Direktanspruch ans Finanzamt statt Vorsteuerberichtigung bei verjährten Ansprüchen?
Was ist ein Direktanspruch?
Der Direktanspruch oder auch Reemtsma-Anspruch betrifft Fälle, in denen Steuerpflichtige unter bestimmten Voraussetzungen die Rückzahlung zu Unrecht gezahlter Umsatzsteuer vom Fiskus fordern können, sofern eine Berichtigung der Eingangsrechnungen gegenüber den Leistenden scheitert.
Die Finanzverwaltung hat hierzu im Jahr 2022, recht restriktiv, Stellung bezogen. So kann die Insolvenz des Leistenden einen Direktanspruch begründen, nicht jedoch die zivilrechtliche Verjährung des Anspruchs auf Berichtigung der Rechnung.
Fall des Finanzgerichts Münster
Der Kläger ist Land- und Forstwirt. Er handelt gewerblich mit Brennholz. Leider ist die Bestimmung des korrekten Steuersatzes bei Brennholz in der Praxis nicht einfach (5,5 %, 7 % oder 19 %?) – auch nicht hier. Zunächst verlangte die Betriebsprüfung Umsatzsteuer nach, da die Ausgangsumsätze des Klägers dem Regel- und nicht dem ermäßigten Steuersatz unterlägen. Der Kläger zog vor das Finanzgericht und bekam Recht. Laut Finanzgericht gilt dies allerdings auch für die Eingangsleistungen, die bisher zum Regelsteuersatz abgerechnet wurden. Entsprechend ergab sich hieraus eine Kürzung der Vorsteuer. Nach Abschluss des Verfahrens beantragte der Kläger, ihm die Nachzahlung aus den Vorsteuerkürzungen zu erlassen, da alle Lieferanten mit Hinweis auf die zivilrechtliche Verjährung eine Berichtigung der Rechnung und eine Rückzahlung der zu hoch ausgewiesenen Umsatzsteuer verweigerten. Das Finanzamt lehnte dies ab und verwies u.a. auf das oben aufgeführte Schreiben des Bundesfinanzministeriums. Der Kläger klagte erneut beim Finanzgericht Münster und forderte den Erlass der Nachzahlung sowie der zugehörigen Nachzahlungszinsen.
Urteil Finanzgericht Münster: Erlass der Umsatzsteuer, aber nicht der Zinsen
Nach Ansicht des Finanzgerichts sind die Voraussetzungen des Direktanspruchs erfüllt:
- Dem Kläger wurde Umsatzsteuer zu Unrecht in Rechnung gestellt.
- Der Kläger hat die zu Unrecht erhobene Umsatzsteuer an seine Lieferanten gezahlt.
- Die Lieferanten haben die zu Unrecht erhaltene Umsatzsteuer deklariert und an den Fiskus abgeführt.
- Die Ansprüche des Klägers auf Berichtigung der Rechnungen sind verjährt.
- Betrug, Missbrauch oder Fahrlässigkeit durch bzw. seitens des Klägers liegen nicht vor.
Einen Anspruch auf Erlass der Zinsen sieht das Finanzgericht dagegen nicht.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Das Urteil ist für die Praxis wichtig, da es den Unternehmen die Möglichkeit bietet, in solchen Fällen nicht auf der Umsatzsteuer sitzen zu bleiben. Dies sollte jedoch nicht zum Anlass genommen werden, um die Rechnungseingangskontrolle zu vernachlässigen. Unverändert müssen Sie Eingangsrechnungen prüfen, um rechtzeitig deren Berichtigung zu fordern und nicht erst nach der Betriebsprüfung. Zum einen ist dies nach wie vor günstiger als die Kosten, die mit der Durchsetzung solcher Ansprüche verbunden sind. Zum anderen ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Selbst wenn der Bundesfinanzhof in der Revision der Auffassung des Finanzgerichts folgt, bedeutet dies nicht, dass nun alle derartigen Fälle unproblematisch sind. So kann die tatsächliche Verjährung angezweifelt werden oder Sie müssen nachweisen, dass Sie nicht fahrlässig gehandelt haben. Sehen Sie also zu, dass es erst gar nicht hierzu kommt.
Sofern Sie allerdings derartige Fälle jetzt haben oder in der Vergangenheit hatten, sollten Sie prüfen, ob Sie den Direktanspruch geltend machen können. Entsprechende Verfahren sollten unter Berufung auf das anhängige Verfahren offengehalten werden.
Wie geht es weiter?
Zu dem Urteil ist mittlerweile die Revision anhängig. Angesichts des Umstands, dass die Grundlage für das Finanzgericht eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs war, ist schwer vorstellbar, dass der Bundesfinanzhof grundsätzlich anders entscheidet. Dennoch dürfte wichtig sein, welche Anforderungen laut Bundesfinanzhof erfüllt sein müssen, damit der Direktanspruch geltend gemacht werden kann. So sah es z.B. das Finanzgericht als nicht fahrlässig an, dass der Kläger in Kenntnis der fehlerhaften Rechnungen keine verjährungshemmenden Maßnahmen vorgenommen hat.
Finanzgericht Münster, Urteil vom 23.1.2024 – 15 K 2327/20
Az. Bundesfinanzhof: XI R 17/24
Vorabentscheidung Europäischer Gerichtshof vom 7.9.2023 – C-453/22