Bewertung belasteter Erbbaugrundstücke anhand Gutachtens

Kernaussage

Der BFH hat entschieden, dass die Ermittlung des Bedarfswerts eines Erbbaugrundstücks nicht unbedingt nach dem für die Erbschaftsteuer maßgebenden typisierenden Wert gemäß § 194 BewG erfolgen muss, sondern die ImmoWertV die Ermittlung des Bedarfswerts durch Gutachten nach der finanzmathematischen Methode gestattet.

Sachverhalt

Die Klägerin (K) erbte in 2010 u.a. 28 Grundstücke in X, die mit Erbbaurechten belastet und mit Reihenhäusern bzw. einem Werkstattgebäude bebaut sind. Das zuständigen Finanzamts stellte die jeweiligen Grundstückswerte auf den Besteuerungszeitpunkt 2010 gesondert fest. Die Summe der Werte betrug 300.000 €. Das FA folgte dabei der sog. finanzmathematischen Methode nach § 194 Abs. 2 bis 4 BewG. Es nahm u.a. einen Liegenschaftszinssatz von 3 % für die Reihenhäuser und 6,5 % für das Geschäftsgrundstück sowie einen geschätzten Erbbauzins von 2,20 €/m² an. Gebäudeanteile berücksichtigte es nicht, da kein entschädigungsloser Übergang vereinbart sei.

Im Einspruchsverfahren wurden von K Sachverständigengutachten vorgelegt. Der Sachverständige ermittelte Grundstückswerte von insgesamt 210.000 €. Er nahm für die Reihenhäuser einen Liegenschaftszinssatz von 4 % an und setzte die tatsächlich vereinbarten Erbbauzinsen an. Die Gebäude berücksichtigte er nicht, da sie zwar nur zu 2/3 zu entschädigen seien, aber eine Restnutzungsdauer unterhalb der Restlaufzeit der Erbbauverträge aufwiesen. Das Geschäftsgrundstück hat er als Teil des Einfamilienhausgrundstücks behandelt.

Das FA wies die Einsprüche mit der Erwägung zurück, die finanzmathematische Methode sei nicht sachgerecht. Der regionale Grundstücksmarktbericht enthalte Vergleichsfaktoren für den Teilmarkt "Erbbaugrundstücke für Ein- und Zweifamilienhäuser". Die hieraus nach § 194 Abs. 1 BewG i.V.m. § 183 BewG folgenden Werte lägen höher als bisher festgestellt. Eine Verböserung fand nicht statt.

Einspruch und Klage blieben erfolglos, der BFH sah dies anders.

Entscheidung

Die Revision ist begründet. Statt des für die Wertermittlung eines Erbbaugrundstücks für die Erbschaftsteuer maßgebenden typisierenden Werts nach § 194 BewG sind die durch die Klägerin nach Maßgabe von § 198 BewG nachgewiesenen, niedrigeren gemeinen Werte anzusetzen.

Nach § 157 Abs. 3 Satz 1 BewG sind u.a. für die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens die Grundbesitzwerte unter Anwendung der §§ 176 bis 198 BewG zu ermitteln. Ist das Grundstück mit einem Erbbaurecht belastet, sind gemäß § 192 Satz 1 BewG die Werte für die wirtschaftliche Einheit Erbbaurecht nach § 193 BewG und für die wirtschaftliche Einheit des belasteten Grundstücks nach § 194 BewG gesondert zu ermitteln. Letzteres ist das Erbbaugrundstück.

§ 194 BewG enthält zwei im Stufenverhältnis stehende Methoden. Nach § 194 Abs. 1 BewG ist der Wert des Erbbaugrundstücks in erster Linie im Vergleichswertverfahren nach § 183 BewG zu ermitteln, entweder auf der Grundlage von Vergleichskaufpreisen nach § 183 Abs. 1 BewG, die von den Gutachterausschüssen i.S. der §§ 192 ff. BauGB mitgeteilt werden, oder mit Hilfe von aus Kaufpreisen abgeleiteten Vergleichsfaktoren, die von den Gutachterausschüssen ermittelt und mitgeteilt werden. Liegen weder Vergleichskaufpreise noch Vergleichsfaktoren vor, setzt sich der Wert nach der von der Finanzverwaltung so bezeichneten finanzmathematischen Methode des § 194 Abs. 2 BewG aus dem Bodenwertanteil nach § 194 Abs. 3 BewG und ggf. einem Gebäudewertanteil nach § 194 Abs. 4 BewG zusammen.

Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert der wirtschaftlichen Einheit am Bewertungsstichtag niedriger ist als der nach den §§ 179, 182 bis 196 BewG ermittelte Wert, so ist nach § 198 Satz 1 BewG dieser Wert anzusetzen. Materiell-rechtlich gelten für den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts nach § 198 Satz 2 BewG grundsätzlich die auf Grund des § 199 Abs. 1 BauGB erlassenen Vorschriften. Wie deren Eingangsformel zeigt, handelt es sich dabei um die ImmoWertV, die nach ihrem § 24 Satz 1 am 01.07.2010 in Kraft getreten ist. Die ImmoWertV regelt die Wertermittlung von Erbbaugrundstücken nicht ausdrücklich. Ihrer Systematik nach lässt sie die Wertermittlung über eine finanzmathematische Methode zu. Das ergibt sich inzident bereits aus § 14 Abs. 2 Nr. 2 ImmoWertV. Nach § 14 Abs. 1 ImmoWertV dienen Marktanpassungsfaktoren der Erfassung der allgemeinen Wertverhältnisse auf dem Grundstücksmarkt. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 ImmoWertV gehören dazu auch Faktoren zur Anpassung finanzmathematisch errechneter Werte von Erbbaurechten oder Erbbaugrundstücken. Diese Vorschrift eröffnet zwar nicht selbst eine finanzmathematische Wertermittlungsmethode, setzt sie aber voraus. Andernfalls liefe sie mangels Anknüpfungsmerkmals für den Marktanpassungsfaktor leer. Auch die materiell-rechtlichen Wertermittlungsgrundsätze des § 8 ImmoWertV zeigen, dass die finanzmathematische Methode als Kombination verschiedener Wertermittlungsarten grundsätzlich möglich ist. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 ImmoWertV sind zur Ermittlung des Verkehrswerts das Vergleichswertverfahren (§ 15 ImmoWertV) einschließlich des Verfahrens zur Bodenwertermittlung (§ 16 ImmoWertV), das Ertragswertverfahren (§§ 17 bis 20 ImmoWertV), das Sachwertverfahren (§§ 21 bis 23 ImmoWertV) oder mehrere dieser Verfahren heranzuziehen. Die Wahl des Verfahrens erfolgt nach Maßgabe von § 8 Abs. 1 Satz 2 ImmoWertV. Der Verkehrswert ist nach § 8 Abs. 1 Satz 3 ImmoWertV aus dem Ergebnis des oder der herangezogenen Verfahren unter Würdigung seines oder ihrer Aussagefähigkeit zu ermitteln. Diese Vorschrift stellt in doppelter Hinsicht klar, dass bei der Wertermittlung für ein bestimmtes Wertermittlungsobjekt nicht zwingend eines der drei Wertermittlungsverfahren zu wählen ist, sondern dass dabei auch zwei oder drei dieser Verfahren zum Zuge kommen können, zum einen mit den Worten "oder mehrere dieser Verfahren", zum anderen mit der Wendung "des oder der herangezogenen Verfahren". Die Verwendung mehr als eines Verfahrens ist einerseits als Durchschnitt, andererseits als Synthese von Bausteinen verschiedener Wertermittlungsmethoden vorstellbar, solange dies den Vorgaben des § 8 Abs. 1 Satz 2 ImmoWertV entspricht. Dabei sind alle Wertbestandteile nach Maßgabe der ImmoWertV zu ermitteln. Die Typisierungen und Pauschalisierungen des BewG finden keine Anwendung. Die Liegenschaftszinssätze sind nach § 14 Abs. 3 ImmoWertV zu ermitteln.

Soweit das FG die finanzmathematische Methode für ungeeignet hält, weil sie stets zu dem niedrigsten denkbaren Wert führe, ist dem in doppelter Hinsicht nicht zu folgen. Es kann offenbleiben, ob eine Wertermittlung, die den in § 198 Satz 2 BewG vorgesehenen Vorschriften folgt, überhaupt abstrakt-generell als ungeeignet qualifiziert werden darf. Zum einen setzt dies eine durch andere Vorschriften oder Sachgesetzlichkeiten vordefinierte Wertspanne voraus, die es nicht gibt. Vielmehr bilden korrekt ermittelte Liegenschaftszinssätze nach § 14 Abs. 3 ImmoWertV die marktübliche Verzinsung ab. Zum anderen übergeht dies den Umstand, dass der nach der ImmoWertV errechnete finanzmathematische Wert noch mit dem Marktanpassungsfaktor aus § 14 Abs. 2 Nr. 2 ImmoWertV zu multiplizieren ist. Der Marktanpassungsfaktor kann den Wert eins betragen, was jedoch nicht zwingend ist.

Im Streitfall kann dahinstehen, ob im Rahmen der typisierten Bewertung nach § 194 BewG das Vergleichswertverfahren des § 194 Abs. 1 BewG mit den durch die K beanstandeten Vergleichsfaktoren anzuwenden oder durch die finanzmathematische Methode des § 194 Abs. 2 bis 4 BewG zu ersetzen wäre. Es sind die beantragten niedrigeren Gutachtenwerte festzustellen.

