Funktionsverlagerung im Fokus: Finanzgericht Köln schafft mehr Klarheit
Funktionsverlagerung: Einordnung und aktuelle Rechtslage
Eine Funktionsverlagerung liegt vor, wenn Unternehmen eine Funktion einschließlich der dazugehörigen Chancen und Risiken sowie der mitübertragenen oder mitüberlassenen Wirtschaftsgüter oder sonstigen Vorteile ganz oder teilweise an eine ausländische nahestehende Person (z.B. ein anderes Konzernunternehmen) übertragen oder überlassen. Mit der Folge, dass das übernehmende Unternehmen diese Funktion ausüben oder eine bestehende Funktion ausweiten kann. In diesen Fällen ist für die Funktion als Ganzes (Transferpaket) ein fremdüblicher Preis anzusetzen. Ziel der Regelungen ist es, sicherzustellen, dass bei einer Verlagerung von Funktionen ins Ausland ein angemessener Fremdvergleichspreis angesetzt wird, um Gewinnverlagerungen und Steuervermeidung zu verhindern. Die steuerlichen Auswirkungen können erheblich sein, weil – je nach Fallkonstellation – stille Reserven, immaterielle Wirtschaftsgüter und Firmenwerte vollständig aufgedeckt und versteuert werden müssen.
Produktionsaufbau in Mexiko für US-Kunden
Das Finanzgericht Köln hat mit kürzlich veröffentlichtem Urteil vom 13.6.2024 (13 K 2752/20) zentrale Fragen zur Abgrenzung einer Funktionsverlagerung behandelt. Klägerin im Verfahren war ein deutscher Automobilzulieferer, der Teil einer weltweit operierenden Unternehmensgruppe ist. Die Gruppe entwickelt, produziert und vertreibt u.a. einbaufertige Teile für Kraftfahrzeuge. Seit 2005 produziert die polnische Konzerngesellschaft für die deutsche Gesellschaft als Auftragsfertiger bestimmte Produkte (Produktgruppe S). Ab dem Jahr 2006 wurden durch Mitarbeiter:innen der US-Tochtergesellschaft Vertriebsverhandlungen mit einem US-Kunden geführt und im Jahr 2008 erfolgreich abgeschlossen. Das Ergebnis war ein Liefervertrag der US-Tochtergesellschaft mit dem US-Kunden. Die Belieferung des Kunden erfolgte zunächst durch die polnische Gesellschaft, später (ab dem Jahr 2013) durch ein neues Produktionswerk in Mexiko; hierfür wurde eine eigenständige Gesellschaft in Mexiko gegründet, die als Auftragsfertiger für die US-Gesellschaft agierte. Nach Produktionsstart in Mexiko schlossen die deutsche und die US-Gesellschaft einen Lizenzvertrag über die Überlassung der für die Fertigung in Mexiko notwendigen immateriellen Wirtschaftsgüter ab. Weiterhin lieferte die deutsche Gesellschaft Materialien und Halbfertigprodukte für die Produktion an die mexikanische Gesellschaft.
Betriebsprüfung nahm eine Funktionsverlagerung an …
Die u.a. für das Jahr 2013 angeordnete Betriebsprüfung stellte eine Funktionsverlagerung durch die deutsche an die US-Gesellschaft fest. Als verlagerte Funktion nahm die Betriebsprüfung die „Produktion von Produkten der Produktgruppe S für den NAFTA-Markt (ohne Fertigung)“ an. Diese Funktion habe die deutsche Gesellschaft nur formal zur Nutzung überlassen, tatsächlich habe ein vollständiger Übergang dieser Funktion einschließlich Geschäftschance und Strategieträgerschaft stattgefunden. Zudem habe die deutsche Gesellschaft ihre Mitwirkungspflichten verletzt, weil die geforderte Dokumentation eines außergewöhnlichen Geschäftsvorfalls einer Funktionsverlagerung nicht vorgelegt worden sei. Dadurch entstehe die Vermutung höherer Einkünfte für die Finanzverwaltung gemäß § 162 Abs. 3 Satz 1 AO, sodass die Annahme einer Funktionsverlagerung rechtmäßig sei.
