Anschaffungsnahe Herstellungskosten nach Entnahme einer Wohnung
Kernaussage
Der IX. Senat des BFH hat entschieden, dass die Überführung eines Wirtschaftsguts vom Betriebsvermögen in das Privatvermögen keine Anschaffung iSd § 6 Abs. 1 Nr. 1a S. 1 EStG ist. Aufwendungen, die ihrem Wesen nach nicht zu Herstellungskosten führen und im zeitlichen Zusammenhang zur Entnahme getätigt worden sind, bleiben damit als Erhaltungsaufwendungen abziehbar und sind nicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG als anschaffungsnahe Herstellungskosten zu qualifizieren.
Sachverhalt
Der Kläger erzielte in den Streitjahren als Inhaber einer Hofstelle, die er im Jahre 1999 im Wege der Gesamtrechtsnachfolge erworben hatte, land- und forstwirtschaftliche (luf) Einkünfte sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Nach der Entnahme der zum luf Betrieb gehörenden Wohnung zum unstreitigen Gebäudeteilwert in Höhe von 49.046 € wurde diese saniert und modernisiert. Für die Erneuerung der Fassade, sämtlicher Fenster und Fensterbänke, des Dachstuhls, der Dacheindeckung, aller Innentüren, der Haustüre, sämtlicher Elektro-, Sanitär- sowie Heizungsinstallationen, Fliesen- sowie Parkettfußböden in allen Räumen, des Badezimmers sowie der Ausführung von Putz- und Stuckarbeiten und Malerarbeiten sind in den Streitjahren 2011 - 2013 Aufwendungen von insgesamt ca. 83.380 € angefallen. Die Wohnung war in allen Streitjahren mit Ausnahme des Zeitraums von Juli 2011 bis März 2012 vermietet.
Im Anschluss an eine Außenprüfung vertrat das Finanzamt (FA) die Auffassung, dass die bislang als Erhaltungsaufwendungen geltend gemachten Aufwendungen als anschaffungsnahe Herstellungskosten zu beurteilen und gemäß § 7 Abs. 4 EStG bei der Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung abzuschreiben sind. Die gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide gerichteten Einsprüche wies das FA als unbegründet zurück. Auch die dagegen gerichtete Klage blieb erfolglos.
Mit ihrer Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG). Er trägt im Wesentlichen vor, die Vorschrift ziele auf die Fälle eines tatsächlichen Anschaffungsvorgangs ab, in denen das wirtschaftliche Eigentum übergehe und es zu einem Rechtsträgerwechsel komme. Die Betrachtungsweise des FA habe eine von § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG nicht beabsichtigte Ungleichbehandlung zur Folge. Baumaßnahmen vor der Entnahme hätten sofort abziehbare Betriebsausgaben zur Folge, ohne dass sich die AfA-Bemessungsgrundlage erhöhe. Die Kosten solcher Maßnahmen würden somit nicht über die Nutzungsdauer des Gebäudes verteilt, sondern wirkten sich steuerlich sofort gewinnmindernd aus. Folglich wären Steuerpflichtige, die vor der Entnahme der Immobilie Instandhaltungs- oder Modernisierungsmaßnahmen vornähmen, gegenüber denjenigen Steuerpflichtigen, die diese Maßnahmen erst nach der Entnahme durchführen, bevorzugt, falls § 6 Abs. 1 Nr. 1a EStG angewendet würde.
Entscheidung
Die Revision ist begründet. Das FG hat unzutreffend die Entnahme der Wohnung aus dem Betriebsvermögen als Anschaffung angesehen und die Aufwendungen für die Baumaßnahmen demzufolge zu Unrecht als anschaffungsnahe Herstellungskosten nach § 6 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG beurteilt.
Aufwendungen, die durch die Absicht veranlasst sind, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu erzielen, sind dann nicht als Werbungskosten sofort abziehbar, wenn es sich um Anschaffungs- oder Herstellungskosten handelt. In diesem Fall sind sie nur im Rahmen der AfA zu berücksichtigen. Welche Aufwendungen zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten zählen, bestimmt sich auch für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach § 255 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 HGB. Danach sind Anschaffungskosten die Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögensgegenstand zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen, ferner die Anschaffungsnebenkosten und nachträglichen Anschaffungskosten. Herstellungskosten sind Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstandes, seine Erweiterung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen. Zu den Herstellungskosten eines Gebäudes gehören nach § 6 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 i.V.m. § 9 Abs. 5 Satz 2 EStG auch Aufwendungen für Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen, die innerhalb von drei Jahren nach der Anschaffung des Gebäudes durchgeführt werden, wenn die Aufwendungen ohne die Umsatzsteuer 15 % der Anschaffungskosten des Gebäudes übersteigen (anschaffungsnahe Herstellungskosten). Diese Aufwendungen erhöhen die AfA-Bemessungsgrundlage, sie sind nicht als Werbungskosten sofort abziehbar. Nicht zu diesen Aufwendungen gehören nach § 6 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2 EStG die Aufwendungen für Erweiterungen i.S. des § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB sowie Aufwendungen für Erhaltungsarbeiten, die jährlich üblicherweise anfallen.
