Zur Gewinnermittlung von Betriebsstätten – § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG als Einkünftekorrekturnorm

Herausforderung: Ermittlung des Betriebsstättengewinns

Die zutreffende steuerliche Behandlung von Betriebsstätten stellt die Beratungspraxis im Internationalen Steuerrecht stets vor große Herausforderungen. Dabei sorgt insbesondere die Ermittlung und Aufteilung von Besteuerungsgrundlagen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte im Rahmen von Betriebsprüfungen regelmäßig für Diskussionen mit der in- und ausländischen Finanzverwaltung. Was die Anwendung von § 1 Abs. 5 Satz 1 Außensteuergesetz (AStG) als eigenständige Regelung zur Betriebsstättengewinnermittlung anbelangt, hat der Bundesfinanzhof jüngst für mehr Klarheit gesorgt.

Methodischer Ansatz der OECD

Im Rahmen der Betriebsstättenberichte der OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wurden in den Jahren 2008 und 2010 verschiedene Konzepte der Ertrags- und Aufwandszuordnung thematisiert. Letztendlich hat sich der Functionally Separate Entity Approach (auch „Authorized OECD Approach“ – AOA genannt) durchgesetzt. Nach diesem Ansatz werden Betriebsstätten steuerlich wie eigenständige Unternehmen behandelt. Die Methodik folgt dabei drei Schritten: Zunächst sind die von einem Stammhaus und seiner Betriebsstätte ausgeübten Funktionen und Risiken auf Basis des dort jeweils tätigen Personals zu analysieren. Basierend auf den in der Betriebsstätte ausgeübten Personalfunktionen sind jener sodann die zur Ausübung notwendigen Wirtschaftsgüter und das Dotationskapital zuzuordnen. Abschließend sind für Zwecke der Betriebsstättenergebnisermittlung die zwischen Betriebsstätte und Stammhaus bestehenden, fiktiven Leistungsbeziehungen (dealings) zu bewerten. Dabei kommen die OECD-Verrechnungspreisleitlinien mit ihren verschiedenen Verrechnungspreismethoden zur Anwendung.

AOA im deutschen Recht

In Deutschland wurde der AOA ab 2013 in § 1 Abs. 5 AStG umgesetzt. Die Regelung ist Artikel 7 OECD-Musterabkommen 2010 nachempfunden. Zuvor wurde in Deutschland eine lediglich eingeschränkte Selbstständigkeit der Betriebsstätte angenommen. Da es sich bei § 1 AStG originär um eine Einkünftekorrekturnorm bei bestehenden Geschäftsbeziehungen mit nahestehenden Personen im Ausland handelt, meldete die Literatur bereits mit Gesetzeseinführung ihre Zweifel an und fragte: Ist § 1 AStG überhaupt der passende Ort zur Etablierung einer Gewinnermittlungsmethodik für Betriebsstätteneinkünfte oder ist der AOA nicht besser im Einkommensteuergesetz (z.B. § 4 EStG) „aufgehoben“?

Richter bestätigen: § 1 Abs. 5 AStG nur Einkünftekorrekturnorm

Mit zwei inhaltsgleichen Urteilen vom 18.12.2024 hat der Bundesfinanzhof entschieden, dass es sich bei § 1 Abs. 5 AStG nicht um eine eigenständige Regelung zur Betriebsstättengewinnermittlung, sondern lediglich um eine Einkünftekorrekturnorm handelt: In den Streitfällen ermittelte eine ungarische Kapitalgesellschaft die auf ihre inländische Bau- und Montagebetriebsstätte entfallenden Einkünfte veranlassungsbezogen. Ohne weitergehende Prüfungen verwarf das Finanzamt jeweils die Einkünfteermittlungen und ermittelte die Betriebsstättengewinne unter Anwendung der Kostenaufschlagsmethode auf die in der Betriebsstätte angefallenen Personalkosten neu. Es berief sich dabei auf § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG in Verbindung mit § 32 Abs. 1 Satz 2 Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV). 

Dieser Vorgehensweise ist der Bundesfinanzhof entgegengetreten: § 1 Abs. 5 AStG sei keine ausreichende Rechtsgrundlage dafür, eine veranlassungsbezogene Gewinnermittlung vollständig zu verwerfen. Dies folge bereits aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 5 AStG und dabei insbesondere aus Satz 3: Diesem lasse sich gerade nicht entnehmen, dass außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1 Abs. 1 AStG eine Veranlassungsprüfung allein nach den in den jeweiligen Unternehmensteilen ausgeübten Personalfunktionen vorzunehmen wäre. Darüber hinaus müsse nach § 1 Abs. 5 Satz 1 AStG die Einkünfteminderung als kausale Bedingung „durch“ die Vereinbarung nicht fremdvergleichsgerechter Bedingungen, vornehmlich der Verrechnungspreise, entstehen. Eine solche Kausalität werde weder durch die bloße Existenz von Geschäftsbeziehungen im Sinne von § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG noch durch eine andere Vorschrift (hier: § 32 BsGaV) fingiert. Auch gebe es keine Vorschrift im Einkommensteuergesetz, die die Gewinnermittlung ausschließlich auf Basis von Personalfunktionen und Verrechnungspreisen anordne.

Praxishinweise und Ausblick

Die Urteile sind grundsätzlich zu begrüßen, da veranlassungsbezogene Betriebsstättengewinnermittlungen, die nicht oder nicht vollständig dem AOA-Ansatz folgen, nicht pauschal zu verwerfen sind. Gleichwohl ist äußerst zweifelhaft, ob die nun erfolgte Klarstellung des Bundesfinanzhofs die Diskussionen mit der Finanzverwaltung in Fragen der Betriebsstättengewinnaufteilung reduzieren wird. Zudem wird eine internationale Verständigung über die Besteuerung des „richtigen“ Betriebsstättengewinns und die Vermeidung von Doppelbesteuerung erschwert. Insofern ist mit Spannung zu erwarten, wie die Finanzverwaltung auf die Entscheidungen reagieren wird. Nach unserer Einschätzung ist auch der Gesetzgeber aufgefordert, nachzubessern und die bisher nicht vollumfänglich gelungene Implementierung des AOA in nationales Recht systematisch richtig umzusetzen.

Bundesfinanzhof, Urteile vom 18.12.2024 – I R 45/22 und I R 49/23
 

Benno Lange

Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Fachberater für Internationales Steuerrecht

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