Begrenzung der Mindestbemessungsgrundlage durch das marktübliche Entgelt

Kernaussage

Die Begrenzung der Mindestbemessungsgrundlage auf das marktübliche Entgelt nach § 10 Abs. 5 Satz 1 2. Hs. UStG kann bei der Verpachtung landwirtschaftlich genutzter Stallanlagen nicht pauschal mit dem Hinweis abgelehnt werden, es gäbe vor Ort keine vergleichbaren Anlagen, weil diese individuell nach den Bedürfnissen des Pächters errichtet würden.

Sachverhalt

Der Kläger (V) unterhielt einen land- und forstwirtschaftlichen (luf) Betrieb. Zum 01. Juli 2012 gründete er zusammen mit seinem Sohn (S) eine GbR. Den gesamten luf Betrieb verpachtete V an die GbR eisern, d. h. inklusive des gesamten toten und lebenden Inventars. Die GbR versteuert ihre Umsätze nach Durchschnittssätzen gemäß § 24 Abs. 1 UStG. Im Jahr 2014 errichtete V auf seinem Grundstück einen Boxenlaufstall mit 65 Milchviehplatzen mit einem Investitionsvolumen von etwa 700.000 €. Diesen Stall verpachtete er an die GbR für einen jährlichen Pachtzins in Höhe von netto 45.000 €. Verpachtet wurden das Teilgrundstück, auf dem der Boxenlaufstall stand, das Gebäude und sämtliches Inventar (insbesondere Melkroboter u. s. w.). Dabei verzichtete er gemäß § 9 Abs. 1, Abs. 2 UStG auf die Steuerbefreiung für die Verpachtung nach § 4 Nr. 12 a UStG. Die in den Rechnungen über die Anschaffungskosten offen ausgewiesene Umsatzsteuer machte er als Vorsteuer geltend. Im März 2018 führte das FA eine Außenprüfung durch, die die Jahre 2012 bis 2015 umfasste. Daran schloss sich eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung an für den Zeitraum 2016 bis Januar 2018. Der Außenprüfer griff den Sachverhalt um die Errichtung und die Verpachtung des Boxenlaufstalls auf und traf hierzu die Feststellungen, dass die Verpachtung von V an die GbR eine sonstige Leistung an nahestehende Personen darstelle. Das vereinbarte Entgelt von jährlich 45.000 € netto müsse deshalb anhand der Mindestbemessungsgrundlage in § 10 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UStG überprüft werden. Da ein marktübliches Entgelt für einen derartigen, auf die individuellen Bedürfnisse der Pächterin zugeschnittenen Stalls nicht ermittelbar sei, müsse die Ersatzbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG herangezogen werden. Diese ermittelte er auf der Basis der auf 10 Jahre zu verteilenden Herstellungskosten, mithin betrage die Bemessungsgrundlage abgerundet 66.000 €. Daraufhin änderte das FA entsprechend die Umsatzsteuer- und Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide.

Der dagegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg. Ein Ruhen des Einspruchsverfahrens im Hinblick auf die erwartete, abgestimmte Reaktion der Finanzverwaltung zum Urteil des BFH vom 1. März 2018 V R 35/17 (keine umsatzsteuerpflichte Verpachtung an einen pauschalierenden Betrieb) war ohne Zustimmung des V im Streitfall nicht zulässig.

Entscheidung

Die Klage ist begründet. Die streitanhängigen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen V insoweit in seinen Rechten, als das FA für die von V erbrachte Verpachtung in den Streitjahren nach § 10 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UStG eine höhere Bemessungsgrundlage als das vereinbarte Entgelt angesetzt hat. Das Urteil des BFH vom 1. März 2018 V R 35/17 (BFH/NV 2018, 801) zur Frage, ob ein Steuerpflichtiger, der ein Grundstück an einen Landwirt verpachtet, der seine Umsätze gemäß § 24 Abs. 1 UStG nach Durchschnittssätzen versteuert, wirksam auf die Steuerfreiheit seiner Verpachtungsumsätze verzichten kann, führt im Streitfall zu keinem anderen Ergebnis.

