Verlagerung der Produktion auf eine ausländische Gesellschaft
Streitthema: Funktionsverlagerung
Seit 2008 regelt das deutsche Außensteuergesetz (AStG) in zwischenzeitlich mehrfach geänderter Form den Fall der Funktionsverlagerung als Spezialfall einer Verrechnungspreis-Korrektur zwischen international verbundenen Unternehmen. Nach der gesetzlichen Vorschrift (aktuell § 1 Abs. 3b AStG) ist bei einer Funktionsverlagerung der angemessene Verrechnungspreis für die Funktion als Ganzes zu bestimmen. Dieses sogenannte Transferpaket beinhaltet nicht nur die Summe aller Einzelwirtschaftsgüter, die Gegenstand der Verlagerung sind, sondern auch sonstige Vorteile wie Synergien oder einen positiven Geschäftswert. Seit Einführung ist die Vorschrift in der Fachwelt umstritten und führt in der Betriebsprüfungspraxis immer wieder zu Streit. Rechtsprechung gab es zu diesem Themenkomplex bislang kaum, doch nun liegt – soweit erkennbar – die erste höchstrichterliche Entscheidung vor, die sich mit den Tatbestandsmerkmalen einer Funktionsverlagerung beschäftigt.
Verlagerung unwirtschaftlicher Produktion ins Ausland
Im Streitfall ging es um eine deutsche GmbH, die im Rahmen eines mehrstufigen Fertigungsprozesses auf dem Gebiet der Trenn- und Zerspanungstechnik überwiegend für Kunden aus dem Automobilsektor tätig war. Die hiermit verbundenen arbeitszeitintensiven Fertigungsverfahren standen durch die hohen Kosten für Arbeit in Energie unter einem starken wirtschaftlichen Druck. Daher gründete der Geschäftsführer und alleinige Gesellschafter der GmbH im Jahr 2007 in Bosnien-Herzegowina eine weitere Kapitalgesellschaft und lagerte anschließend einen Teil der – in Deutschland nicht mehr rentablen – Produktion auf diese Gesellschaft aus. Die GmbH lieferte das zur Produktion benötigte Material und kaufte die hieraus entstehenden Halbfertig- bzw. Fertigprodukte zurück. Ab dem Jahr 2013 belieferte die bosnische Gesellschaft direkt auch eigene Kunden.
Bundesfinanzhof nimmt zu grundlegenden Fragen Stellung
Nachdem das Finanzamt für die Preise zwischen der deutschen und der bosnischen Gesellschaft Verrechnungspreis-Korrekturen in Form von verdeckten Gewinnausschüttungen vorgenommen hatte, erhob die GmbH Klage vor dem Finanzgericht München (vgl. Blogbeitrag vom 13.5.2020). Die daraufhin von beiden Parteien eingelegte Revision hatte Erfolg; der Bundesfinanzhof hob das Urteil auf und verwies die Sache zur Verhandlung und Entscheidung zurück an das Finanzgericht.
Obwohl die Rechtsfrage nun im zweiten Instanzenzug fortgesetzt wird, lassen sich aus der Entscheidung des Bundesfinanzhofs bereits einige für die Praxis wichtige Erkenntnisse ableiten:
- So hat der Bundesfinanzhof erneut bestätigt, dass § 1 AStG gegenüber anderen Einkünftekorrekturvorschriften (hier: verdeckte Gewinnausschüttung) nur subsidiär anwendbar ist und nur dann und insoweit zur Anwendung kommt, als die andere Norm in geringerem Umfang Korrekturen anordnet.
- Der Bundesfinanzhof bestätigt, dass bei einer Auftragsproduktion die Lieferung des Materials durch den Auftraggeber und der Rückerwerb der fertigen Produkte im Rahmen einer Gesamtbetrachtung gewürdigt werden können und die Materialkosten als nicht wertschöpfende Kosten nicht in die Bemessungsgrundlage bei Anwendung der Kostenaufschlagsmethode einbezogen werden müssen.
- Der Bundesfinanzhof geht offenbar – im Unterschied zur Finanzverwaltung – von einer weniger kleinteiligen Auslegung des Begriffs der Funktion aus. Die Produktion für einen Kunden will der Bundesfinanzhof nur dann als relevante Funktion ansehen, wenn diese als eigenständige Produktion im Unternehmen und damit als organischer Teil des Unternehmens angesehen werden kann.
- Abschließend äußert sich der Bundesfinanzhof auch zur Berücksichtigung von Standortvorteilen und verlangt hier eine Aufteilung anhand der jeweiligen Funktionen, Risiken, eingesetzten Wirtschaftsgüter und realistisch verfügbaren Handlungsalternativen. Unklar bleibt allerdings, ob damit eine Abweichung von der gesetzlichen Regelvermutung einer Orientierung am „Mittelwert des Einigungsbereichs“ verbunden ist.
Weitere Entscheidungen werden folgen
Es ist uneingeschränkt zu begrüßen, dass der Bundesfinanzhof erstmals zu streitanfälligen Fragen der Funktionsverlagerung Stellung bezogen hat. Hoffnung aus Sicht der betroffenen Unternehmen macht insbesondere, dass der Bundesfinanzhof das für die Abgrenzung einer Funktion wesentliche Tatbestandsmerkmal „organischer Teil“ offenbar im Sinne einer Eigenständigkeit interpretiert, wobei die Ausführungen hierzu leider recht knapp geblieben sind. Weitere Entscheidungen des höchsten deutschen Finanzgerichts dürften folgen; so ist beispielsweise zum Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 16.3.2023 (vgl. Blogbeitrag vom 9.8.2023) die Revision unter dem Aktenzeichen I R 43/23 anhängig.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 9.8.2023 – I R 54/19