Nach dem Spind nun der Standcontainer: Was führt zur Betriebsstätte?
Zentrale Bedeutung von Betriebsstätten im Internationalen Steuerrecht
Das Vorliegen einer Betriebsstätte ist im Internationalen Steuerrecht von zentraler Bedeutung. Nach den Doppelbesteuerungsabkommen darf ein Vertragsstaat die Gewinne eines Unternehmens des anderen Vertragsstaats i.d.R. nur dann besteuern, wenn das Unternehmen seine Tätigkeit über eine im Inland belegene Betriebsstätte ausübt.
Begriff der abkommensrechtlichen Betriebsstätte
Eine abkommensrechtliche Betriebsstätte setzt das Vorhandensein einer festen Geschäftseinrichtung und das Ausüben einer unternehmerischen Tätigkeit in ihr bzw. durch sie voraus. Unter einer festen Geschäftseinrichtung, die im Abkommensrecht nicht näher definiert wird, versteht der Bundesfinanzhof körperliche Gegenstände mit einer festen Verbindung zur Erdoberfläche (örtliche Festigkeit), die von einer gewissen zeitlichen Dauer (zeitliche Festigkeit) sind und der Tätigkeit des Unternehmens dienen.
Ferner muss der Unternehmer über die Einrichtung eine dauerhafte, ausreichende Verfügungsmacht besitzen. Dagegen liegt u.a. dann keine Betriebsstätte vor, wenn in der Geschäftseinrichtung lediglich Tätigkeiten vorbereitender Art oder Hilfstätigkeiten ausgeübt werden.
Zeitliche Festigkeit setzt grundsätzlich eine Mindestdauer von sechs Monaten voraus
Im Urteil vom 18.12.2024 (I R 39/21) stellte der Bundesfinanzhof in Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass das Kriterium der zeitlichen Festigkeit grundsätzlich das Überschreiten einer Mindestdauer von sechs Monaten voraussetzt: Das Unternehmen muss die Geschäftseinrichtung für mindestens sechs Monate innehaben und ebenso lange seine unternehmerische Tätigkeit in dieser ausüben. Der Bundesfinanzhof stellt in diesem Zusammenhang zudem klar, dass auch dann keine (abkommensrechtliche) Betriebsstätte anzunehmen ist, wenn ein Unternehmen ausschließlich, aber insgesamt weniger als sechs Monate in der (ausländischen) Geschäftseinrichtung unternehmerisch tätig ist. Reine Abwicklungstätigkeiten sind bei der Bestimmung des Zeitraums nicht mehr zu berücksichtigen.
Stellen mitbenutzte Büroräumlichkeiten eine Betriebsstätte dar?
Im zweiten Urteil (sogenanntes Taxi-Urteil) vom 18.12.2024 (I R 47/21) war fraglich, ob ein Büroraum in der Schweiz mit drei vollständig ausgestatteten Arbeitsplätzen eine Betriebsstätte begründet, wenn dem Unternehmer in den Räumen „personenbezogene Nutzungsstrukturen“ zur Verfügung stehen. In dem konkreten Fall ging es um einen deutschen Taxiunternehmer, der den besagten Büroraum aufgrund seiner Mitgliedschaft in einer Schweizer Taxifunkzentrale neben zwei weiteren Taxiunternehmern für administrative Tätigkeiten (wie die Personalverwaltung seiner angestellten Taxifahrer:innen) mitbenutzte. Die personenbezogene Nutzungsstruktur bestand in einem mit seinem (Firmen-)Namen beschrifteten, abschließbaren und nur ihm zugänglichen Standcontainer, in dem er u.a. die für die Buchhaltung und die Überwachung der Fahr- und Ruhezeiten erforderlichen Unterlagen aufbewahrte.
Bundesfinanzhof: Beurteilung nach Gesamtschau der Kriterien und Verwurzelung
Der Bundesfinanzhof stellte klar, dass die dargestellten Voraussetzungen einer (abkommensrechtlichen) Betriebsstätte nicht isoliert betrachtet werden können, sondern gegenseitiger Wechselwirkung unterliegen und so besondere Ausprägungen eines Merkmals auch Indizien für ein anderes sein können. Im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls ist unter Berücksichtigung der genannten Merkmale darüber zu urteilen, ob das Unternehmen mit dem Ort der Ausübung der unternehmerischen Tätigkeit ausreichend „verwurzelt“ ist.
