Umsatzsteuerrechtliche Behandlung von Marktgebühren einer Erzeugergenossenschaft

Kernaussage

Kauft eine Erzeugergenossenschaft Lebensmittel von ihren Mitgliedern in ihrer Eigenschaft als Erzeuger an und liefert diese Lebensmittel in eigenem Namen und auf eigene Rechnung an Abnehmer weiter, sind "Marktgebühren", die die Erzeugergenossenschaft von dem an die Erzeuger zu zahlenden Kaufpreis abzieht, kein Entgelt für eine Vermarktungsleistung.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine eingetragene Genossenschaft (eG). Sie ist infolge Verschmelzung zum 01.09.2013 als übernehmende Genossenschaft Gesamtrechtsnachfolgerin der … eG (O) als übertragende Genossenschaft sowie eine anerkannte Erzeugerorganisation. O betrieb die gemeinschaftliche Verwertung von Obst und Gemüse sowie sonstiger landwirtschaftlicher und gartenbaulicher Erzeugnisse (Erzeugnisse) ihrer Mitglieder (Erzeuger). Nur Mitglieder der O waren nach § 1 der im Jahr 2010 (Streitjahr) geltenden Anlieferungsordnung "Obst und Gemüse" (Stand: 13.02.2003; nachfolgend: Anlieferungsordnung) als Anlieferer zugelassen. Die Mitglieder waren nach § 2 Abs. 1 der Anlieferungsordnung verpflichtet, alle in ihrer Wirtschaft anfallenden marktfähigen und zum Absatz über die Erzeugerorganisation geeigneten Obst- und Gemüseerzeugnisse, mit Ausnahme der für ihren Haushalt benötigten Mengen, bei O anzuliefern. Direktverkäufe waren nur mit Zustimmung der Erzeugerorganisation zulässig. Jedoch durfte nach § 2 Abs. 2 der Anlieferungsordnung mit Zustimmung der Genossenschaft ein bestimmter Prozentsatz der Erzeugnisse ab Hof verkauft werden.

Die landwirtschaftlichen Erzeugnisse wurden entsprechend den Anlieferungsbedingungen vom Erzeuger so angeliefert, dass sie ohne größere Aufbereitung weiter geliefert werden konnten (gewaschen, sortiert, verpackt), soweit sie nicht vom Abnehmer direkt am Hof abgeholt wurden. Die Erzeugerorganisation versorgte den Erzeuger mit Verpackungen; diese wurden von O an den Erzeuger verkauft, soweit es sich nicht um Mehrwegverpackungen (Pfandware) handelte (§ 3 der Anlieferungsordnung).

Nach § 4 Abs. 1 der Anlieferungsordnung vermarktete O die angelieferten Erzeugnisse im eigenen Namen auf eigene Rechnung. Sie verkaufte die Erzeugnisse an verschiedene Erwerber (Abnehmer). Gegenüber den Abnehmern trat O als Verkäuferin auf. § 4 Abs. 2 der Anlieferungsordnung regelte den Übergang des Eigentums an den Erzeugnissen auf O: Beim im Streitjahr praktizierten freien Verkauf erfolgte der Eigentumsübergang im Zeitpunkt der Preisvereinbarung der O mit dem Abnehmer und im Falle des Vorverkaufs mit Übergabe an den Abnehmer. Die Ware blieb bis zur vollständigen Bezahlung des Kaufpreises durch den Abnehmer Eigentum der O.

Die Auszahlungspreise an die Erzeuger ergaben sich aus den jeweiligen Verkaufserlösen abzüglich der festgesetzten Abschläge, u.a. Verpackungskosten, Werbebeiträge, Kühlkosten etc. (§ 4 Abs. 5 der Anlieferungsordnung). Die Abrechnung der Lieferungen der Erzeuger an O erfolgte durch Gutschrift (§ 4 Abs. 7 der Anlieferungsordnung). Die in § 4 Abs. 5 der Anlieferungsordnung genannten Abschläge wurden auch als "Marktgebühren" bezeichnet, im Rahmen der Gutschriften an die Erzeuger vom Verkaufserlös der O an die Abnehmer abgezogen und von O einbehalten. Sie waren vom Vorstand und Aufsichtsrat der O festgelegt worden und dienten der Deckung der Kosten der O für die Erfüllung ihrer satzungsgemäßen Aufgaben. Im Streitjahr betrugen sie --abhängig vom Gesamtumsatz des Erzeugers degressiv-- zwischen 7 % und 2 % des Veräußerungserlöses.