Der BFH ist an die abweichende Würdigung durch das FG nicht gebunden. Das FG ist davon ausgegangen, dass die ImmoWertV die Anwendung einer finanzmathematischen Methode nicht erlaube. Dies entspricht nicht der Rechtslage. Die Wahl dieser Methode ist grundsätzlich zulässig. Insoweit hat das FG seiner Beweiswürdigung nicht zutreffende Rechtsgrundsätze zugrunde gelegt.

Die Wahl der finanzmathematischen Methode ist auch im konkreten Einzelfall nicht zu beanstanden. Der BFH nimmt die entsprechende Würdigung selbst vor, da alle dafür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen vorliegen. Der Gutachter hat ausgeführt, warum er eine reine Vergleichswertmethode für ungeeignet, eine ertragsorientierte Methode für besser geeignet hält. Gegen diese Begründung ist nichts zu erinnern. Es ist grundsätzlich plausibel, dass ein beliebiger Erwerber eines Erbbaugrundstücks sich umso mehr an den Ertragsaussichten orientieren wird, je länger die verbleibende Laufzeit des Erbbaurechts ist. Er kann auf die entsprechende Zeit das Grundstück selbst nicht nutzen, sofern er nicht selbst der Erbbauberechtigte ist. Rechtlich ist der Markt für Erbbaugrundstücke unbeschränkt. Jeder beliebige Dritte kann ein solches Grundstück erwerben. Es ist deshalb zulässig, auch die Sichtweise eines beliebigen Dritten zu bedenken. Damit zusammenhängend ist die Erwägung, dass die zur Verfügung stehenden Vergleichsparameter unterschiedslos aus Verkäufen an die jeweiligen Erbbauberechtigten herrühren, während es keine Vergleichsfälle für den externen Markt gibt, nicht sachwidrig. Die Wertermittlung hat auf den gemeinen Wert abzuzielen. Dieser wird nach § 9 Abs. 2 Satz 1 BewG durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Gewöhnlicher Geschäftsverkehr i.S. des § 9 Abs. 2 Satz 1 BewG ist der Handel, der sich nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage vollzieht und bei dem die Vertragspartner ohne Zwang und nicht aus Not, sondern freiwillig in Wahrung ihrer eigenen Interessen zu handeln in der Lage sind. Damit ist der gewöhnliche Geschäftsverkehr grundsätzlich der gesamte Markt. Liegen tatsächlich nur Vergleichsfälle vor, in denen die jeweiligen Erbbauberechtigten die Erbbaugrundstücke erworben haben, repräsentieren diese den Markt jedenfalls nicht vollständig. Es bedarf im Streitfall keiner abschließenden Entscheidung, ob es sich bei der Eigenschaft der Erwerber als Erbbauberechtigte um persönliche Verhältnisse handelt, die nach § 9 Abs. 2 Satz 3 BewG nicht zu berücksichtigen sind, so dass festzustellen wäre, ob und ggf. in welchem Umfang dieser Umstand den Preis beeinflusst. Zumindest ist ein solcher Einfluss nicht ausgeschlossen. Im Rahmen von Zweckmäßigkeitserwägungen betreffend die geeignete Wertermittlungsmethode ist es zulässig und auch sachgerecht, die darin liegende Unsicherheit durch Wahl einer anderen Methode zu eliminieren.

Zutreffend ist schließlich auch, dass der Eigentümer des Erbbaugrundstücks einen Verkauf gerade an den Erbbaurechtsnehmer nicht erzwingen kann. Will dieser nicht kaufen, ist der Eigentümer, der verkaufen will oder muss --etwa, um die Erbschaftsteuer zu bezahlen-- auf den externen Markt angewiesen. Es begegnet auch vor diesem Hintergrund keinen Bedenken, von einer Vergleichswertermittlung, die den externen Markt ausblendet, Abstand zu nehmen und eine andere Methode zu wählen.

Für die Frage, ob sich der gutachterliche Nachweis des gemeinen Werts auf eine andere Wertermittlung als das Vergleichswertverfahren stützen darf, ist es unerheblich, ob nach § 194 Abs. 1 BewG das Vergleichswertverfahren hätte Anwendung finden können und müssen. Während § 194 BewG einen gesetzlichen Vorrang des Vergleichswertverfahrens begründet, ist dies bei der Wertermittlung nach § 8 ImmoWertV nicht der Fall.

Hinweis

Damit hat der BFH eine bisher noch nicht höchstrichterlich geklärte Frage zugunsten der betroffenen Grundstückserwerber entschieden.

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