Verwaltungsgericht Gelsenkirchen kippt höhere Grundsteuerhebesätze für Nichtwohngrundstücke
Differenzierte Hebesätze: Hintergrund und aktuelle Praxis
Seit der Grundsteuerreform zum 1. Januar 2025 werden alle Grundstücke in Deutschland neu bewertet. Ziel war eine gerechte und verfassungskonforme Grundsteuer, ohne dass das Steueraufkommen stark schwankt. In NRW wird dafür das Bundesmodell genutzt. Die neue Bewertung führt dazu, dass Wohngrundstücke (vor allem Ein- und Zweifamilienhäuser) oft höher bewertet werden als Gewerbegrundstücke. Würde man überall denselben Hebesatz anwenden, müssten private Eigentümer deutlich mehr zahlen, während Gewerbeimmobilien entlastet würden. Um das auszugleichen, haben viele Städte in NRW unterschiedliche Hebesätze eingeführt:
- einen für Wohngrundstücke
- einen für Nichtwohngrundstücke
So sollte die Steuerlast insgesamt stabil bleiben.
Rechtliche Unsicherheit: Was sagen Gesetzgeber und Gutachten?
Das Land NRW erlaubt seit Juli 2024 ausdrücklich, bis 30. Juni 2025 solche unterschiedlichen Hebesätze festzulegen. Doch Experten sind sich uneinig:
- Gutachten für den Städtetag NRW
Dieses Gutachten sieht erhebliche verfassungsrechtliche Risiken. Es betont, dass eine Ungleichbehandlung von Wohn- und Nichtwohngrundstücken gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) verstoßen könnte. Besonders problematisch sei, wenn Gewerbeimmobilien pauschal höher belastet werden, um Wohngrundstücke zu entlasten. Die Gutachter empfehlen eine einheitliche Hebesatzstrategie, um rechtliche Unsicherheiten und Klagerisiken zu minimieren. - Gutachten im Auftrag des Finanzministeriums NRW
Demgegenüber sieht das Ministerium keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Differenzierung der Hebesätze wird als rechtlich zulässig und ausreichend begründbar bewertet. Eine besondere Begründungspflicht für Kommunen wird nicht gesehen.
Urteil mit Signalwirkung für Grundsteuer in NRW
Am 4. Dezember 2025 hat nun das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschieden: Die von den Städten Bochum, Essen, Dortmund und Gelsenkirchen festgelegten höheren Hebesätze für Nichtwohngrundstücke sind im Ergebnis rechtswidrig. Hierfür führt es folgende Gründe an:
- Das Gericht betont, dass Kommunen zwar grundsätzlich einen Gestaltungsspielraum bei der Festsetzung der Hebesätze haben, dieser jedoch durch das Gleichbehandlungsgebot begrenzt wird. Vielmehr müsse eine nachvollziehbare und individuelle Begründung für die abweichende Belastung vorliegen.
- Es mangelt bislang an einem tragfähigen Grund, gegenüber Eigentümern von Nichtwohngrundstücken einen abweichenden Hebesatz festzusetzen, insbesondere im Vergleich zu Eigentümern von Wohngrundstücken.
- Fiskalische Gründe reichen für die unterschiedliche Festsetzung von Hebesätzen bei der Grundsteuer B durch die Kommunen nicht aus.
Fazit und Ausblick: Rechtsmittel und Ausblick
Ob das Urteil rechtskräftig wird oder eine abschließende Klärung durch Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen oder per Sprungrevision beim Bundesverwaltungsgericht direkt erfolgt, bleibt abzuwarten.Eigentümer sollten die Entwicklungen in ihrer Gemeinde genau verfolgen. Besonders bei den Grundsteuerbescheiden für 2026 empfiehlt sich eine sorgfältige Prüfung, ob erneut differenzierte Hebesätze für die Grundsteuer B festgesetzt werden und einen Widerspruch bei der jeweiligen Gemeinde erforderlich macht. Im Fokus sollten dabei Kommunen stehen, die bereits 2025 differenzierte Hebesätze beschlossen haben (siehe beiliegende Übersicht). Kommunen müssen im Rahmen ihrer Haushaltsplanung die Festsetzung differenzierter Hebesätze nachvollziehbar begründen und dokumentieren, um Klagen vorzubeugen. Alternativ könnte eine Rückkehr zu einheitlichen Hebesätzen erfolgen. In diesem Fall ist jedoch mit einem erneuten Anstieg der Hebesätze zu rechnen, um drohende Steuerausfälle auszugleichen.