O legte in ihren Gutschriften an die Erzeuger den Veräußerungserlös abzüglich der Abschläge als Gegenleistung für die Lieferungen der Erzeuger an O der Besteuerung zugrunde. Die Umsatzsteuer berechnete O --je nach Wahl des Erzeugers-- entweder nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes (UStG) oder nach Durchschnittssätzen (§ 24 UStG a.F.); die sich ergebende Umsatzsteuer zog O als Vorsteuer ab.

Zum typischen Ablauf der Verkäufe hat das Finanzgericht (FG) Folgendes festgestellt: Der Abnehmer bestellte die Ware in der Regel mündlich oder telefonisch. Eine schriftliche Fixierung fand nicht statt. Die Verkäufer der O handelten den bestmöglichen Preis aus. Sodann wurde die Ware vom Erzeuger bei O angeliefert, überprüft und am selben Tag an den Abnehmer weiter geliefert. Häufig wurde sie auch vom Abnehmer direkt beim Erzeuger abgeholt oder vom Erzeuger an den Abnehmer geliefert. Eine Anlieferung bei O erfolgte hauptsächlich dann, wenn eine Sendung anders portioniert und zusammengestellt werden musste. Soweit die Ware direkt vom Kunden beim Erzeuger abgeholt wurde, sorgte der Erzeuger für das Waschen, Kühlen und Verpacken der Erzeugnisse. Nur soweit eine Anlieferung bei O stattfand, wurde die Ware auch dort gekühlt.

Die Satzung der O in der für das Streitjahr gültigen Fassung enthielt keine Regelung über die Erhebung von laufenden Mitgliedsbeiträgen; solche wurden auch nicht erhoben.
Das FA  sah nach Durchführung mehrerer Außenprüfungen im Umsatzsteuerbescheid für das Streitjahr 2010, in den Marktgebühren ein Entgelt für eine (dem Regelsteuersatz unterliegende) sonstige Leistung der Rechtsvorgängerin der eG an die Erzeuger. Es nahm an, die Marktgebühr sei der Umsatzsteuer zu unterwerfen. Entsprechend seien die Umsätze der eG zu erhöhen. Der Vorsteuerabzug sei auf die in den Gutschriften ausgewiesenen Beträge beschränkt.

Der eingelegte Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen. Das FA vertrat die Auffassung, die Marktgebühren würden einbehalten, um die Kosten, die sich durch die Erfüllung der satzungsgemäßen Aufgaben der eG ergäben, auf die Erzeuger umzulegen. Der wirtschaftliche Gehalt dieser Leistungen gehe über den bloßen Verkauf hinaus; das einzelne Mitglied erhalte einen zusätzlichen Vorteil in Form einer Vermarktungsleistung.

Das FG gab der eingereichten Klage statt und entschied, die Marktgebühren seien von den Erzeugern nicht aufgewendet worden, um Leistungen der O zu erlangen. Für die Frage, ob im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter entgeltliche Leistungen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG vorlägen, gälten keine Besonderheiten. Es komme mithin (nur) darauf an, ob zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis bestehe, das einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Leistung und einem erhaltenen Gegenwert begründe. Unerheblich für die Prüfung eines Leistungsaustauschs sei, ob die eG nur die ihr entstandenen Kosten weiterberechnet oder eine Marge erzielt habe. Dagegen legte das FA Revision ein.

Entscheidung

Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die O, die als Abnehmerin Lieferungen von den Erzeugern bezog, an diese keine gesonderten sonstigen Leistungen gegen Entgelt erbracht hat.

Ein steuerbarer Umsatz in Form einer Leistung gegen Entgelt i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG setzt voraus, dass der Leistungsempfänger identifizierbar sein und einen Vorteil erhalten muss, der zu einem Verbrauch im Sinne des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems führt. Der individuelle Leistungsempfänger muss aus der Leistung einen konkreten Vorteil ziehen. Ein einem Dritten entstehender Vorteil ist dann als nebensächlich einzustufen, wenn er sich aus einer Dienstleistung ergibt, die im eigenen Interesse des Steuerpflichtigen liegt.

