Betriebliches Eingliederungsmanagement – wie es gelingt und worauf Arbeitgeber achten sollten

 

Jeder Mitarbeiter wird einmal krank. In vielen Fällen ist der Arbeitgeber nach dem Gesetz dazu verpflichtet, ein Betriebliches Eingliederungsmanagement (kurz: BEM) durchzuführen. Ein solches BEM ist deutlich mehr als ein wohlmeinendes Krankenrückkehrgespräch. Was genau sich dahinter verbirgt, ist im Gesetz allerdings kaum geregelt. Wir haben bei unseren Arbeitsrechtlern nachgefragt, was es damit auf sich hat.

Was ist ein BEM und wozu dient es?

Huth: Das BEM ist ein Verfahren zur Klärung, wie die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. So beschreibt es der Gesetzgeber. Das Verfahren ist an den genannten drei Zielen auszurichten: Genesung, Vorbeugung, Arbeitsplatzerhalt. Weil jeder Fall anders ist und deshalb jedes BEM anders verläuft, gibt es keine Vorgaben zum eigentlichen Inhalt. Am Ende steht meist eine Vereinbarung über das weitere Vorgehen.

Und wann muss es durchgeführt werden?

Prasse: Immer dann, wenn der Arbeitnehmer innerhalb von zwölf Monaten länger als sechs Wochen arbeitsunfähig war. Es ist egal, ob es sich um einen zusammenhängenden Zeitraum handelt oder nicht, um immer dieselbe oder um verschiedene Krankheiten. Es spielt auch keine Rolle, ob die Erkrankung etwas mit dem Beruf zu tun hat oder nicht. Selbst wenn der Arbeitgeber erkennbar keine Maßnahmen zur Genesung oder zur Vorbeugung ergreifen kann und der Arbeitsplatz gar nicht in Gefahr ist, ist ein BEM vorgesehen. Mit solchen Feststellungen lässt es sich aber möglicherweise rasch abschließen.

Wer nimmt am BEM teil?

Alatzides: Zunächst einmal der betroffene Arbeitnehmer selbst – allerdings nur dann, wenn er das möchte. Er ist zur Teilnahme nicht verpflichtet, aber ohne ihn kann das BEM natürlich nicht stattfinden. Außer ihm der Arbeitgeber bzw. ein Vertreter des Arbeitgebers; das kann z. B. ein entsprechend fortgebildeter Mitarbeiter der HR-Abteilung oder auch ein spezieller BEM-Beauftragter sein. Das Gesetz sieht zudem die Beteiligung des Betriebsrats sowie, wenn es um einen schwerbehinderten Mitarbeiter geht, auch der Schwerbehindertenvertretung vor. Beide sind natürlich nur dann zu beteiligen, wenn es sie gibt. Außerdem sind ggfs. der Werks- oder Betriebsarzt und in bestimmten Fällen der Reha-Träger und/oder das Integrationsamt hinzuzuziehen. Die Beteiligten können sich sogar auf weitere Personen einigen, wenn das sachdienlich erscheint. Das können etwa behandelnde Ärzte des Mitarbeiters, der Vorgesetzte oder andere Mitarbeiter sein. Immer bedarf es aber der Zustimmung des Betroffenen.

Was geschieht, wenn der Arbeitgeber das BEM nicht durchführt?

Huth: Der Arbeitgeber ist verpflichtet, das BEM anzubieten. Allerdings kennt das Gesetz keine Sanktion, wenn er es nicht tut. Nach wohl zutreffender und jedenfalls überwiegender Meinung hat der einzelne Arbeitnehmer nicht einmal einen einklagbaren Anspruch auf das BEM. Die praktische Erfahrung zeigt, dass es in vielen Unternehmen auch nicht regelmäßig stattfindet. Das birgt aber drei Risiken für den Arbeitgeber: Zum Ersten entgeht ihm womöglich die Gelegenheit, durch unterstützende Maßnahmen einer wiederholten Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen; dann wird er auch in der Zukunft mit dem krankheitsbedingten Ausfall des betreffenden Arbeitnehmers rechnen müssen, obwohl dies vielleicht vermeidbar wäre. Zum Zweiten kann das wiederholte Unterlassen von BEM ein erstes Indiz für eine Benachteiligung von schwerbehinderten und/oder kranken Mitarbeitern sein. Die Rechtsprechung ist zwar aus guten Gründen vorsichtig damit, aber wenn sich der Eindruck der Diskriminierung erst einmal festgesetzt hat, bleiben bekanntlich auch sachliche Gegenargumente bisweilen ohne Chance. Und das Dritte: Das BEM kann wichtige Voraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung sein.

Muss denn vor jeder krankheitsbedingten Kündigung ein BEM durchgeführt werden?

Prasse: Ja und nein. Ein klares Nein aus akademischer Sicht: Es gibt keine Regel, nach der ein BEM zwingend voranzustellen ist. Ein ebenso klares Ja aber aus der Praxis der Unternehmen und der Rechtsanwender: Hat der Arbeitgeber ohne vorheriges BEM krankheitsbedingt gekündigt, kämpft er vor Gericht dann auf verlorenem Posten. Normalerweise hilft ihm eine ausgefeilte Beweislastverteilung. Danach muss der Arbeitgeber nur Indizien vortragen, aufgrund derer die Prognose gerechtfertigt erscheint, der Arbeitnehmer werde (auch) in der Zukunft oft krankheitsbedingt fehlen. Ohne vorheriges BEM entfällt diese Indizwirkung, so dass der Arbeitgeber letztlich den Vollbeweis dafür erbringen muss, dass sich die gesundheitliche Situation des Arbeitnehmers in absehbarer Zeit nicht bessern wird. Dafür fehlen ihm aber so gut wie immer die erforderlichen Informationen. Es ist also keine gute Idee, sich das BEM zu sparen, wenn später eine Kündigung folgen soll.

Aber mit einem BEM nimmt der Arbeitgeber diese Hürde?

Alatzides: Die formale Hürde der Beweislastverschärfung, ja. Aber auch nur dann, wenn er ein ordnungsgemäßes BEM durchgeführt hat. Wir halten das für teilweise sehr übertrieben, aber die Rechtsprechung ist nun einmal zunehmend kleinteilig: Enthielt das Einladungsschreiben einen Fehler, etwa in der Datenschutzbelehrung, kann das BEM schon unzureichend sein. Außerdem folgt aus einer neuen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, dass das BEM im Zeitpunkt der Kündigung nicht mehr als sechs Wochen zurückliegen darf. Denn dann wäre ja gleich wieder ein neues BEM erforderlich. Auch wenn das Gericht Ausnahmen zulassen will, ist keinem Arbeitgeber dazu raten, sich auf ein solches Risiko einzulassen.

Wie steht es eigentlich um den Datenschutz im BEM?

Huth: Klar ist, dass die im BEM erhobenen, teils höchstpersönlichen und intimen persönlichen Daten einem besonderen Schutz unterliegen. Der Betroffene ist darauf hinzuweisen und muss der Verarbeitung seiner Daten ggfs. zustimmen. Das folgt aus dem allgemeinen Datenschutzrecht; spezielle Regeln für das BEM gibt es nicht. Schwierig zu beantworten und in Teilen ungeklärt ist die Frage, welche Informationen aus dem BEM der Arbeitgeber für eine spätere Kündigung verwenden darf. 

Sprechen Sie uns an, wenn Sie Fragen zum BEM haben. Wir beraten Sie gerne persönlich. 
 

Michael Huth

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht

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Jana Prasse

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Alexandra Hecht

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht

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