Europäischer Gerichtshof verwehrt Vertrauensschutz beim Reihengeschäft

Hintergrund

Im Gegensatz zu innergemeinschaftlichen Dreiecksgeschäften sind normale Reihengeschäfte nicht in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) geregelt und werden daher in der EU unterschiedlich behandelt. Die Folge ist eine erhebliche Unsicherheit für die Unternehmen hinsichtlich der korrekten umsatzsteuerlichen Erfassung von Reihengeschäften, was durchaus auch Konflikte zwischen den Vertragsparteien provozieren kann.

Nach Jahren der Akzeptanz dieses unbefriedigenden Zustands, plant die EU-Kommission aktuell eine einheitliche Regelung für Reihengeschäfte. Ob diese aber die Zustimmung aller EU-Mitgliedstaaten findet, ist ungewiss. Insofern bleibt derzeit nur die aktuelle Rechtsprechung zur Orientierung.

Sachverhalt

Eine deutsche GmbH (D) verkaufte Produkte an ein Unternehmen in Österreich (Ö1). Für den Transport der Ware von Deutschland nach Österreich war der Abnehmer zuständig. Ohne dass D hiervon wusste, verkaufte Ö1 die Waren an ein weiteres Unternehmen in Österreich weiter (Ö2). Ö2 verpflichtete sich gegenüber Ö1 den Transport von Deutschland nach Österreich durchzuführen und tat dies auch.

D behandelte den Umsatz an Ö1 als innergemeinschaftliche Lieferung, da sie von Ö2 nichts wusste. Ö1 stellte Ö2 Rechnungen mit österreichischer Umsatzsteuer. Ö2 machte hieraus die Vorsteuer geltend.

Nachdem D der wahre Sachverhalt bekannt wurde, teilte er dies der deutschen Finanzverwaltung mit, die sogleich Umsatzsteuer nachforderte. Im Anschluss an eine Steuerfahndung in Österreich kam heraus, dass Ö1 die österreichische Umsatzsteuer weder deklariert noch abgeführt hatte, mit der Begründung, dass die Lieferung ja gar nicht in Österreich steuerbar sei. Ö2, die hiervon nichts wusste, wurde daraufhin der Vorsteuerabzug versagt. Auch wenn Ö1 die Rechnungen korrigierte, blieb Ö2 letztendlich auf der österreichischen Umsatzsteuer sitzen, da Ö1 die Insolvenz erklärte und die österreichische Umsatzsteuer nicht zurückzahlte. Ö2 klagte gegen die Kürzung des Vorsteuerabzuges in Österreich. Das zuständige Finanzgericht legte den Fall dem Europäischen Gerichtshof vor. Unter anderem sollte der Gerichtshof klären, ob die Lieferung von D an Ö1 (ausnahmsweise) als innergemeinschaftliche Lieferung zu behandeln sei, wenn D nichts vom Reihengeschäft wusste und wenn dies nicht der Fall sei, ob Ö2 dennoch zum Vorsteuerabzug berechtigt sei, wenn dieser nicht missbräuchlich vorgenommen worden sei.

Entscheidung

Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs ist allein entscheidend, welche der beiden Lieferungen die bewegte Lieferung darstellt. Dies erfordert eine umfassende Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls. Im Fall ist dies die zweite Lieferung (Ö1 an Ö2), da Ö2 schon in Deutschland wie ein Eigentümer über die Ware verfügen konnte. Dass D hiervon nichts wusste, ändert nichts an der umsatzsteuerlichen Erfassung.

Ö2 hingegen steht ein Vorsteuerabzug nicht zu, auch nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes. Der Gerichtshof verweist insofern auf die Möglichkeit, den Lieferanten auf Auszahlung der Umsatzsteuer zu verklagen.

Konsequenz

Der Fall zeigt, dass Unkenntnis nicht vor Schaden schützt. Nicht erkannte Reihengeschäfte können daher den Beteiligten - hier D (Zinsschaden) und Ö2 (Versagung Vorsteuerabzug) - teuer zu stehen kommen; Vertrauensschutzaspekte greifen nicht. In der Praxis hilft nur eine gründliche Klärung der Lieferbeziehungen, gegebenenfalls auch eine Abstimmung unter den Beteiligten. Einen 100-prozentigen Schutz gibt es jedoch derzeit leider nicht.

Darüber hinaus bleibt der Europäische Gerichtshof seiner bisherigen Rechtsprechung treu, wonach insbesondere der Zeitpunkt der Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums auf den zweiten Erwerber von entscheidender Bedeutung für die korrekte umsatzsteuerliche Erfassung des Reihengeschäfts ist. Dies weicht unverändert von der Auffassung der deutschen Verwaltung ab, was die Deklaration erschwert. Es bleibt daher zu hoffen, dass die EU-Mitgliedstaaten den Plänen der EU-Kommission zustimmen, um eine Vereinheitlichung der Reihengeschäfte zu erreichen.

Gert Klöttschen

Steuerberater

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