Nach § 10 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UStG ist § 10 Abs. 4 UStG für Lieferungen und sonstige Leistungen, die Einzelunternehmer an ihnen nahestehende Personen ausführen § 10 Abs. 4 UStG entsprechend anzuwenden, wenn die Bemessungsgrundlage nach Absatz 4 das Entgelt nach § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG übersteigt; der Umsatz ist jedoch höchstens nach dem marktüblichen Entgelt zu bemessen. § 10 Abs. 5 Satz 1 2. Hs. UStG gilt zwar erst für Zeiträume ab dem 31. Juli 2014, jedoch hat er nur deklaratorischen Charakter, als sich die Grenze des marktüblichen Entgelts auch aus dem vorrangigen Art. 395 Abs. 1 MwStSystRL und Art. 80 Abs. 1 MwStSystRL im Wege europarechtskonformer Auslegung ergab.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die von V an die GbR erbrachte Verpachtung des Boxenlaufstalls in den Streitjahren an eine ihm nahestehende Person erfolgt ist.

Der Ansatz der nach den bei der Verpachtung entstandenen Ausgaben in entsprechender Anwendung des § 10 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 UStG scheidet im Streitfall aus, weil der zwischen V und der GbR vereinbarte Pachtzins das marktübliche Entgelt sogar übersteigt. Entgegen der Ansicht des FA kann auch im konkreten Fall ein marktübliches Entgelt bestimmt werden, das FG macht sich insoweit das eingeholte Gutachten des Sachverständigen zu eigen.

§ 10 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UStG beruht auch auf Art. 80 Abs. 1 MwStSystRL, wonach zur Vorbeugung von Steuerhinterziehung oder –umgehung die Mitgliedstaaten Maßnahmen treffen können, um sicherzustellen, dass die Steuerbemessungsgrundlage für die Lieferungen von Gegenständen oder für Dienstleistungen, an Empfänger, zu denen familiäre oder andere enge persönliche Bindungen, Bindungen aufgrund von Leitungsfunktionen oder Mitgliedschaften, sowie eigentumsrechtliche, finanzielle oder rechtliche Bindungen gemäß der Definition des Mitgliedstaates, bestehen, der Normalwert ist und der Erwerber oder Dienstleistungsempfänger nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist. Als Normalwert gilt nach Art. 72 Abs. 1 MwStSystRL der gesamte Betrag, den ein Empfänger einer Lieferung oder ein Dienstleistungsempfänger auf derselben Absatzstufe, auf der die Lieferung der Gegenstände oder die Dienstleistung erfolgt, an einen selbständigen Lieferer oder Dienstleistungsempfänger in dem Mitgliedstaat, in dem der Umsatz steuerpflichtig ist, zahlen müsste, um die betreffenden Gegenstände oder Dienstleistungen zu diesem Zeitpunkt unter den Bedingungen des freien Wettbewerbs zu erhalten. Für die Ermittlung des marküblichen Entgelts ist zunächst darauf abzustellen, auf welcher Handelsstufe sich der Erwerber des Liefergegenstands oder der empfangenen Dienstleistung sich im Verhältnis zum leistenden Unternehmer befindet. Bei Lieferungen an Endverbraucher sind vergleichbare Umsätze heranzuziehen, Sonderkonditionen für einzelne Großkunden oder Mitarbeiterrabatte bleiben außer Betracht. Die Finanzverwaltung und ihr folgend Teile der Rechtsprechung fordern darüber hinaus, dass am konkreten Ort der Leistungserbringung ein entsprechender Markt bestehen muss, um unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse dort einen Marktpreis bestimmen zu können. Auch der BFH stellt bei der Ermittlung der ortsüblichen Miete in § 21 Abs. 2 EStG auf den Verkehrswert der Überlassung von Wohn- oder Geschäftsräumen als Hauptleistung ab, der wesentlich von den örtlichen Besonderheiten abhänge.

Entgegen der Auffassung von Teilen der Rechtsprechung, der Finanzverwaltung und der Fachliteratur ist eine Begrenzung des Merkmals des marktüblichen Entgelts auf die vergleichbaren konkreten Verhältnisse am Leistungsort nach europarechtskonformer Auslegung unter Beachtung des Art. 72 Abs. 1 MwStSystRL nicht generell zulässig. Bei der Regelung der Mindestbemessungsgrundlage in § 10 Abs. 5 UStG handelt es sich um eine Sondermaßnahme zur Verhütung von Steuerhinterziehungen und –umgehungen. Die nationale Regelung ist deshalb eng auszulegen und darf nur insoweit Anwendung finden, als dies für die Erreichung des Ziels, der Gefahr der Steuerhinterziehung oder –umgehung entgegenzuwirken, unbedingt erforderlich ist. Art. 72 Abs. 1 MwStSytRL stellt bei der Definition des Normalwerts darauf ab, welchen Betrag der Empfänger auf derselben Absatzstufe in dem Mitgliedstaat zahlen müsste. Eine Reduzierung des Kreises vergleichbarer Leistungen auf solche, die am Ort der konkreten Leistungserbringung am örtlichen Markt angeboten werden, folgt aus dieser Bestimmung nicht. Eine derartige Beschränkung würde den leistenden Unternehmer, der die Feststellungslast für diesen Umstand zu tragen hat, übermäßig belasten.

