Einstellung der Produktion ist nicht zwingend eine Funktionsverlagerung

Funktionsverlagerung: hohes Streitpotenzial, strittige Voraussetzungen

Bei Reorganisation innerhalb internationaler Konzernstrukturen kommt es – jedenfalls in den Augen der deutschen Finanzverwaltung – häufig zu Funktionsverlagerungen, wenn deutsche Konzerngesellschaften bisher von ihnen ausgeübte Aufgaben innerhalb des Konzerns abgeben. Das Streitpotenzial in solchen Fallkonstellationen ist regelmäßig dem Grunde und der Höhe nach erheblich, weil bei Annahme einer Funktionsverlagerung zukünftige Gewinnpotenziale im Zeitpunkt der Verlagerung besteuert werden. So war auch der Fall gelagert, der kürzlich vom Niedersächsischen Finanzgericht zu entscheiden war: Die deutsche Tochtergesellschaft (X) eines Konzerns stellte aufgrund einer Entscheidung der Konzernspitze im Inland ihre Produktion ein. Diese Produktion wurde anschließend von einer weiteren ausländischen Konzerngesellschaft (Y) durchgeführt. Die Produktionsanlagen wurden von X an Schwestergesellschaften verkauft. Die im Rahmen der Produktionseinstellung anfallenden Schließungskosten wurden von Y getragen. Darüber hinausgehende Zahlungen als Entschädigung für die Einstellung der Produktion erfolgten nicht. Die deutsche Betriebsprüfung würdigte den Fall als Funktionsverlagerung und berechnete ein Transferpaket. Nach Abzug der Erlöse aus dem Verkauf der Anlagen sowie der von Y getragenen Schließungskosten ergab sich folglich eine Gewinnerhöhung bei X.

Ohne Geschäftschance keine verdeckte Gewinnausschüttung

Die von X eingereichte Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht prüfte in einem ersten Schritt das Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA). Eine vGA in Gestalt einer verhinderten Vermögensmehrung wäre denkbar, wenn X an Y eine Geschäftschance überlassen hätte. Eine solche Geschäftschance bedeutet die konkrete Möglichkeit, aus einem Geschäft oder einer betrieblichen Funktion künftig einen Vermögensvorteil erzielen zu können. In der Regel handelt es sich bei der Geschäftschance um ein immaterielles Wirtschaftsgut, wie beispielsweise einen Kundenstamm, ein Belieferungsrecht oder einen bestimmten Exportmarkt. Zwar muss es sich nicht zwingend um eine rechtlich abgesicherte Rechtsposition handeln, jedoch muss die Geschäftschance zumindest so weit konkretisiert sein, dass sie einer Bewertung zugänglich ist. Diese Kriterien sah das Finanzgericht im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da die Produktion von X im Wesentlichen auf Mengenangaben beruhte, die die Konzernspitze zugewiesen hatte und die über andere Konzern-Vertriebsgesellschaften an externe Kunden verkauft wurden. Somit verfügte X insbesondere nicht über einen eigenen Kundenstamm und auch nicht über einen rechtlich gefestigten Anspruch, bestimmte Produktionsmengen auch zukünftig fertigen zu können.

Ohne Wirtschaftsgüter und sonstige Vorteile keine Funktionsverlagerung

In einem zweiten Prüfungsschritt beschäftigte sich das Finanzgericht mit der Frage der Funktionsverlagerung. Auch diese Frage wurde im Ergebnis verneint, weil weder immaterielle Wirtschaftsgüter noch sonstige Vorteile von X auf Y verlagert worden seien. Auch dies machten die Richter:innen einerseits am fehlenden eigenen Kundenstamm von X fest. Andererseits verfügte X offenbar auch über keine sonstigen immateriellen Wirtschaftsgüter (Patente, sonstige Schutzrechte, Know-how etc.). Vielmehr standen die entsprechenden Entwicklungen aufgrund eines konzerninternen Kostenumlagevertrags (Cost Sharing Agreement) auch Y zu, sodass Y selbstständig die zunächst von X hergestellten Produkte produzieren konnte. Aus diesen Gründen habe Y nach Produktionseinstellung durch X nur das getan, was sie aufgrund ihrer rechtlichen Position innerhalb des Konzerns schon früher hätte tun können.

Fortsetzung folgt vor dem Bundesfinanzhof

Somit hat das Finanzgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben und eine Einkommenserhöhung abgelehnt. Gleichzeitig wurde aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung die Revision zugelassen, sodass der Fall voraussichtlich seine Fortsetzung vor dem Bundesfinanzhof finden wird. Dies wäre auch zu begrüßen, weil eine höchstrichterliche Rechtsprechung zu Fragen der Funktionsverlagerung bislang praktisch nicht existiert. Kommt es zu einem Revisionsverfahren, ist eine Zurückverweisung durch den Bundesfinanzhof nicht unwahrscheinlich, da zumindest aus dem veröffentlichten Urteil vergleichsweise wenige Sachverhaltsinformationen zu entnehmen sind und hier möglicherweise noch weitere Sachaufklärung geboten ist. Insbesondere die Frage, nach welcher Verrechnungspreismethode die Preise für die Lieferung der von X hergestellten Produkte an die Vertriebsgesellschaften ermittelt wurden und welches genaue Funktions- und Risikoprofil X aufwies, könnte für die Entscheidung des Falls von Bedeutung sein.

Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 16.03.2023 - 10 K 310/19
 

Benno Lange

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