbeginn mit dem Kunden schlösse. Wichtige Komponenten, die die Höhe dieses Zinssatzes beeinflussen, sind die Kreditwürdigkeit sowie vorhandene Sicherheiten des Kunden.
Weitere, im Transaktionspreis zu berücksichtigende, Komponenten können nicht zahlungswirksame Gegenleistungen (wie z.B. Aktien) oder an den Kunden zu zahlende Gegenleistungen (z.B. Gutscheine) sein. Bei an den Kunden zu zahlende Gegenleistungen ist es wichtig, dass diese kein Entgelt für eine durch den Kunden erbrachte Leistung darstellen dürfen.
Um zum Abschlussstichtag einen „true and fair view“ der bilanzierten Verträge zu vermitteln, müssen bilanzierende Unternehmen Schätzungen bei der Ermittlung von Transaktionspreisen zu jedem Abschlussstichtag aktualisieren.
Im Praxisbeispiel wird vertraglich ein Preis für alle Leistungsverpflichtungen in Höhe von. 1,5 Mio. € vereinbart. Da der Auftraggeber langjähriger Kunde des Auftragnehmers ist und der Auftragnehmer auch zukünftig die Zusammenarbeit anstrebt, gewährt er dem Auftraggeber einen Preisnachlass (variable Gegenleistung) in Höhe von 150.000 €. Der Transaktionspreis beträgt daher 1.350.000 €.
Schritt 4: Verteilung des Transaktionspreises auf die identifizierten Leistungsverpflichtungen
Sofern im zweiten Schritt mindestens zwei separate Leistungsverpflichtungen identifiziert werden konnten, hat im vierten Schritt eine Aufteilung des Transaktionspreises auf die einzelnen Leistungsverpflichtungen zu erfolgen. Dies geschieht auf Basis der relativen Einzelveräußerungspreise. Grundsätzlich ist der Einzelveräußerungspreis der Preis, zu dem das Unternehmen eine identische oder zumindest ähnliche Leistung unter ähnlichen Bedingungen an ähnliche Kunden verkauft. Sofern ein Einzelveräußerungspreis nicht direkt gegeben ist, hat das Unternehmen eine bestmögliche Schätzung vorzunehmen.
Häufig stimmen, wenn der Vertrag mehrere separate Leistungsverpflichtungen enthält, die Summe der Einzelveräußerungspreise und der Transaktionspreis nicht überein. Dies ist durch Preisnachlässe zu erklären. Ein Preisnachlass ist ebenfalls auf der Basis der relativen Einzelveräußerungspreise auf die einzelnen Leistungsverpflichtungen aufzuteilen, sofern er nicht einer oder mehreren Leistungsverpflichtungen eindeutig zuzuordnen ist.
Im Praxisbeispiel ist der Transaktionspreis in Höhe von 1.350.000 € auf die elf identifizierten Leistungsverpflichtungen aufzuteilen. Wenn die Maschine einzeln verkauft werden würde, würde ihr Einzelveräußerungspreis 1.200.000 € betragen.
Für jede Wartung würde ein Einzelveräußerungspreis in Höhe von 30.000 € anfallen. Die Summe der Einzelveräußerungspreise beträgt somit 1.200.000 € + 30.000 € x 10 = 1.500.000 €. Dies entspricht dem ursprünglich vertraglich festgelegten Preis ohne die variable Gegenleistung in Form des Preisnachlasses in Höhe von 150.000 €.
Der relative Anteil der Maschine an der Summe der Einzelveräußerungspreise beträgt (1.200.000 : 1.500.000) x 100 = 80 %. Der relative Anteil jeder Wartung beträgt dementsprechend (30.000 : 1.500.000) x 100 = 2 %. Auf dieser Basis ist der Transaktionspreis in Höhe von 1.350.000 € auf die Leistungsverpflichtungen aufzuteilen.
Für die Maschine ergibt sich schlussendlich ein Transaktionspreis in Höhe von 1.350.000 € x 80 % = 1.080.000 €. Auf jede Wartung entfällt ein Anteil in Höhe von 1.350.000 € x 2 % = 27.000 €.
Schritt 5: Umsatzrealisation bei Erfüllung der Leistungsverpflichtung
Im letzten Schritt des Modells ist zu prüfen, zu welchem Zeitpunkt oder in welchem Zeitraum die Ertragsvereinnahmung erfolgt. Sobald das Unternehmen eine Leistungsverpflichtung erfüllt hat, ist die Ertragsvereinnahmung in der Höhe des Transaktionspreises der jeweiligen Leistungsverpflichtung vorzunehmen. Dies erfolgt durch den Ausweis eines aktiven Vertragspostens oder einer Forderung (aus Lieferungen und Leistungen). Das entsprechende Gegenkonto ist das Konto für Umsatzerlöse.
