Risikomanagement und Krisenfrüherkennung bei gestörten Liefer- und Leistungsbeziehungen
Rohstoffknappheit, hohe Energiekosten und das damit verbundene Management der Liefer- und Leistungsbeziehungen bringen viele Unternehmen aktuell an ihre Grenzen. Alle haftungsbegrenzten Gesellschaften und insbesondere Unternehmen, die eine Unterstützung über eine vorinsolvenzliche Sanierung benötigen, müssen laut Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (kurz StaRUG) eine Krisenfrüherkennung implementieren. Wie diese aussehen soll, sagt das Gesetz nur in Teilen. Unsere Experten sprechen in diesem Interview darüber, wie man ein gutes Risikomanagement betreiben und als Geschäftsleiter diese turbulenten Zeiten unbeschadet durchlaufen kann.
Interview: Arno Abs und Christian Senger
Die Möglichkeit der vorinsolvenzlichen Sanierung besteht seit einem Jahr. Wie sind die ersten Erfahrungen?
Christian Senger: Die vorinsolvenzliche Sanierung wurde 2021 ins Leben gerufen, um Unternehmen einen Neustart ohne Stigma der Insolvenz zu ermöglichen. Die ersten Verfahren gab es, wenn auch nur wenige. Die Coronahilfen haben die Unternehmen in den letzten beiden Jahren gut unterstützt und so eine coronaseitige Marktbereinigung verhindert. Nun kommen mit hohen Energiekosten, Rohstoffknappheit, dem Mangel an Facharbeiterinnen und Facharbeitern und möglicherweise auch einem Anstieg des Zinsniveaus neue Herausforderungen auf die Unternehmen zu. Die vorinsolvenzliche Sanierung wird zukünftig an Attraktivität gewinnen. Darauf sollten auch Geschäftsleitungen einer GmbH vorbereitet sein. Es ist nämlich ein Irrglaube, dass es in der GmbH keine persönliche Haftung gibt. Inhaltlich folgt die Pflicht der Krisenfrüherkennung des GmbH-Geschäftsführers im StaRUG der des AG-Vorstands. Beide sind kontinuierlich zur Krisenfrüherkennung verpflichtet.
Gibt es einen Unterschied zwischen Risikomanagement und Krisenfrüherkennung?
Arno Abs: Sicher ist es nicht immer einfach, die rechtlichen Begriffe des Gesetzgebers klar abzugrenzen. Das Risikomanagement umfasst betriebswirtschaftlich alle Maßnahmen, die ein Unternehmen strukturiert ergreift, um die Unternehmensziele zu erreichen. Gemeint ist das Management von Chancen und Risiken. Es geht um den strukturierten Umgang mit positiven wie negativen Zielabweichungen, wenn unternehmerisch oder allgemein von Risiko gesprochen wird. In einem engeren Risikoverständnis fokussiert der Gesetzgeber dann auf die negativen Zielabweichungen, die zu einer wesentlichen Entwicklungsbeeinträchtigung oder einer den Unternehmensbestand gefährdenden Krise führen können. Das Management sollte beides früh erkennen und Gegenmaßnahmen ergreifen. So verstanden ist ein Risiko- oder Krisenfrüherkennungssystem ein Überwachungssystem, um die negativen Abweichungen von den Unternehmenszielen strukturiert zu messen, zu bewerten und zu kommunizieren. Die Krisenfrüherkennung ist Teil des Risikomanagements eines Unternehmens.
Der Gesetzgeber hat die Art und Weise der Risikofrüherkennung im Gesetz nicht klar definiert. Gibt es trotzdem Leitlinien für ein Unternehmen?