Eine Entnahme der Wohnung aus dem Betriebsvermögen ist keine Anschaffung i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG. Der Begriff der "Anschaffung" ist im Einkommensteuerrecht gesetzlich nicht definiert. Sowohl in der Literatur als auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird der Begriff der "Anschaffung" unterschiedlich interpretiert und jeweils aus seinem Sinnzusammenhang heraus nach dem Zweck der Vorschrift ausgelegt. Eine Anschaffung ist danach jedenfalls dann anzunehmen, wenn ein Wirtschaftsgut im Austausch mit einer Gegenleistung ‑‑also entgeltlich‑‑ erworben wird. Bei der Entnahme eines Wirtschaftsguts aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen fehlt indes die Gegenleistung.
Darüber hinaus würde der Wortlaut des § 6 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG wesentlich überdehnt, wenn man unter "Anschaffung" auch die Überführung von Wirtschaftsgütern aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen verstehen wollte. Nach dem Wortsinn setzt eine "Anschaffung" den Übergang von Vermögen zwischen verschiedenen Personen voraus. Auch am Rechtsträgerwechsel fehlt es bei der Überführung eines Wirtschaftsguts aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen desselben Steuerpflichtigen. Anders als in § 23 Abs. 1 Satz 2 EStG wird in § 6 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG die Überführung eines Wirtschaftsguts in das Privatvermögen des Steuerpflichtigen durch Entnahme nicht durch Fiktion einer Anschaffung gleichgestellt.
Diese am Wortlaut orientierte Gesetzesauslegung entspricht zudem dem von der Norm verfolgten Zweck. Bereits die Anknüpfung am Erwerb spricht dafür, dass § 6 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG auf Fälle des tatsächlichen Anschaffungsvorgangs abzielt, in denen das wirtschaftliche Eigentum übergeht und es zu einem Rechtsträgerwechsel kommt. Die Anknüpfung an den tatsächlichen Anschaffungsvorgang sowie die historische Rechtsentwicklung des Instituts der anschaffungsnahen Herstellungskosten zeigen auf, dass für den vom FG vertretenen Analogieschluss zu Lasten der Kläger weder eine planwidrige Regelungslücke in § 6 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG gegeben ist noch eine vergleichbare Interessenlage bei der Überführung einer Immobilie in das Privatvermögen des Steuerpflichtigen durch Entnahme besteht. Im Fall der Entnahme eines Wirtschaftsguts aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen desselben Steuerpflichtigen ist nicht ersichtlich, warum die dargestellte Gleichbehandlung Anwendung finden sollte.
Schließlich fehlt es bei einer Entnahme des Gebäudes aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen an dem von § 6 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG festgelegten Maßstab in Gestalt der Grenze von "15 % der Anschaffungskosten" des Gebäudes. Denn der bei der Entnahme anzusetzende Teilwert erfüllt offensichtlich nicht die Tatbestandsmerkmale des Anschaffungskostenbegriffs. Auch in der Legaldefinition der Anschaffungskosten in § 255 Abs. 1 Satz 1 HGB kommt durch den Begriff des Erwerbs das Erfordernis des Rechtsträgerwechsels zum Ausdruck.
Eine Gleichstellung von Anschaffung und Entnahme erfolgt in der Rechtsprechung des BFH nur für Zwecke der AfA-Bemessung. Diese Bemessungsgrundlage bezeichnet § 7 EStG für Fälle der Anschaffung als Anschaffungskosten. Dass der Gesetzgeber für den Fall der Entnahme keinen anderen Begriff verwendet, also die Höhe der (neuen) Bemessungsgrundlage mit den gleichen Worten beschreibt, ist entgegen der Auffassung des FG kein Anlass dafür, die Entnahme dem Grunde nach einer Anschaffung i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG gleichzusetzen.
Hinweis
Aus diesen Gründen war das Urteil des FG aufzuheben. Allerdings wird das FG im zweiten Rechtsgang festzustellen haben, ob die Aufwendungen für die Baumaßnahmen Herstellungskosten i.S. des § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB darstellen, die im Wege der AfA zu berücksichtigen wären (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 i.V.m. § 7 Abs. 4 EStG). Herstellungskosten sind danach die Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstands, seine Erweiterung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen (siehe BMF v. 18.07.2003, Rz. 17ff.).
Fundstelle
BFH, Urteil v. 03.05.2022 - IX R 7/21