Aktive Vertragsposten sind zu erfassen, wenn das Unternehmen eine Leistung erbracht und ein Recht auf Gegenleistung seitens des Kunden hat, die Zahlung aber noch von anderen Bedingungen außer ihrer Fälligkeit abhängig ist und daher kein unmittelbarer Zahlungsanspruch besteht. Forderungen (aus Lieferungen und Leistungen) sind zu erfassen, wenn das Unternehmen einen unmittelbaren Zahlungsanspruch aufgrund der erbrachten Leistung(en) oder einen Anspruch auf Vorauszahlung seitens des Kunden hat.
Wichtig ist, dass eine Leistungsverpflichtung erst dann als erfüllt gilt, wenn der Kunde die Verfügungsgewalt darüber erlangt hat. Der Begriff der Verfügungsgewalt wird im Kontext des IFRS 15 als Fähigkeit verstanden, die Nutzung der Leistungsverpflichtung zu bestimmen und im Wesentlichen den verbleibenden Nutzen aus ihr zu ziehen.
Bei der Erlangung der Verfügungsgewalt unterscheidet IFRS 15 zwischen zeitraum- und zeitpunktbezogenen Leistungsverpflichtungen. Bei einer zeitraumbezogenen Leistungsverpflichtung erfolgen die Verschaffung der Verfügungsgewalt an den Kunden und somit auch die Ertragsvereinnahmung mit fortschreitender Leistungserbringung. Mindestens eines der folgenden Kriterien muss für das Vorliegen einer zeitraumbezogenen Leistungsverpflichtung gegeben sein:
- Die Leistungsverpflichtung weist keine alternative Nutzungsmöglichkeit für das Unternehmen auf; zudem hat das Unternehmen einen durchsetzbaren Zahlungsanspruch für die bereits erbrachten Leistungen.
- Durch die Leistungserbringung des Unternehmens wird ein Vermögenswert erstellt oder verbessert, dessen Kontrolle bereits beim Kunden liegt.
- Der Kunde zieht und verbraucht einen Nutzen parallel zur Leistungserbringung durch das Unternehmen.
Häufig erfüllen Fertigungsaufträge die soeben beschriebenen Anforderungen.
Wenn keine zeitraumbezogene Leistungsverpflichtung vorliegt ist von einer zeitpunktbezogenen Leistungsverpflichtung auszugehen. Hierbei erfolgen die Verschaffung der Verfügungsgewalt an den Kunden und die Ertragsvereinnahmung zu einem Zeitpunkt (z.B. bei der Lieferung von Waren).
Im Praxisbeispiel liegen ausschließlich zeitpunktbezogene Leistungsverpflichtungen vor. Die Lieferung der Maschine sowie die Wartungen erfolgen jeweils zu einem Zeitpunkt, weshalb der Auftragnehmer nach Ausführung jeder Leistungsverpflichtung eine Forderung (aus Lieferungen und Leistungen) sowie einen Umsatzerlös in Höhe des soeben ermittelten Transaktionspreises für jede Leistungsverpflichtung bilanzieren muss. Nachdem der Auftraggeber die fälligen Zahlungen geleistet hat, nimmt der Auftragnehmer die Buchung „Bank an Forderungen (aus Lieferungen und Leistungen)“ in entsprechender Höhe vor.
Herausforderungen bei der Bilanzierung nach IFRS 15 im Zuge der Corona-Pandemie
Um die Bilanzierung eines Vertrags nach IFRS 15 vornehmen zu können, muss eine hohe Wahrscheinlichkeit gegeben sein, dass das Unternehmen die Gegenleistung des Kunden für die erbrachten Leistungen erhält. In Zeiten der Corona-Pandemie kann es jedoch vorkommen, dass Kunden in ihrer Zahlungsfähigkeit temporär gehemmt sind, wodurch dieses Kriterium unter Umständen nicht mehr erfüllt ist. Hemmung bedeutet in diesem Kontext, dass der Kunde sich eine eigene Liquiditätsreserve schaffen und daher seiner Zahlungsverpflichtung vorerst nicht nachkommen möchte. Wenn ein solcher Verdacht besteht, fordert IFRS 15 eine Neubeurteilung des Vorliegens aller Kriterien, die im 1. Schritt des Modells beschrieben wurden. Wenn kein Vertrag im Sinne des IFRS 15 mehr gegeben ist, darf kein weiterer Umsatz erfasst werden.