… und wird vom Finanzgericht Köln in die Schranken verwiesen
Das Finanzgericht Köln gab der von der deutschen Gesellschaft erhobenen Klage in vollem Umfang statt. Mit großer Sorgfalt und überzeugenden Begründungen lehnt das Finanzgericht das Vorgehen der Betriebsprüfung und die Annahme einer Funktionsverlagerung ab. Die wesentlichen auf den Fall bezogenen Aussagen des Finanzgerichts lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Eine Funktion liegt nur vor, wenn Personal- und Sachmittel organisch abgegrenzt zum Einsatz kommen. Wird beispielsweise ein bestimmter Markt von einem organisatorisch abgegrenzten Geschäftsbereich bedient oder wird die Forschung und Entwicklung einer bestimmten Technologie von einem eigenständigen Entwicklungsteam durchgeführt, kann es sich hierbei um einen organischen Teil eines Unternehmens handeln, der als eine Funktion abgrenzbar ist. Die „Produktion von Produkten der Produktgruppe S für den NAFTA-Markt (ohne Fertigung)“ erfüllt diese Voraussetzungen im konkreten Fall nicht.
- Eine Funktionsverlagerung setzt voraus, dass verlagernde Unternehmen diese Funktion tatsächlich selbst ausgeübt hat. Im vorliegenden Fall übte die deutsche Gesellschaft die Produktionsfunktion für die Produkte der Produktgruppe S weder vor noch nach der Umstrukturierung selbst aus, sondern hatte diese zunächst an die polnische Gesellschaft als Auftragsfertiger ausgelagert. Diese ausgelagerte Funktion kann nicht der deutschen Gesellschaft als Auftraggeber zugerechnet werden. Die bloße Möglichkeit, dass die deutsche Gesellschaft die Geschäftschance in den USA auch selbst hätte verwerten können, reicht für die Annahme einer Funktionsverlagerung nicht aus.
- Die Feststellungslast für das Vorliegen einer Funktionsverlagerung liegt bei der Finanzverwaltung. Eine solche kann nicht vermutet werden, wenn es hierfür keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte gibt. Ebenso wenig kann die Annahme einer Funktionsverlagerung auf die Behauptung einer Verletzung der Mitwirkungspflicht gestützt werden.
Umstrukturierungen erfordern weiter steuerliche Aufmerksamkeit
Das rechtskräftige Urteil ordnet sich erfreulicherweise in die bisherige Rechtsprechung ein, insbesondere in das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 9.8.2024 (Blogbeitrag vom 16. Januar 2024). Der Bundesfinanzhof hat klargestellt, dass für die Annahme einer Funktionsverlagerung eine umfassende Übertragung unternehmerischer Aktivitäten vorliegen muss. Einzelne Maßnahmen wie die Einstellung oder Verlagerung von Produktionsteilen genügen allein nicht; vielmehr ist eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände erforderlich. Damit erteilten bisher alle Finanzgerichte einer von der Finanzverwaltung vielfach vorgenommenen „Atomisierung des Funktionsbegriffs“ eine klare Absage.
Das aktuelle Urteil des Finanzgerichts Köln unterstreicht: Nicht jede Umstrukturierung ist automatisch eine steuerpflichtige Funktionsverlagerung, aber die Abgrenzung bleibt komplex und risikobehaftet. Hinzu kommt, dass die bisherigen Urteile zu einer alten Rechtslage ergangen sind. Die aktuelle Funktionsverlagerung aus dem Jahr 2022 sieht eine etwas andere (möglicherweise weitergehende) Definition der Funktionsverlagerung vor. Unternehmen, die geplante Veränderungen in der konzerninternen Wertschöpfungskette frühzeitig steuerlich prüfen und dokumentieren, vermeiden böse Überraschungen und schaffen Rechtssicherheit.