Das FG hat zu Recht den Streitfall dahingehend gewürdigt, dass O, die nach § 4 der Anlieferungsordnung als insoweit maßgeblichem Rechtsverhältnis als Zwischenhändlerin bei jedem einzelnen Verkaufsvorgang die Ware von den Erzeugern erwarb und an die Abnehmer weiterlieferte, mit der Vermarktung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse keine weitere sonstige Leistung an die Erzeuger ausgeführt hat. Dies ergibt sich bereits daraus, dass O nach § 4 Abs. 1 der Anlieferungsordnung die angelieferten Erzeugnisse in eigenem Namen vermarktete. Die Vermarktung der von ihr verkauften Erzeugnisse lag zwar auch im Interesse der Erzeuger, aber vor allem in ihrem Interesse. Der Vermarktungserfolg in Gestalt höherer Verkaufspreise, aus dem das FA eine sonstige Leistung an die Erzeuger ableitet, erhöhte zum einen die Bemessungsgrundlage der Lieferungen der O an die Abnehmer und zum anderen die der Erzeuger an die O. Dies führte zum Entstehen einer höheren Umsatzsteuer auf die Ausgangsumsätze. Die vom FA beschriebenen Vorteile erschöpften sich somit darin, dass sich in der Lieferkette der Umfang der Lieferungen und das hierfür geschuldete Entgelt auf beiden Umsatzstufen erhöhte.

Die Besteuerung des von der O geschaffenen Mehrwerts war somit dadurch sichergestellt, dass beim Weiterverkauf von landwirtschaftlichen Erzeugnissen die Bemessungsgrundlage für die Lieferungen an die Abnehmer um die "Marktgebühren" höher war als die der Lieferungen der Erzeuger an die O, weil deren Bemessungsgrundlage um die Marktgebühren gemindert wird. Dieser Umstand schließt es aus, dieselben Marktgebühren zusätzlich zur Bemessungsgrundlage einer Vermarktungsleistung an die Erzeuger zu machen. Die Umsatzsteuer für dieselbe "Vermarktungsleistung" würde sonst --wirtschaftlich gesehen-- durch Einbeziehung der Marktgebühren in die Bemessungsgrundlagen von zwei Umsätzen der O wirtschaftlich gesehen doppelt erhoben, ohne dass die O einen doppelten Mehrwert geschaffen hätte. Dementsprechend wurden die Erzeuger nur im Rahmen der von ihnen ausgeführten Lieferungen und nicht gesondert im Sinne einer eigenständigen Vorteilseinräumung begünstigt.

Bestätigt wird dies letztlich auch durch § 3 Abs. 3 UStG (Art. 14 Abs. 2 Buchst. c MwStSystRL). Fehlt es bei Anwendung dieser Vorschrift und einem im eigenen Namen und fremde Rechnung handelnden Verkaufskommissionär neben den beiden Lieferungen an einer vom Verkaufskommissionär erbrachten sonstigen Leistung an den Verkaufskommittenten, ist nicht ersichtlich, weshalb eine derartige sonstige Leistung des Zwischenhändlers an den ersten Lieferer vorliegen sollte, wenn der Zwischenhändler (hier: O) auf eigene Rechnung tätig ist.

Auch hat die O mit der Vermarktung keine Leistung an ihre Genossen, die Erzeuger, erbracht, die mit den Marktgebühren entgolten worden wäre. Auf den Umstand, dass im Streitfall nicht die Gesellschaft an den Gesellschafter, sondern der Gesellschafter eine Zahlung an die Gesellschaft geleistet hat, kommt es deshalb nicht an.

Ebenso wenig führt die Rechtsprechung des BFH zur Vergütung der durch Vereine oder Gesellschaften erbrachten Leistungen durch sog. Mitgliedsbeiträge zu einer anderen Beurteilung. Denn Ausgangspunkt ist auch insoweit stets die Frage, inwieweit entgeltliche Vorteile der Mitglieder jeweils konkret festzustellen sind. Solche Vorteile bestehen im Streitfall im Hinblick auf eine Vermarktung nicht; denn die Marktgebühren mindern --wie bereits ausgeführt-- die Bemessungsgrundlage der Lieferungen der Erzeuger an die O, so dass die Erzeuger nur eine um die Marktgebühren geminderte Gegenleistung erhalten. Der aus der Vermarktung folgende Vorteil in Form höherer Verkaufserlöse verbleibt in Höhe der Marktgebühren bei der O (und wird dort besteuert).

Fundstelle

BFH, Beschluss vom 13.09.2022 - XI R 8/20 

Andrea Köcher

Steuerberaterin

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