In diesem Kontext können bilanzierte aktive Vertragsposten oder Forderungen (aus Lieferungen und Leistungen), die mit den nach IFRS 15 bilanzierten Verträgen zusammenhängen, durch eine gehemmte Zahlungsfähigkeit des Kunden wertgemindert sein. Die Überprüfung einer möglichen Wertminderung dieser Vermögenswerte hat nach den Vorschriften des IFRS 9 (Finanzinstrumente) zu erfolgen. Sollte eine Wertminderung notwendig sein, ist der hieraus entstehende Aufwand erfolgswirksam in der Gewinn- und Verlustrechnung zu erfassen und korrigiert dadurch den bereits erfassten Umsatzerlös wieder.
Im Hinblick auf das Praxisbeispiel müsste der Auftragnehmer bei deutlich verschlechterter Bonität und damit einem erhöhten Ausfallrisiko des Auftraggebers 2020/2021 beurteilen, ob noch ein Vertrag im Sinne des IFRS 15 vorliegt. Sofern dies nicht gegeben wäre, dürften Umsatzerlöse im Zusammenhang mit diesem Vertrag nicht mehr erfasst werden. Bereits erfasste Umsatzerlöse mit erhaltenen Zahlungen durch den Auftraggeber wären jedoch nicht zu korrigieren, da diese erfasst wurden, als noch ein gültiger Vertrag im Sinne des IFRS 15 vorlag. Da die Maschine bereits im Dezember 2019 geliefert und innerhalb von 30 Tagen auch bezahlt wurde, hat hier keinerlei Korrektur zu erfolgen. Für die erste Wartung, die im Juni 2020 stattfand, oder nachfolgend ausgeführte Wartungen ist unter Umständen eine Wertminderung der bilanzierten Forderung (aus Lieferungen und Leistungen) erforderlich, wenn absehbar ist, dass der Auftraggeber den Transaktionspreis in Höhe von 27.000 € für die jeweilige Wartung nicht bezahlen kann. Der hierdurch entstehende Aufwand neutralisiert den bereits erfassten Umsatzerlös.
Auch können Kosten, die bei der Anbahnung eines Vertrags angefallen sind und die als Vermögenswert aktiviert wurden (ohne den Vertrag wären die Kosten nicht angefallen und es wird ein nachträglicher Ausgleich dafür erwartet, z.B. bei einer Verkaufsprovision) oder Vertragserfüllungskosten (die bei der Erfüllung eines Vertrags anfallen und für die man ebenfalls einen nachträglichen Ausgleich erwartet, wie z.B. Lohn- oder Materialeinzelkosten) wertgemindert sein. Eine außerplanmäßige Abschreibung nach IAS 36 (Wertminderung von Vermögenswerten) kann somit erforderlich sein, wenn der Buchwert der aktivierten Kosten höher ist als die Summe des verbleibenden Teils der Gegenleistung, die das Unternehmen im Austausch für die Erbringung der Leistungsverpflichtungen, auf die sich die aktivierten Kosten beziehen, erwartet und der Kosten, die bei Erbringung der betreffenden Leistungsverpflichtung anfallen und die nicht aufwandswirksam erfasst wurden.
Im Zuge der Corona-Pandemie kommt es gegebenenfalls zu einer Häufung von Vertragsmodifikationen. Eine Vertragsmodifikation wird definiert als Änderung eines bestehenden Vertragsumfangs und/oder -preises, der alle Vertragsparteien zugestimmt haben und durch die entweder neue durchsetzbare Rechte und Pflichten der Vertragspartner begründet oder die bestehenden abgeändert werden (z.B. wenn zusätzliche, eigenständige Leistungen zu ihrem Einzelveräußerungspreis geliefert werden). Sofern der Vertragsumfang durch die Modifikation zunimmt und sich gleichzeitig auch der vertraglich vereinbarte Preis erhöht, ist die Modifikation als neuer, unabhängiger Vertrag zu bilanzieren. Sofern nicht beide Voraussetzungen gegeben sind, sind die Änderungen mit dem bereits bestehenden Vertrag zu vereinheitlichen. Kündigungen von Verträgen zählen ebenfalls als Vertragsmodifikation und müssen mit dem bereits bestehenden Vertrag zusammengefasst werden. Durch die Häufung von Vertragsmodifikationen in Zeiten der Corona-Pandemie haben Unternehmen einen erhöhten Aufwand darin, zu beurteilen, wie die weitere Bilanzierung der Verträge zu gestalten ist.
