Wie weit darf Mitarbeiterüberwachung gehen?
Was ist passiert?
Ein Onlineversandhändler klagte im nun entschiedenen Verfahren gegen die Verfügung, den Einsatz von Handscannern für Logistik-Mitarbeiter:innen zu unterlassen. Mittels Handscanner werden Arbeitsschritte wie Einlagerung, Entnahme und Versandvorbereitung der Ware erfasst. Die mithilfe der Handscanner in Echtzeit erhobenen Daten werden vom Arbeitgeber zur Steuerung von Logistikprozessen gespeichert und ausgewertet. Daneben dient die Datenerfassung als Bewertungsgrundlage für Qualifizierungsmaßnahmen sowie für Feedback und Personalentscheidungen.
Die Landesbeauftragte für den Datenschutz Niedersachsen hatte zuvor eine Unterlassungsverfügung erlassen, da nach ihrer Auffassung der Einsatz von Handscannern als ununterbrochene, anlasslose Überwachung gegen § 26 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) „Datenverarbeitung für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses“ verstößt.
Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover
Das Verwaltungsgericht Hannover hat nun entschieden, dass kein Verstoß gegen § 26 BDSG vorliegt.
Der Beschäftigtendatenschutz rechtfertige Datenverarbeitungen personenbezogener Daten von Arbeitnehmer:innen u.a. dann, wenn die Datenverarbeitung für das Beschäftigungsverhältnis erforderlich ist. Diese Erforderlichkeit liegt nach Ansicht des Gerichts vor. Zunächst verfolge der Einsatz der Handscanner legitime Zwecke, nämlich die Steuerung von Logistikprozessen, die Steuerung der individuellen Qualifizierung der Mitarbeiter:innen sowie die Schaffung objektiver Bewertungsgrundlagen für Feedbackgespräche und Personalentscheidungen. Daneben sei die Datenverarbeitung auch geeignet, diese Interessen zu fördern. Eine stichprobenartige Datenverarbeitung stelle dagegen kein milderes, gleich effektives Mittel dar. So riskiere der Arbeitgeber ohne die dauerhafte Datenverarbeitung Effizienzverluste in der gesamten Warenbearbeitung und Warenstaus. Zugleich wäre die Datengrundlage für Feedbackgespräche und Personalentscheidungen weniger aussagekräftig, wenn diese lediglich auf einer stichprobenartigen Überwachung beruhe. Letztlich würden Mitarbeiter:innen also von der Überwachung profitieren. Die Überwachung sei im Übrigen auch angemessen gewesen, da sie offen kommuniziert worden sei. Weiter falle auch die Eingriffsintensität für die einzelnen Mitarbeiter:innen nicht weiter ins Gewicht, da lediglich der Arbeitsplatz als Sozialsphäre betroffen sei.
Was heißt das nun für Arbeitgeber?
Für Arbeitgeber stellt sich jetzt die Frage, wie das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover in die Praxis umzusetzen ist und in welchem Rahmen Überwachung von Mitarbeiter:innen erlaubt ist.
Fest steht, dass auch jetzt eine klare Linie der Gerichte nicht erkennbar ist. Die verwaltungsgerichtliche Entscheidung reiht sich nicht in die aktuelle Rechtsprechung verschiedener Gerichte ein, darunter auch des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Vielmehr zeigt sich das Verwaltungsgericht bei der Beantwortung der Frage nach der zulässigen Mitarbeiterüberwachung weitaus weniger streng.
So hat das Bundesarbeitsgericht bereits entschieden, dass Kontrollmaßnahmen, die in ihrer Intensität mit einer verdeckten Videoüberwachung vergleichbar sind, lediglich bei einem Anfangsverdacht einer Straftat oder einer anderen schweren Pflichtverletzung erlaubt sind. Nach Ansicht des BAG sind präventive Maßnahmen – wie vorliegend der Einsatz von Handscannern – nur zulässig, wenn sie keinen Überwachungsdruck erzeugen. Nach Ansicht des obersten deutschen Arbeitsgerichts ist Arbeitnehmer:innen im Einklang mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein gewisser Grad an Selbstbestimmung zuzugestehen.
Das Verwaltungsgericht Hannover greift diesen Punkt in seiner Argumentation hingegen nicht auf. Abzuwarten bleibt, ob nun auch Arbeitsgerichte Überwachungsmaßnahmen zukünftig anders bewerten werden.
Bedenken müssen Unternehmen in diesem Kontext zudem die Beteiligung des Betriebsrats. Diesem steht bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer:innen zu überwachen, ein Mitbestimmungsrecht zu. Dieses Mitbestimmungsrecht besteht unabhängig davon, ob es dem Arbeitgeber durch die Einführung der technischen Einrichtung auf die Mitarbeiterüberwachung ankommt. Es reicht aus, wenn die Möglichkeit der Kontrolle durch die Einrichtung selbst besteht.
Unser Fazit
Zusammenfassend bedeutet die derzeit uneinheitliche Rechtsprechung für Unternehmen, die eine technische Überwachungseinrichtung einführen wollen, in erster Linie Rechtsunsicherheit. Der erhoffte betriebswirtschaftliche Nutzen von Überwachungsmaßnahmen sollte derzeit gegen das Risiko einer gegebenenfalls gerichtlichen Auseinandersetzung mit Arbeitnehmer:innen oder dem Betriebsrat abgewogen werden. Gerne beraten wir Sie in allen grundlegenden Fragen rund um dieses Thema wie auch zur Beteiligung des Betriebsrats.
Verwaltungsgericht Hannover, Urteil vom 9.2.2023 – 10 A 6199/20