Muss Schneewittchen Umsatzsteuer zahlen? – Zur Umsatzsteuerpflicht durch die Erstellung von Abdeckrechnungen
Das kriminelle „Geschäftsmodell“ der „Schneewittchen und die sieben Zwerge AG“
Die Klägerin war „Chefin“ einer Tätergruppe, die Unternehmen Abdeckrechnungen zur Verschleierung von Schwarzarbeit anbot. Die Gruppe trat hierbei – einem Organigramm zufolge – als „Schneewittchen und die sieben Zwerge AG – Gesellschaft für Geldwäsche und Steuerhinterziehung – Spezialgebiet Umwandlung von Weiß- zu Schwarzgeld“ auf. Wobei die Klägerin (Schneewittchen) die Gruppe leitete, während den übrigen Mitgliedern (die sieben Zwerge) konkret definierte Aufgaben zukamen (Buchführung, Lohnbuchhaltung, Geldbote etc.).
Hierzu gründete die Klägerin temporär Servicefirmen, die Abdeckrechnungen über tatsächlich nicht erbrachte Bauleistungen erstellte. Diese dienten den Rechnungskunden in der Buchhaltung dazu, die Barentlohnung von Schwarzarbeiter:innen zu verschleiern. Sofort nach Bezahlung der Abdeckrechnungen an die Servicefirmen hob die Tätergruppe das Geld ab und übergab es bar, abzüglich einer Provision, zurück an die Rechnungskunden. Die Provision betrug zwischen 5 und 14 % des Abdeckvolumens.
Gegen eine höhere Provision konnten die „Kunden“ noch ein zusätzliches „Servicepaket“ erhalten, was die Anmeldung ausgewählter Schwarzarbeiter:innen zu geringen fiktiven Wunschlöhnen bei den Servicegesellschaften beinhaltete, um deren Einsatz legal erscheinen zu lassen.
Die Geschäfte der Servicefirmen wurden von der Tätergruppe, insbesondere der Klägerin, gesteuert. Die formal als Geschäftsführungen bestellten Personen fungierten lediglich als Strohleute ohne Entscheidungsbefugnis.
Steuerschuld auch für die Provisionen?
Unstrittig ist, dass die Servicefirmen die in den Abdeckrechnungen unberechtigt ausgewiesene Umsatzsteuer schulden (§ 14c 2 Umsatzsteuergesetz – UStG) und diese hinterzogen wurde. Fraglich ist aber, ob die Klägerin persönlich noch Umsatzsteuer aus den Provisionen für die Abdeckrechnungen schuldet. Die Zivilgerichte beurteilten die Tätigkeit der Klägerin als umsatzsteuerpflichtige Dienstleistung gegen Entgelt. Sie verurteilten Schneewittchen daher wegen Beteiligung an der Umsatzsteuerhinterziehung der Servicefirmen sowie der von ihr geschuldeten Umsatzsteuer auf die Provisionen. Unabhängig hiervon wehrte sich die Klägerin gegen entsprechende Umsatzsteuernachforderungen des Finanzamts aus den Provisionen. Ihrer Ansicht nach unterliegen gewerbsmäßige Dienstleistungen, die allein dazu dienen, Dritten bei der Hinterziehung von Steuern zu helfen, nicht der Umsatzsteuer. Denn ihre Leistungen unterlägen einem grundsätzlichen Waren- und Dienstleistungsverbot, das nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) eine Umsatzsteuerpflicht ausschließe.
Umstrittene EuGH-Rechtsprechung
Grundsätzlich unterliegt das Erbringen von Leistungen gegen Entgelt der Umsatzsteuer, auch wenn das Geschäft illegal ist. Dies gilt laut EuGH jedoch nicht für Leistungen, bei denen ein Wettbewerb zwischen legalem und illegalem Wirtschaftssektor ausgeschlossen ist. Die Rechtsprechung des EuGH ist umstritten, da hierdurch z.B. Drogenhandel nicht steuerbar ist, während das Vermieten von Plätzen für den Drogenhandel und der illegale Alkoholschmuggel der Umsatzsteuer unterliegen. Zudem ergeben sich Abgrenzungsprobleme. So hat der Bundesgerichtshof mittlerweile entschieden, dass der Handel mit Abdeckrechnungen nicht steuerbar ist, weil kein Wettbewerb im Sinne der EuGH-Rechtsprechung existiert.
Vorinstanz lehnt Klage ab
Das Hessische Finanzgericht lässt offen, ob der bloße Handel mit Abdeckrechnungen der Umsatzsteuer unterliegt. Vielmehr geht es davon aus, dass die angebotenen Dienstleistungen wesentlich umfangreicher waren und somit der Umsatzsteuer unterliegen. Zudem rechnet es die Umsätze der Klägerin aufgrund ihrer Weisungsbefugnisse sowie ihres Auftritts nach außen zu und nicht der Tätergruppe als GbR.
Hoffnung auf richtungsweisendes Urteil des Bundesfinanzhofs
Es ist zu hoffen, dass der Bundesfinanzhof eindeutig dazu Stellung nimmt, unter welchen Voraussetzungen kriminelle Handlungen der Umsatzsteuer unterliegen. Unabhängig von moralischen Aspekten, die für das Urteil irrelevant sind, wäre es schwer vermittelbar, wenn ein derart straff organisiertes unternehmerisches Vorgehen nicht steuerbar wäre, nur weil hierzu kein legaler Wettbewerb existiert.
Vorinstanz: Hessisches Finanzgericht vom 7.10.2024 – 6 K 443/22
Bundesfinanzhof: anhängiges Verfahren vom 17.4.2025 – V R 21/24
Bundesgerichtshof vom 12.1.2022 – 1 StR 436/21