Reemtsma-Anspruch in der Umsatzsteuer: Neue Entwicklungen im Insolvenzfall

Was besagt der Reemtsma-Anspruch?

Der sogenannte Reemtsma-Anspruch geht zurück auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus 2007. Er erlaubt es dem Leistungsempfänger, im Ausnahmefall zu Unrecht gezahlte Umsatzsteuer direkt vom Finanzamt zurückzufordern, wenn der leistende Unternehmer die Steuer zwar abgeführt hat, aber eine Rückforderung beim Leistenden unmöglich oder unzumutbar ist, etwa aufgrund einer Insolvenz. Normalerweise muss der Leistungsempfänger zur Durchsetzung seines Anspruchs zivilrechtlich gegen den Leistenden vorgehen. Der Direktanspruch stellt hier eine Ausnahme dar und dient der Sicherstellung der Neutralität der Umsatzsteuer.

Das aktuelle Urteil des FG Baden-Württemberg und seine Bedeutung

Mit Urteil vom 6.12.2023 (14 K 1423/21) hat das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg den Reemtsma-Anspruch erneut gestärkt. Im Streitfall konnte eine Schweizer Aktiengesellschaft die zu Unrecht gezahlte Umsatzsteuer nicht mehr vom deutschen Leistenden zurückfordern, weil dieser insolvent war. Das FG entschied: Die Klägerin muss ihren Anspruch nicht erst zur Insolvenztabelle anmelden oder auf eine Quote warten, sondern kann die Erstattung sofort und in voller Höhe beim Finanzamt beantragen. Das Gericht sieht das Ermessen der Finanzbehörde in solchen Fällen auf Null reduziert und räumt dem Anspruch auf Steuerneutralität den Vorrang ein.

Abweichung vom BMF-Schreiben

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) hatte im Schreiben vom 12.4.2022 den Reemtsma-Anspruch zwar anerkannt, aber die Voraussetzungen sehr eng gefasst. Insbesondere sollte der Leistungsempfänger bei einem Insolvenzverfahren des Leistenden vorrangig versuchen, die Erstattung der zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer von seinem zivilrechtlichen Vertragspartner, dem Leistenden erstattet zu erhalten. Einen Direktanspruch hätte er dann nur in dem Umfang, in dem seine Forderung wegen nicht ausreichender Masse ausfällt. Die aktuelle Rechtsprechung des FG Baden-Württemberg sieht das anders: Ein Direktanspruch besteht auch dann, wenn der Leistende insolvent ist oder der Anspruch gegen ihn zivilrechtlich verjährt ist. Entscheidend ist, dass die Rückforderung beim Leistenden tatsächlich unmöglich oder übermäßig erschwert ist. Damit steht die Rechtsprechung in Teilen im Widerspruch zur restriktiven Verwaltungspraxis des BMF.

Das Urteil des FG ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Der Bundesfinanzhof (BFH) wird im Revisionsverfahren abschließend darüber entscheiden (Az. V R 31/24).

Auswirkungen auf die Praxis

Das Urteil das FG stärkt die Rechte der Leistungsempfänger und erweitert teilweise den engen Anwendungsbereich des BMF-Schreibens. Unternehmen sollten ihre Fälle prüfen und im Zweifel den Direktanspruch offensiv geltend machen. Die Rechtsprechung zeigt: Die Neutralität der Umsatzsteuer genießt Vorrang vor formalen Hürden. Dennoch bleibt das Verfahren einzelfallabhängig und erfordert eine fundierte Dokumentation. Dabei unterstützen Sie unsere Experten gerne.

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