Kündigung in der „Probezeit“: Keine Pflicht zum Präventionsverfahren bei Schwerbehinderung
Der konkrete Fall vor dem BAG
Der Schutz schwerbehinderter Menschen und ihnen Gleichgestellter im Arbeitsleben genießt einen besonders hohen Stellenwert. Eine zentrale Frage, die sich in diesem Kontext immer wieder stellt, ist die Verpflichtung zur Durchführung eines Präventionsverfahrens nach § 167 Abs. 1 SGB IX. Das BAG hat nun eine wichtige Klarstellung getroffen, die Arbeitgebern mehr Rechtssicherheit bei Kündigungen in der Wartezeit, also innerhalb der ersten sechs Monate des Beschäftigungsverhältnisses, gibt.
Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer war als Leiter der Haus- und Betriebstechnik beim Unternehmen beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis sah eine sechsmonatige Probezeit vor. Dem Arbeitgeber war die Schwerbehinderung des Mitarbeitenden bei Vertragsschluss bekannt. Bereits nach drei Monaten, also innerhalb der Probezeit und der sechsmonatigen Wartezeit nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG), sprach der Arbeitgeber die Kündigung aus. Als Grund wurde die mangelnde fachliche Eignung des Mitarbeiters angeführt.
Der Arbeitnehmer klagte gegen die Kündigung und argumentierte unter anderem, der Arbeitgeber habe weder das vorgeschriebene Präventionsverfahren gemäß § 167 Abs. 1 SGB IX durchgeführt noch ihm einen behinderungsgerechten Arbeitsplatz gemäß § 164 Abs. 4 SGB IX angeboten. Daher sei die Kündigung unwirksam.
Die Vorinstanzen gaben dem Arbeitgeber Recht und wiesen die Klage des Arbeitnehmers ab. Hiergegen legte der Arbeitnehmer Revision vor dem Bundesarbeitsgericht ein.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Das BAG wies die Klage zurück und bestätigte damit die Entscheidungen der Vorinstanzen: Die Kündigung war demnach wirksam.
Das Gericht stellte klar, dass eine Kündigung, die einen Arbeitnehmer aufgrund seiner Behinderung diskriminiert, grundsätzlich nichtig ist. Im vorliegenden Fall habe die Kündigung jedoch ausschließlich die mangelnde fachliche Eignung des Arbeitnehmers betroffen, die in keinerlei Zusammenhang mit seiner Schwerbehinderung stand. Der Arbeitgeber war daher nicht verpflichtet, vor Ausspruch der Kündigung ein Präventionsverfahren durchzuführen. Dieses verfolgt den Zweck, einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses aus Gründen der Schwerbehinderung möglichst frühzeitig vorzubeugen. Allerdings spricht die Norm von „personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten“ und knüpft daher erkennbar an die Terminologie des Kündigungsschutzgesetzes (§ 1 Abs. 2 KSchG) an, so das Gericht. Dies zeige, dass das Präventionsverfahren nur dann durchlaufen werden müsse, wenn auch das Kündigungsschutzgesetz Anwendung finde, also unter anderem erst nach Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit. Das Gericht wies zudem klarstellend darauf hin, dass ein Verstoß gegen das Präventionsverfahren nicht die Nichtigkeit der Kündigung zur Folge hat, denn eine solche Rechtsfolge sieht die Norm nicht vor.
Ein Anspruch auf einen behinderungsgerechten Arbeitsplatz besteht bereits während der Wartezeit und auch in einem Kleinbetrieb. Denn hier geht es darum, Nachteile aufgrund einer Behinderung auszugleichen und eine gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. Arbeitgeber sind verpflichtet, die erforderlichen technischen Arbeitshilfen bereitzustellen und bei Bedarf alternative, behinderungsgerechte Arbeitsplätze anzubieten, sofern dies zumutbar ist und keine unverhältnismäßige Belastung darstellt. In dem Verfahren vor dem BAG konnte der Kläger jedoch nicht darlegen, welche Vorkehrungen der Arbeitgeber im Hinblick auf seine konkrete Behinderung und die sich daraus ergebenden Einschränkungen hätte treffen können, um eine Weiterbeschäftigung zu ermöglichen. Der Arbeitgeber hatte dem Arbeitnehmer nicht aufgrund der Behinderung, sondern aufgrund mangelnder Eignung gekündigt. Somit hätten keine Vorkehrungen getroffen werden können, um eine Weiterbeschäftigung zu ermöglichen. Eine Auslegung, nach der allein das Unterlassen einer angemessenen Vorkehrung bei Arbeitnehmern mit Behinderung zur Annahme einer Benachteiligung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) führen würde, überschreitet nach Ansicht des Gerichts die Grenzen einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts.
Ausblick für die Praxis
Das Urteil schafft Klarheit über die Pflichten von Arbeitgebern, insbesondere im Zusammenhang mit Kündigungen während der Wartezeit eines schwerbehinderten Mitarbeitenden oder eines Gleichgestellten.
Arbeitgeber können schwerbehinderte Mitarbeitende und Gleichgestellte innerhalb der ersten sechs Monate – in der Regel also während der Probezeit – auch ohne vorheriges Präventionsverfahren kündigen, sofern die Kündigung nicht diskriminierend ist und nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Der allgemeine Schutz vor Diskriminierung aufgrund einer Behinderung gemäß dem AGG bleibt hiervon unberührt. Entscheidend ist, ob die Kündigung unmittelbar oder mittelbar auf der Behinderung beruht. Ist dies der Fall, ist sie diskriminierend und somit unwirksam. Die Darlegungslast für Indizien der Diskriminierung liegt zunächst beim Arbeitnehmer. Diese Herangehensweise benachteiligt schwerbehinderte Menschen nicht, sondern folgt der gesetzlichen Systematik im Einklang mit europäischem Recht.
Gleiches gilt für den Anspruch auf einen behindertengerechten Arbeitsplatz. Dieser besteht bereits während der Wartezeit und auch in Kleinbetrieben. Auch hier ist es Aufgabe des Arbeitnehmers, darzulegen, welche Vorkehrungen der Arbeitgeber treffen könnte und welche konkreten Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen, für die er die notwendige Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit mitbringt.
Nach Ablauf der Probe- bzw. der Wartezeit ist vor Ausspruch einer Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten oder gleichgestellten Mitarbeitenden zudem die Zustimmung des Integrationsamtes erforderlich (§§ 168, 173 SGB IX). Dies gilt auch für Kleinbetriebe.
Insgesamt festigt das Urteil die Position der Arbeitgeber bei Kündigungen in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung, ohne den grundlegenden Schutz schwerbehinderter Menschen und Gleichgestellter vor Diskriminierung aufzuheben. Es ist jedoch nach wie vor essenziell, die Voraussetzungen einer Kündigung sorgfältig zu prüfen, um diese wirksam aussprechen zu können.
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 4. März 2025 – 2 AZR 178/24