Zur Überzeugung des FG ist bei der Frage, welcher Umkreis bei der Ermittlung vergleichbarer Leistungen für ein marktübliches Entgelt herangezogen werden kann, nicht generalisierend auf die Verhältnisse vor Ort abzustellen. Vielmehr ist zu prüfen, welche Umstände bei der Preisfindung nach der Art der angebotenen Leistung prägend sind und danach der Kreis der vergleichbaren Leistungen zu bestimmen. So bestimmt das Finanzgericht Münster bei der Ermittlung eines marktüblichen Entgelts für Wärmelieferungen aus dem Betrieb einer Biogasanlage eine wissenschaftliche Untersuchung heran und legt den dort ermittelten durchschnittlichen Arbeitspreis von Wärme aus Biogas-Anlagen für das gesamte Bundesgebiet als bereinigten Mittelwert zugrunde. Diese Vorgehensweise rechtfertigt sich aus der Überlegung, dass für einen privaten Endverbraucher von Wärme die Person des leistenden Unternehmers letztlich egal ist, Hauptsache, der Abnehmer befindet sich in hinreichender Nähe zum Produktionsstandort und ist an das Fernwärmenetz angeschlossen. Die Angebotssituation ist von den konkreten örtlichen Verhältnissen insoweit entkoppelt, als überhaupt nur ein örtlicher Anbieter zur Verfügung stehen muss. Auch die Finanzverwaltung lässt es in Abschn. 2.5. Abs. 23 Satz 9 UStAE im Übrigen zu, den bundeseinheitlich ermittelten Fernwärmepreis des jeweiligen Vorjahres als Schätzungsgrundlage zu verwenden, allerdings systemfremd zur Ermittlung der Selbstkosten.

Das FG war nach Würdigung insbesondere der Erläuterungen, die der Sachverständige zu seinem Gutachten in der mündlichen Verhandlung gegeben hat, davon überzeugt, dass bei der Ermittlung des marktüblichen Entgelts nicht allein auf die Marktverhältnisse vor Ort abzustellen ist. Maßgebend sind vielmehr die Regionen, in denen sich entsprechende Rinderställe befinden und die hinsichtlich der Futterlage, die für die Preisfindung wesentlich ist, vergleichbar sind. Der Gutachter hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die Boxenlaufställe im Wesentlichen gleich konzipiert werden und für den Preis nur entscheidend ist, wie gut die dort untergestalten Rinder mit Futter versorgt werden können. Er hat dargestellt, dass er nur Gebiete mit gleicher Futterlage für seine Vergleichsmieten herangezogen hat und deshalb nicht von ortsüblichen Pachten, sondern von regionalüblichen gesprochen. Der Senat schließt sich deshalb der Ermittlung der marktüblichen Pacht in Höhe von 325 € pro Stallplatz an. Würde man demgegenüber mit dem Beklagten vergleichbare Stallanlagen vor Ort zur Ermittlung fordern, würde die Begrenzung auf das marktübliche Entgelt praktisch leerlaufen, weil sich derartige vergleichbare Anlagen nur in den seltensten Fällen finden ließen. Der Zielsetzung der Norm, Fälle der Steuerhinterziehung und –umgehung zu verhindern, wird es dagegen bereits dann gerecht, wenn durch ein Sachverständigengutachten wie im Streitfall die für den leistenden Unternehmer und den Erwerber entscheidenden Parameter – hier die Futterlage – ermittelt wird und dann vergleichbare Fälle herangezogen werden. Da der durch den Sachverständigen ermittelte marktübliche Pachtzins niedriger als das vereinbarte Entgelt ist, ist dieses – wie durch den V geschehen - bei der Bemessung der Umsatzsteuer nach § 10 Abs. 5 Satz 2 UStG anzusetzen.

Hinweis

Des Weiteren hat sich das FG mit den jeweiligen Berichtigungsmöglichkeiten in den einzelnen Jahren auseinandergesetzt.

Die Revision wurde nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, um die Rechtsfrage, unter Berücksichtigung welchen Maßstabs das marktübliche Entgelt zu bestimmen ist, höchstrichterlich zu klären.

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