Strafzuschläge sind europarechtskonform
Das steuerliche Verfahrensrecht sieht eine Verpflichtung zur Dokumentation aller Geschäftsbeziehungen mit ausländischen nahestehenden Personen und der dabei vereinbarten Verrechnungspreise vor. Die Dokumentationspflicht ist mit empfindlichen Strafzuschlägen verknüpft, die von der Finanzverwaltung bereits bei behaupteten Mängeln zunehmend auch festgesetzt werden. Das Finanzgericht Bremen hatte Zweifel geäußert, ob dies mit dem Europarecht vereinbar ist, doch der Europäische Gerichtshof (EuGH) teilt diese Zweifel nicht.
Gesetzliche Regelung
Unterhält ein inländischer Steuerpflichtiger Geschäftsbeziehungen zu nahestehenden Personen im Ausland, muss er hierüber Aufzeichnungen erstellen und diese den Finanzbehörden auf Anforderung, insbesondere im Rahmen einer Betriebsprüfung, innerhalb von 60 Tagen vorlegen (§ 90 Abs. 3 Abgabenordnung – AO). Wird diese sogenannte Verrechnungspreisdokumentation nicht vorgelegt oder ist sie im Wesentlichen unverwertbar, wird widerlegbar vermutet, dass die Verrechnungspreise nicht angemessen sind und der erklärte Gewinn zu niedrig ist. Die Finanzbehörde ist in diesen Fällen zur Schätzung berechtigt und darf den Schätzrahmen zulasten des Steuerpflichtigen ausschöpfen (§ 162 Abs. 3 AO). Darüber hinaus sind nach § 162 Abs. 4 AO Zuschläge festzusetzen, wenn die Aufzeichnungen nicht oder verspätet vorgelegt werden bzw. im Wesentlichen unverwertbar sind. Der Zuschlag beträgt zwischen 5 und 10 % des Mehrbetrags der Einkünfte, der sich aufgrund der Schätzung ergibt, mindestens jedoch 5.000 €. Bei verspäteter Vorlage werden mindestens 100 € pro Tag der Fristüberschreitung, maximal 1 Mio. € festgesetzt.
Vorlage des Finanzgerichts Bremen
Das Finanzgericht Bremen hatte den EuGH angerufen, um zu klären, ob die Regelung in § 162 Abs. 4 AO mit der europäischen Niederlassungsfreiheit vereinbar ist. Das Gericht hatte daran Zweifel geäußert, weil die Vorschrift über das hinausgehe, was zur Erreichung eines legitimen Zwecks – nämlich einer sachgerechten Aufteilung des Besteuerungssubstrats – erforderlich sei. Dieser Zweck werde nämlich bereits durch die Schätzungsbefugnis der Finanzverwaltung erreicht, sodass die Strafzuschläge im Ergebnis zu einer „Doppelbestrafung“ führten, die ausschließlich bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zur Anwendung komme. Darin sah das Finanzgericht einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit (Blogbeitrag vom 14.9.2021).
Entscheidung des EuGH
Der EuGH teilt die Bedenken des Finanzgerichts nicht und hat entschieden, dass die Strafzuschläge nach § 162 Abs. 4 AO mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar sind. Zwar werde die Niederlassungsfreiheit durch die Vorschrift beschränkt, jedoch sei diese Beschränkung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Als einen solchen Grund sieht der EuGH – wie bereits in früheren Verfahren – die Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten. Die Strafzuschläge dienten ebendiesem Zweck und gingen auch nicht über das hinaus, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich sei. Auch die „Doppelbestrafung“ hält der EuGH im Ergebnis nicht für problematisch, weil die Schätzung einer Berichtigung der Einkünfte diene, die Strafzuschläge dagegen die Missachtung der Dokumentationspflicht sanktionieren. Diese zwei unterschiedlichen Zwecksetzungen rechtfertigten auch zwei unterschiedliche Sanktionsmechanismen.
Ausblick
Die Entscheidung des EuGH dürfte die deutsche Finanzverwaltung weiter ermuntern, Strafzuschläge bei angeblich unverwertbaren Dokumentationen anzudrohen und auch tatsächlich festzusetzen. Dieser Trend lässt sich bereits in den letzten Jahren deutlich beobachten. Die Situation für die international aufgestellten Unternehmen dürfte dabei in Zukunft noch ungemütlicher werden, weil nach einem aktuell vorliegenden Gesetzentwurf künftig die Vorlage der Dokumentation auch unabhängig von einer Außenprüfung verlangt werden kann und die Vorlagefrist bei Außenprüfungen – auch ohne gesonderte Anforderung – generell auf 30 Tage verkürzt werden soll (Blogbeitrag vom 14.9.2022). Eine zeitnahe und laufende Dokumentation aller Geschäfte mit ausländischen nahestehenden Personen wird somit zur notwendigen Compliance-Aufgabe.
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 13.10.2022 – C-431/21