Wichtig ist auch, dass signifikante Finanzierungskomponenten entstehen können, wenn Unternehmen ihren Kunden einen Zahlungsaufschub gewähren. Die nachträgliche Anpassung des Transaktionspreises mittels eines neu ermittelten laufzeit- und risikoäquivalenten Zinssatzes kann somit erforderlich sein. Eine Vertragsmodifikation liegt jedoch nicht vor, da Vertragsumfang und -preis sich nicht ändern.
Würde im Praxisbeispiel weiterhin ein Vertrag nach IFRS 15 gegeben sein und der Auftragnehmer dem Auftraggeber aus Kulanz einen Zahlungsaufschub für eine oder mehrere Leistungsverpflichtungen (Wartungen) gewähren, wäre zu beurteilen, ob hierdurch signifikante Finanzierungskomponenten entstehen. Der Transaktionspreis der betreffenden Leistungsverpflichtung(en) wäre nachträglich mittels eines neu ermittelten Zinssatzes zu korrigieren., Diesen würde der Auftragnehmer dann bei einem gesonderten Finanzierungsgeschäft mit dem Kunden verwenden.
Auch die Schätzung variabler Gegenleistungen ist im Hinblick auf die Corona-Pandemie womöglich von erhöhter Relevanz. Es können sich bei der Berechnung Unsicherheiten ergeben, da zukünftige Entwicklungen schwieriger abzuschätzen sind. Weiterhin ist es notwendig, bestehende Schätzungen variabler Gegenleistungen an die aktuellen Umstände anzupassen, um den zum Abschlussstichtag vorherrschenden Entwicklungen Rechnung zu tragen. Sofern eine Anpassung von variablen Gegenleistungen vorzunehmen ist, erfolgt die Aufteilung grundsätzlich entsprechend der relativen Einzelveräußerungspreise auf die verschiedenen Leistungsverpflichtungen, wenn sie nicht einer oder mehreren Leistungsverpflichtungen eindeutig zuzuordnen ist. Bei bereits ausgeführten Leistungsverpflichtungen kann dies dazu führen, dass die hierfür bereits erfassten Umsatzerlöse nachträglich korrigiert werden müssen. Dies hat in dem Wirtschaftsjahr zu erfolgen, in dem die Anpassung der variablen Gegenleistung vorgenommen wurde.
Handlungsmöglichkeiten für Unternehmen
Vor Abschluss eines neuen Vertrags mit einem Kunden ist es gerade in der aktuellen Zeit unumgänglich, die Zahlungsfähigkeit des Kunden besonders gründlich zu prüfenbzw. durch Erlangung von Sicherheiten (z.B. Finanzierungszusagen von Banken, Warenkreditversicherungen etc.) die Zahlungsfähigkeit abzusichern. Auch sollten Sie bei bestehenden Verträgen laufend und sehr sorgfältig prüfen, ob die Erbringung der Gegenleistung durch den Kunden wahrscheinlich ist, da ansonsten kein Vertrag mehr im Sinne des IFRS 15 vorliegt. In diesem Kontext empfiehlt sich auch eine regelmäßige Prüfung der Werthaltigkeit aktivierter Vermögenswerte (Vertragskosten und -erfüllungskosten) sowie von aktiven Vertragsposten und Forderungen (aus Lieferungen und Leistungen).
Achten Sie weiterhin auf die Auswirkungen gewährter Zahlungsaufschübe an Ihre Kunden. Sofern dadurch signifikante Finanzierungskomponenten entstehen, nehmen Sie eine Anpassung des Transaktionspreises vor.
Bei Vertragsmodifikationen ist ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, wie die weitere Bilanzierung des Vertrags gestaltet werden muss.
Hinsichtlich der Schätzung von variablen Gegenleistungen sollten Sie verstärkt auf eine laufende Aktualisierung achten, um die aktuellen Umstände bestmöglich im Transaktionspreis zu berücksichtigen. Weiterhin ist es von Vorteil, zu versuchen, die Schätzung variabler Gegenleistungen auf Grundlage einer möglichst hohen Dichte an sachdienlichen Informationen vorzunehmen.
Wenn Sie Fragen hierzu haben, zögern Sie nicht, uns anzusprechen. Wir beraten Sie persönlich.