Wegzugsbesteuerung bei lediglich vorübergehender Abwesenheit
Hintergrund
Der Bundesfinanzhof hatte jüngst darüber zu entscheiden, ob das im Rahmen der Wegzugsbesteuerung normierte Merkmal der nur „vorübergehenden Abwesenheit“ ungeachtet einer bereits bei Wegzug bestehenden „Rückkehrabsicht“ des Steuerpflichtigen erfüllt sein kann, wenn dieser innerhalb des gesetzlich bestimmten Zeitraums (bis 30.6.2021 fünf Jahre; seit 1.7.2021 sieben Jahre) nach dem Wegzug wieder in die unbeschränkte Steuerpflicht eintritt.
Wegzugsbesteuerung als letzter Akt der unbeschränkten Steuerpflicht
Die Wegzugsbesteuerung gilt als „letzter Akt der unbeschränkten Steuerpflicht“ und unterwirft im Zeitpunkt des Wegzugs sämtliche in Kapitalgesellschaftsanteilen angesammelten Wertzuwächse einer Besteuerung. Dies gilt grundsätzlich ungeachtet der abkommensrechtlichen Lage und eines möglichen Fortbestehens des Besteuerungsrechts durch die Bundesrepublik Deutschland.
Der Steueranspruch aus der Wegzugsbesteuerung entfällt jedoch mit Wirkung für die Vergangenheit, wenn die Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht auf einer nur „vorübergehenden Abwesenheit“ beruht und der Steuerpflichtige innerhalb des gesetzlich bestimmten Zeitraums (bis 30.6.2021 fünf Jahre; seit 1.7.2021 sieben Jahre) wieder in die unbeschränkte Steuerpflicht eintritt.
Rückkehrregelung nur bei von Anfang an bestehender Rückkehrabsicht?
Im Urteilsfall hatte ein Steuerpflichtiger gegenüber dem Finanzamt erst seinen Wegzug (2014) und dann eine zwischenzeitliche Rückkehr nach Deutschland (2016) erklärt. Für das Jahr 2017 – bei Veranlagung 2014 bereits bekannt – plante der Steuerpflichtige, seinen Wohnsitz langfristig aus Deutschland zu verlegen.
Der Bundesfinanzhof hatte nun für den Veranlagungszeitraum 2014 darüber zu entscheiden, ob das Merkmal der nur „vorübergehenden Abwesenheit“ in dem Gesetzeswortlaut des § 6 Abs. 3 Satz 1 Außensteuergesetz (AStG) auch bei fehlender Rückkehrabsicht des Steuerpflichtigen erfüllt sein kann, sodass der Steueranspruch für das Jahr 2014 – aufgrund der tatsächlich erfolgten Rückkehr im Jahr 2016 – mit Wirkung für die Vergangenheit entfällt.
Im Kern ging es um die Frage, ob das Merkmal der nur „vorübergehenden Abwesenheit“ bereits im Zeitpunkt des Wegzugs mit einer „Rückkehrabsicht“ des Steuerpflichtigen verbunden sein muss (subjektive Theorie) oder ob für das Entfallen der Wegzugsbesteuerung auch eine tatsächliche „fristgemäße Rückkehr“ innerhalb des Betrachtungszeitraums ausreichend ist (objektive Theorie).
Bundesfinanzhof verneint Rückkehrwillen als Voraussetzung
Der Bundesfinanzhof hat nun klargestellt, dass das Merkmal der „vorübergehenden Abwesenheit“ allein das gesetzgeberische Motiv für das Entfallen der Wegzugsbesteuerung benennt und nicht zwingend als zu erfüllendes Tatbestandsmerkmal zu verstehen ist. Demnach ist das zum Entfallen der Wegzugsbesteuerung führende Merkmal der „nur vorübergehenden Abwesenheit“ in § 6 Abs. 3 Satz 1 AStG unabhängig von einer „Rückkehrabsicht“ erfüllt, wenn der Steuerpflichtige innerhalb des gesetzlich bestimmten Zeitraums nach dem Wegzug wieder unbeschränkt steuerpflichtig wird.
Auswirkungen auf die Neufassung der Wegzugsbesteuerung zum 1.7.2021
Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie der EU (Anti Tax Avoidance Directive – ATAD) ist die Wegzugsbesteuerung nach § 6 AStG reformiert worden. Obgleich in der Neufassung verlängerte Betrachtungszeiträume für das Erfüllen der Wegzugsbesteuerung und des Entfallens des Steueranspruchs implementiert wurden, ist das Merkmal der nur „vorübergehenden Abwesenheit“ auch in der Neufassung des § 6 AStG mit demselben Wortlaut übernommen worden. Dies gilt ebenso für die fortbestehende „Rückkehrabsicht“ des Steuerpflichtigen. Die Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 6 AStG führt hierzu jedoch aus, dass es auf eine Glaubhaftmachung der Rückkehrabsicht nicht mehr ankomme und eine hinreichende Wahrscheinlichkeit zur Rückkehr bereits genügen sollte (vgl. BT-Drucksache 19/28652, S. 49).
Die Entscheidungsgründe in dem Urteilsfall können nach unserem Rechtsverständnis auch auf die Neufassung der Wegzugsbesteuerung übertragen werden. Die erforderliche „Rückkehrabsicht“ wird von der Entscheidung nicht berührt, ist in Fällen der Neuregelung aber nicht mehr gegenüber der Finanzverwaltung glaubhaft zu machen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 21.12.2022 – I R 55/19