Christian Senger: Da jeder Markt und jedes Unternehmen – je nach Größe, Branche und Struktur – anders ist, ist eine generelle Guideline für den Gesetzgeber kaum möglich. Der Gesetzgeber hat aber ausdrücklich klargestellt, dass Geschäftsleitungen aufgefordert sind, die Verhältnisse und die Entwicklungen, die für die Tätigkeit des Unternehmens relevant sind, laufend daraufhin zu beobachten und zu überprüfen, ob sie das Potenzial haben, die Entwicklung des Unternehmens wesentlich zu beeinträchtigen und es in seinem Fortbestand zu gefährden. Viele Unternehmen müssen sich derzeit z.B. fragen, ob sie ihre Beschaffungsstrategie im Bereich der Rohstoffe und Zukaufteile anpassen müssen. Eine große Anzahl der Unternehmen steckt aufgrund der aktuellen Entwicklung auf den Beschaffungsmärkten in einer Ertragskrise. Sie machen Verluste. Ohne eigene Liquiditätsreserven droht in Abhängigkeit von der Kreditfähigkeit eine sich verschärfende Liquiditätskrise. Die wirtschaftlichen und gesetzlichen Anforderungen an Finanz- und Liquiditätsplanung, -steuerung und -überwachung für eine angemessene Risikofrüherkennung steigen. Droht die Zahlungsunfähigkeit, wird dies als bestandsgefährdend eingestuft und der Zeitraum für die detaillierte Finanz- und Liquiditätsplanung sollte von 12 Monaten auf die kommenden 24 Monate erweitert werden. Konkret bedeutet dies für die Geschäftsleitung, dafür Sorge zu tragen, dass ihr die zur Wahrnehmung der Pflichten erforderlichen Informationen über die ertragswirtschaftliche und finanzielle Situation des Unternehmens jederzeit aktualisiert vorliegen. Dazu müssen die wirtschaftliche Lage des Unternehmens unter Beachtung der sich ändernden Rahmenbedingungen laufend beobachtet und erforderlichenfalls Anpassungsmaßnahmen ergriffen werden. Kommt die Geschäftsleitung dem nicht in angemessener Weise nach, kann in einer sich bis hin zur Zahlungsunfähigkeit verschärfenden Krise eine Haftung drohen.
Arno Abs: Neben der Geschäftsleitung eines Unternehmens muss sich auch das Aufsichtsorgan, wie z.B. ein aktienrechtlicher oder freiwilliger Aufsichtsrat oder auch die Gesellschafterversammlung, fragen, ob das Risikomanagementsystems ihres Unternehmens angemessen ausgestaltet ist. Um hier eine gute Hilfe zu bieten, hat das Institut der Wirtschaftsprüfer einen Prüfungsstandard entwickelt. In ihm werden Begriffe, Elemente und Anforderungen des Risikomanagement definiert, die der Gesetzgeber ohne nähere Spezifizierung verwendet. Der Prüfungsstandard bietet eine gute abstrakte Grundlage, um über das Risikomanagementsystem seines Unternehmens und dessen Angemessenheit nachzudenken und mögliche Schwachstellen zu identifizieren. Im konkreten Fall bildet der Prüfungsstandard eine anerkannte Grundlage, um eine Analyse des Risikomanagementsystems oder eines besonders relevanten Teilbereichs wie des Krisenfrüherkennungssystems durchzuführen. Dabei geht es uns auch immer darum, Schwachstellen zu identifizieren und Verbesserungsmöglichkeiten zu erarbeiten, um Risiken für das Unternehmen angemessen zu begegnen. Dies bedeutet letztlich, auch das Risiko von Pflichtverletzungen und einer persönlichen Haftung von Geschäftsleitung und Aufsichtsorgan zu verringern.
Unternehmen können sich nicht auf alle Risiken vorbereiten – mit dem aktuellen Engpass in den Lieferketten hat wohl niemand gerechnet.
Arno Abs: Unternehmensrisiken verändern sich. Wichtig ist es, neue Chancen und Risiken frühzeitig zu erkennen. Die Lieferketten aus Asien, die heute besonders kritisch sind, haben ihren wirtschaftlichen Ausgangspunkt in einer internationalen Arbeitsteilung, die beiden Seiten Wohlfahrtsgewinne gebracht hat und bringt. Mit der einer Pandemie aktuellen Ausmaßes habe ich vor zwei Jahren nicht gerechnet, obwohl die Wissenschaft ein solches Ereignis vorausgesagt hat, wie ich heute weiß. Vielen Unternehmen ist es nicht anders gegangen. Aber Unternehmen haben auf die aktuellen globalen Herausforderungen und die daran anknüpfenden Risiken für ihre Beschaffung und ihren Absatz bereits reagiert. Ich denke, eine Anzahl von Unternehmen hatte bereits vor der Pandemie auf der Beschaffungs- und der Absatzseite strategische Überlegungen, die nun helfen, Engpässe, die durch die Pandemie verstärkt werden, aufzulösen. Diese Unternehmen haben sich im Rahmen ihres Risikomanagements so einen Vorsprung erarbeitet, besser mit den Risiken aus der Coronapandemie und zukünftigen Pandemien umzugehen. Ein gutes Risikomanagement zahlt sich für sie auch in der Coronakrise aus.