Kein Recht auf Unerreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit

Unerreichbar nach Dienstschluss?

In dem Fall, den das BAG zu entscheiden hatte, ging es um die Frage, ob ein im Schichtdienst tätiger Notfallsanitäter in seiner Freizeit auf eine kurzfristige Dienstplanänderung seitens seiner Arbeitgeberin reagieren muss. Nachdem die Arbeitgeberin wiederholt versucht hatte, den Arbeitnehmer telefonisch und per SMS über die Dienstplanänderung zu informieren, reagierte der Kläger nicht auf die Weisungen seiner Arbeitgeberin und erschien verspätet zur Arbeit. Die Beklagte erteilte dem Kläger daraufhin eine Abmahnung und kürzte die nicht geleisteten Arbeitsstunden aus dem Arbeitszeitkonto des Klägers. Der Kläger wehrte sich dagegen mit dem Argument, dass er weder dazu verpflichtet sei, während seiner Freizeit zu überprüfen, ob sich nach Dienstschluss noch Änderungen im Dienstplan ergeben haben, noch in seiner Freizeit Weisungen der Beklagten entgegenzunehmen.

BAG verlangt Erreichbarkeit von Arbeitnehmern

Das BAG teilte die Auffassung des Klägers nicht. Es entschied – entgegen der Vorinstanz –, dass der Kläger verpflichtet war, auch nach Dienstschluss, zwar nicht ununterbrochen, aber doch im Grundsatz erreichbar zu sein hat. Jedenfalls kurzzeitig Nachrichten auf dem eigenen Mobiltelefon und damit die Weisung der Arbeitgeberin zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend dieser Weisung zu handeln, sei dem Arbeitnehmer zuzumuten.  

Das Gericht begründet seine Auffassung mit dem gegenseitig geltenden Rücksichtnahmegebot im Arbeitsverhältnis. Dazu gehöre eben auch die Pflicht, im Zusammenwirken mit dem Vertragspartner, also dem Arbeitgeber, die Voraussetzungen für die Durchführung des Vertrags zu schaffen und Erfüllungshindernisse nicht entstehen zu lassen. Hierzu gehöre eben auch die rechtzeitige Kenntnisnahme von Dienstplanänderungen. 

Was heißt das für die Praxis?

Aus Sicht von Arbeitgebern ist diese Entscheidung zu begrüßen. Das BAG hat dem unbegrenzten Recht auf Unerreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit eine klare Absage erteilt. Dies ermöglicht es Arbeitgebern, auch außerhalb der Arbeitszeit ihren Betrieb – wenn nötig – flexibel zu organisieren. Offengelassen hat das Gericht allerdings, in welchem Umfang Arbeitgeber arbeitsvorbereitende Tätigkeiten auf Zeiträume außerhalb der Arbeitszeit verlagern können. Die Grenze dürfte wohl dann erreicht sein, wenn arbeitgeberseitige Weisungen so vermehrt außerhalb der Arbeitszeit ergehen, dass Arbeitnehmer:innen in der freien Gestaltung ihrer Freizeit beeinträchtigt werden. Wann dies der Fall ist, kann pauschal nicht gesagt werden, sondern bedarf einer Berücksichtigung der Gesamtumstände im Einzelfall. Gerne beraten Sie hierzu unsere Expert:innen.


Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.8.2023 – 5 AZR 349/22
 

Michael Huth

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht

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