Wohl doch keine Fristverlängerung für die Meldung grenzüberschreitender Steuergestaltungen
Hintergrund
Seit dem 1. Juli 2020 gilt in Deutschland die gesetzliche Verpflichtung zur Meldung grenzüberschreitender Steuergestaltungen. Die entsprechende Regelung in der Abgabenordnung beruht auf einer europäischen Richtlinie (DAC6-Richtlinie), die damit eine Empfehlung aus dem sogenannten BEPS-Aktionsplan der OECD umsetzt (zu den Einzelheiten verweisen wir auf unsere Blogbeiträge vom 17.1.2020 und 12.5.2020). Die Umsetzung der Meldepflicht bedeutet für die betroffenen Unternehmen und die an den Gestaltungen beteiligten Intermediäre einen hohen administrativen Aufwand in einer Zeit, in der viele mit den massiven wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zu kämpfen haben. Hierauf hatten zahlreiche Industrievertreter in den vergangenen Wochen die politischen Entscheidungsträger hingewiesen und auf eine Verschiebung der erstmaligen Anwendung gedrängt.
EU erlaubt Fristverlängerung – Deutschland winkt ab
Die politischen Initiativen hatten zumindest auf europäischer Ebene Erfolg. Der Rat der Europäischen Union hat am 24. Juni 2020 eine Änderung der DAC6-Linie angenommen, die bereits am 26. Juni 2020 im Amtsblatt der EU veröffentlicht wurde. Danach dürfen die Mitgliedsstaaten die Fristen für die Meldung grenzüberschreitender Gestaltungen infolge der COVID-19-Pandemie um bis zu sechs Monate verlängern. Konkret bedeutet dies:
- Sogenannte Altfälle, deren erster Schritt zwischen dem 25. Juni 2018 und dem 30. Juni 2020 umgesetzt wurde, müssen spätestens bis zum 28. Februar 2021 gemeldet werden.
- Für Neufälle mit Erstumsetzung zwischen dem 1. Juli 2020 und dem 31. Dezember 2020 beginnt die Meldefrist von 30 Tagen spätestens bis zum 1. Januar 2021.
Zudem behält sich der Rat für den Fall, dass es infolge der COVID-19-Pandemie zu weiteren nationalen Lockdowns kommt, die Möglichkeit vor, die Meldepflichten einmalig um weitere drei Monate zu verschieben.
Die deutsche Regierung hatte zunächst signalisiert, von der Möglichkeit zur Fristverlängerung um sechs Monate Gebrauch zu machen. Die entsprechende gesetzliche Regelung hierzu wurde mit dem Ersten Corona-Steuerhilfegesetz geschaffen und hätte lediglich durch das Bundesministerium der Finanzen (BMF) mit Leben gefüllt werden müssen.
Doch nun hat Bundesfinanzminister Olaf Scholz im Rahmen einer Pressekonferenz überraschend verlauten lassen, dass es in Deutschland nicht zu einer Fristverlängerung bei der Meldepflicht kommen werde. Es soll also bei der Meldefrist bis zum 31. August 2020 (für Altfälle) bzw. innerhalb der 30-Tages-Frist für Neufälle ab dem 1. Juli 2020 bleiben. Selbst die zunächst angekündigte Nichtbeanstandungsregelung bis zum 30. September 2020 erscheint vor diesem Hintergrund mehr als fraglich.
Viele Details weiterhin unklar
Eine Fristverlängerung hätte den zur Meldung Verpflichteten insbesondere deshalb geholfen, weil viele Details der Meldung nach wie vor unklar sind. Hierzu zählen beispielsweise eine klare Rollendefinition derjenigen, die an der Konzeption, Vermarktung und/oder Umsetzung einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung beteiligt sind, ebenso wie nähere Erläuterungen zu den insgesamt 16 Kennzeichen („Hallmarks“), von denen mindestens eines zum Auslösen einer Meldepflicht erfüllt sein muss.
Erst im Juni hat das BMF hierzu den inzwischen dritten Diskussionsentwurf eines Anwendungsschreibens vorgelegt, der gegenüber den Vorgängerversionen noch einmal deutlich umfangreicher ausfällt und um weitere Beispiele ergänzt worden ist. Der Diskussionsentwurf enthält auch eine – zumindest redaktionell – erweiterte Auflistung von Fallgruppen, die von der Mitteilungspflicht ausgenommen sind („White List“). Ob dieser Diskussionsentwurf auch die finale Auffassung der deutschen Finanzverwaltung wiedergibt, bleibt abzuwarten. Dem Vernehmen nach soll das finale Schreiben sehr kurzfristig veröffentlicht werden.
Konsequenz
Die Ankündigung, dass Deutschland von der Fristverlängerung keinen Gebrauch machen wird, ist ebenso überraschend wie unverständlich. Nicht nur, weil die meldepflichtigen Intermediäre und Unternehmen derzeit durch die Corona-Krise stark beeinträchtigt sind, sondern auch aufgrund der weiterhin bestehenden Unsicherheiten bei der konkreten Anwendung der Vorschriften. Die Unternehmen haben nun nur noch wenige Tage Zeit, um sich intensiv mit ihren internen Meldeprozessen zu beschäftigen und gleichzeitig unternehmensindividuelle Kriterien für die Identifikation und Abgrenzung meldepflichtiger Gestaltungen entwickeln. Wie dies angesichts noch immer fehlender konkreter und verbindlicher Anwendungshinweise seitens der Finanzverwaltung gelingen kann, ist mehr als fraglich.