Vorsteuerabzug aus Erschließungskosten – zu den aktuellen Entwicklungen
Die umsatzsteuerliche Beurteilung der Erschließung von Grundstücken durch Grundstücksvermarktungsunternehmen bereitet seit vielen Jahren erhebliche Schwierigkeiten.
Es wäre zu meinen, dass ein umsatzsteuerlicher Vorsteuerabzug aus vorsteuerbehafteten Erschließungsaufwendungen doch zulässig sein müsste, soweit ein Unternehmen – ungeachtet dessen, ob dieses in kommunaler Trägerschaft steht – die getragenen und vorfinanzierten Erschließungskosten in die Preise für umsatzsteuerpflichtige Ausgangsleistungen einkalkuliert.
Dem steht jedoch schon immer die steuerliche Theorie entgegen, wenn es sich um vorsteuerbehaftete Erschließungskosten in der Kombination mit der (zwangsweisen) unentgeltlichen Übertragung von Erschließungsanlagen auf einen (hoheitlichen) Straßenbaulastträger, also die Kommune, handelt.
Aus Sicht der Finanzverwaltung war auf Grundlage einer Verwaltungsverfügung aus dem Jahr 2012 ein Vorsteuerabzug aus Erschließungskosten immer dann ausgeschlossen, wenn die Erschließungsanlagen nach deren Fertigstellung unentgeltlich an den Straßenbaulastträger übertragen wurden. Als alternatives Korrektiv konnte die unentgeltliche Übertragung der Erschließungsmaßnahme auf die Kommune eine unentgeltliche Wertabgabe auslösen.
Mit anderen Worten:
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Entweder wird die unentgeltliche Übertragung als umsatzsteuerpflichtige unentgeltliche Wertabgabe klassifiziert, sodass zwar die Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug gegeben sind, weil die vorsteuerbehafteten Erschließungskosten in einem unmittelbaren und direkten Zusammenhang mit einer umsatzsteuerpflichtigen Leistung stehen, dieser wegen der gleichzeitigen Umsatzbesteuerung aber wertlos ist.
- Oder ein Vorsteuerabzug wird direkt negiert und eine unentgeltliche Wertabgabe ist nicht zu versteuern.
EuGH stellt Auffassung des BFH infrage
Einen gewissen Ruck in die Sache brachte der Europäische Gerichtshof (EuGH). Durch dessen Rechtsprechung wurde die sehr restriktive und zeitlich aus Sicht der Steuerpflichtigen überholte Auffassung der Finanzverwaltung und des deutschen Bundesfinanzhofs (BFH) mehr als infrage gestellt. Auch wenn es sich bei den Urteilssachverhalten um teilweise sehr komplexe Einzelsachverhalte handelte, war die Tendenz klar: Soweit vorsteuerbehaftete Erschließungskosten mit umsatzsteuerpflichtigen Ausgangsumsätzen einhergehen, kann ein Vorsteuerabzug nicht ausgeschlossen sein. Diese umsatzsteuerliche Würdigung ist höchst praxisrelevant, da die Kommunen im Regelfall die unentgeltliche Übertragung zur Bedingung der Erschließung eines Baugebiets machen. Die Richter des XI. Senats des BFH schlossen sich mit ihrem Folgeurteil der EuGH-Rechtsprechung an (Stichwort: „Mitteldeutsche Hartstein-Industrie AG).
Nach der EuGH- und nunmehr auch der BFH-Rechtsprechung wird für die Zulässigkeit des Vorsteuerabzugs bereits ein mittelbarer Zusammenhang zwischen vorsteuerbehafteten Eingangsleistungen zu steuerpflichtigen Ausgangsleistungen akzeptiert. Eine umsatzsteuerrelevante unentgeltliche Wertabgabe, die neben der Frage der Vorsteuerabzugs besteht, wird vom EuGH immer dann verneint, wenn kein unversteuerter Letztverbrauch droht. Fließen die vorsteuerbehafteten Erschließungskosten demnach in den Preis der umsatzsteuerpflichtigen Ausgangsumsätze ein, droht kein unversteuerter Letztverbrauch und folglich auch keine unentgeltliche Wertabgabe.
Besonders erwähnt werden soll das Urteil des Finanzgerichts (FG) Münster aus 2023, wonach ein Unternehmer, der Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, wenn ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsleistung besteht.
Ohne auf das angeführte Urteil des FG Münster einzugehen, reagierte das Bundesfinanzministerium (BMF) im Januar dieses Jahres auf die BFH-Rechtsprechung. Die Praxis, die mit diesem Schreiben auf eine rechtssichere Anwendung gehofft hatte, wurde jedoch enttäuscht. Das BMF erläutert zwar die Konsequenzen aus dem aktuellen BFH-Urteil, eine allgemeingültige Anwendung der höchstrichterlichen Finanzgerichtsrechtsprechung wird jedoch abgelehnt. Insofern werden die Konsequenzen aus der BFH-Rechtsprechung aus Sicht der Finanzverwaltung auf Basis jenes BMF-Schreibens nur mit sehr deutlichen Einschränkungen gezogen. Das BMF hält unerklärlicherweise – gegen die Finanzgerichtsrechtsprechung – an seinem alten Schreiben aus dem Jahr 2012 fest.
Ein Vorsteuerabzug ist demnach immer dann zu versagen, wenn aus den errichteten und entgeltlich übertragenen Erschließungsanlagen ein nicht nur nebensächlicher Vorteil für die Kommune oder die Allgemeinheit gegeben ist. Das BMF macht alles an der – in der BFH-Rechtsprechung entwickelten – Einschränkung der Unerlässlichkeit fest.
BMF sieht keinen Änderungsbedarf
Das BMF verneint die Unerlässlichkeit und den Vorsteuerabzug dann, wenn ein Vorteil für die Allgemeinheit angenommen werden kann. Aber in der Praxis ist es gerade ganz anders gelagert. Die vorsteuerbehafteten Erschließungskosten sind insbesondere dann erforderlich und unerlässlich, wenn der Unternehmer seine wirtschaftliche Tätigkeit ohne jene Aufwendungen gar nicht ausüben könnte.
Für den Vorsteuerabzug bzw. das Nichtvorliegen einer unentgeltlichen Wertabgabe sind im Wesentlichen folgende Fragen entscheidungsrelevant:
- Bestehen zwischen dem kommunalen Träger und der kommunalen Entwicklungsgesellschaft Vereinbarungen im Hinblick darauf, dass zunächst eine unentgeltliche Übertragung von zu erschließenden Grundstücken zu erfolgen hat und anschließend eine unentgeltliche Rückübertragungsverpflichtung der erschlossenen Grundstücke zurück auf den kommunalen Träger einzuhalten ist?
- Sind die Erschließungsmaßnahmen für das Unternehmen erforderlich und gehen diese nicht über das Übliche hinaus?
- Ist der Vorteil aus Erschließungsmaßnahmen für einen Dritten (also die Allgemeinheit) allenfalls nebensächlich?
- Werden die Erschließungskosten in den Preis der umsatzsteuerpflichtigen Ausgangsumsätze (in der Regel mittels Option zu umsatzsteuerpflichtigen Grundstücksumsätzen) einkalkuliert?
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich dieser Problembereich, der sehr häufig mit sehr hohen Vorsteuerpotenzialen einhergeht, noch im Fluss befindet und das letzte Wort noch nicht gesprochen sein dürfte. Die Fälle sollten offengehalten und gegebenenfalls einer gerichtlichen Klärung zugeführt werden.