Steuerpflicht von Streubesitzdividenden ist verfassungsgemäß
Hintergrund
Ausschüttungen einer Körperschaft an eine an dieser beteiligten Körperschaft unterliegen seit dem 1.3.2013 der Körperschaftsteuer, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahrs unmittelbar weniger als 10 % des Grund- oder Stammkapitals betragen hat. Hintergrund der Gesetzesänderung war seinerzeit die Gleichstellung inländischer und ausländischer Anteilsinhaber in Reaktion auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Für die Gewerbesteuer gilt eine vergleichbare Regelung. Hier bleiben entsprechende Beteiligungserträge gewerbesteuerfrei, wenn die Beteiligung zu Beginn des Erhebungszeitraums mindestens 15 % des Grund- oder Stammkapitals beträgt.
Verfassungsrechtliche Zweifel
Beide Vorschriften standen im Verdacht, verfassungswidrig zu sein. Nach dem Übergang zum Halb- bzw. Teileinkünfteverfahren dient die Freistellung von Gewinnausschüttungen der Umsetzung der gesetzgeberischen Grundentscheidung, erwirtschaftete Gewinne nur einmal bei der erwirtschaftenden Körperschaft mit Körperschaft- und Gewerbesteuer zu besteuern und erst bei der Ausschüttung an eine natürliche Person als Anteilseigner mit Einkommensteuer zu belasten.
Diese Grundentscheidung – Ausschüttungen zur Vermeidung von Kaskadeneffekten in Beteiligungsketten außer Ansatz zu lassen – wird durch die Steuerpflicht von Streubesitzdividenden (Beteiligungshöhe weniger als 10 % bzw. 15 %) im Sinne einer nicht folgerichtigen Ausgestaltung durchbrochen.
Durchbrechung ist gerechtfertigt
In einer am 27.8.2020 veröffentlichten Entscheidung vom 18.12.2019 hat der Bundesfinanzhof allerdings entschieden, dass diese Durchbrechung verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Die Herstellung einer europarechtskonformen Rechtslage zur Abgrenzung der Besteuerungshoheiten der betroffenen Finanzverwaltungen sei als ein hinreichender Rechtfertigungsgrund im Sinne eines qualifizierten Fiskalzwecks anzuerkennen. Dies gelte auch dann, wenn im Gesetzgebungsverfahren die Frage der Haushaltskonsolidierung im Vordergrund gestanden habe. Dasselbe gelte im Ergebnis auch für die Gewerbesteuer. Der Gesetzgeber habe sich bei der Ausgestaltung des Schachtelprivilegs im Rahmen seines weiten Gestaltungsspielraums bewegt.
Konsequenz
Die Entscheidung hat keine unmittelbare Auswirkung, da die geltende Rechtslage letztlich bestätigt wird. Die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Normen hat der Bundesfinanzhof nicht geteilt. Interessant an der Entscheidung ist, dass der Bundesfinanzhof in seiner Begründung auch auf die Steuerpflicht von Veräußerungsgewinnen aus Streubesitzanteilen eingeht. Denn Gewinne aus der Veräußerung von Beteiligungen an anderen Kapitalgesellschaften sind auch dann steuerfrei, wenn der Anteil weniger als 10 % beträgt. Eine Einbeziehung solcher Veräußerungsgewinne sei für eine systemkongruente Lösung indes nicht erforderlich, verfassungsrechtlich also nicht geboten. Der Gesetzgeber hatte zuletzt 2015 angekündigt, die Steuerpflicht solcher Gewinne ergebnisoffen prüfen zu wollen. Bei dieser Ankündigung ist es bislang jedoch geblieben.