Personenbeschränkte Nutzungsstrukturen können Indiz für Betriebsstätte sein
Die Verwurzelung und damit das Vorliegen einer Betriebsstätte wurde vom Bundesfinanzhof im vorliegenden Fall bejaht. Der Büroraum in der Schweiz werde vom Taxiunternehmen dauerhaft genutzt. Zwar besitze der Taxiunternehmer keinen konkreten Arbeitsplatz zur ausschließlichen Nutzung, er habe aber aufgrund der begrenzten Anzahl der Mitnutzer:innen und seiner Mitgliedschaft in der Taxifunkzentrale jederzeit die Möglichkeit gehabt, einen der drei Arbeitsplätze im Büro für die Erledigung seiner Büroarbeiten zu nutzen. Es handele sich insgesamt um einen rechtlich selbstständigen, jederzeit bestehenden Mitnutzungsanspruch am Büroraum.
Weiterhin sei der ausschließlich dem Taxiunternehmer überlassene und entsprechend beschriftete Standcontainer, für den nur er den Schlüssel besaß, als personenbeschränkte/-bezogene Nutzungsstruktur ein (wesentliches) Indiz für das Bestehen einer dauerhaften Verfügungsmacht des Taxiunternehmers über den Büroraum.
Auch administrative Tätigkeiten können Teil der Haupttätigkeit sein
Mithin seien in dem Büroraum nicht nur Hilfstätigkeiten ausgeübt worden. Die Haupttätigkeit eines Taxiunternehmers mit angestellten Taxifahrer:innen erschöpfe sich nicht allein im Fahren von Taxis. Vielmehr gehören hierzu auch die geschäftsleitenden und zentralen unternehmerischen/administrativen Tätigkeiten (wie die Personalverwaltung oder das Rechnungswesen), die der Taxiunternehmer in dem Schweizer Büroraum ausgeübt hat.
Auswirkungen für die Praxis
Mit dem „Taxi-Urteil“ hat der Bundesfinanzhof den (abkommensrechtlichen) Betriebsstättenbegriff weiter präzisiert und das „Spind-Urteil“ (Bundesfinanzhof, Urteil vom 7.6.2023, I R 47/20) ergänzt. Nach dem „Spind-Urteil“ kann, vereinfacht dargestellt, bereits ein personenbeschränkter Spind beim Auftraggeber für das Vorliegen einer (Dienstleistungs-)Betriebsstätte ausreichend sein.
In diesem Zusammenhang ist die Feststellung des Bundesfinanzhofs positiv zu werten: dass die dauerhafte Überlassung personenbeschränkter Nutzungsstrukturen nur ein Indiz für das Vorhandensein einer dauerhaften Verfügungsmacht über die Geschäftseinrichtung sein kann und damit nicht zwangsläufig zur Begründung einer Betriebsstätte führt bzw. allein dafür entscheidend ist. Mithin dürfte es (weiterhin) auf den Einzelfall bzw. die konkreten Gesamtumstände ankommen.
Abschließend machte der Bundesfinanzhof nochmals deutlich, dass für die Beurteilung der Begründung einer Betriebsstätte eine umfassende Gesamtwürdigung vorzunehmen ist und die verschiedenen Kriterien in einer Wechselwirkung stehen und nicht isoliert betrachtet werden können. Mithin ist eine besonders starke örtliche Verbindung ein Indikator für die notwendige zeitliche Verweildauer und umgekehrt. Für die Praxis dürfte dies bedeuten, dass eine besonders stark ausgeprägte örtliche Festigkeit eine weniger deutlich ausgeprägte zeitliche Komponente kompensieren kann und umgekehrt von einer längerfristigen Ausübung der Unternehmenstätigkeit eine Indizwirkung für eine ausreichende örtliche Verbindung ausgeht.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 18.12.2024 – I R 39/21 und vom 18.12.2024 – I R 47/21