Zinssatz bei Aussetzung der Vollziehung verfassungswidrig?
Wann entstehen Aussetzungszinsen?
Wird ein Steuerbescheid mit Einspruch oder Klage angefochten, so ist seine Vollziehung, etwa die Zahlung der festgesetzten Steuer, nicht automatisch gehemmt. Erst durch die Aussetzung der Vollziehung („AdV“) wird die Zahlung der strittigen Steuer auf Antrag ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestehen. Hat der Einspruch oder die Klage endgültig (ganz oder teilweise) keinen Erfolg, sind seitens des Finanzamts sogenannte Aussetzungszinsen (AdV-Zinsen) festzusetzen. Der Zinssatz bei Aussetzung der Vollziehung beträgt 0,5 % für jeden ausgesetzten Monat.
Zinssatz für Nachzahlungszinsen bereits abgesenkt
Für Nachzahlungszinsen hatte das Bundesverfassungsgericht bereits mit Beschluss vom 8.7.2021 entschieden, dass der Zinssatz von 0,5 % pro Monat seit dem 1.1.2014 verfassungswidrig sei. Es hatte jedoch bis zum 31.12.2018 eine Fortgeltung des bisherigen Zinssatzes angeordnet und dem Gesetzgeber eine Neuregelung aufgegeben (vgl. Blogbeitrag vom 19.1.2021) Dieser hatte dann den Zinssatz für Nachzahlungszinsen, nicht jedoch für Aussetzungszinsen und weitere Zinstatbestände, ab dem 1.1.2019 auf 0,15 % pro Monat herabgesetzt (vgl. Blogbeitrag vom 5.4.2022).
Bundesfinanzhof hält auch AdV-Zinssatz für verfassungswidrig
Der Bundesfinanzhof ist nun in einem Vorlagebeschluss zu der Überzeugung gelangt, dass der Zinssatz bei Aussetzung der Vollziehung ab dem 1.1.2019 verfassungswidrig ist.
Er sieht eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei Steuerpflichtigen, die Nachzahlungszinsen schulden (mittlerweile 0,15 % pro Monat), und Steuerpflichtigen, die AdV-Zinsen schulden (0,5 % pro Monat), ohne dass ein einleuchtender Grund für die Differenzierung erkennbar ist.
Des Weiteren stellt er einen Widerspruch des Gesetzgebers in seinem eigenen Verhalten heraus. Die Absenkung der Nachzahlungs- und Erstattungszinsen auf 0,15 % pro Monat zeige, dass diese Zinshöhe offenbar ausreiche, um den durch spätere Zahlung entstehenden Liquiditätsvorteil in voller Höhe auszugleichen.
Dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss zu den Nachzahlungszinsen nicht bereits Stellung zu den anderen Zinstatbeständen genommen habe, führt laut Bundesfinanzhof ebenfalls zu keiner anderen Beurteilung. In dem Beschluss sei explizit ausgeführt worden, dass die anderen Verzinsungstatbestände einer eigenständigen verfassungsrechtlichen Wertung bedürfen.
Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht bleibt abzuwarten
Als Konsequenz hat der Bundesfinanzhof die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass der Zinssatz bei Aussetzung der Vollziehung 0,5 % pro Monat beträgt. Der Beschluss des Bundesfinanzhofs ist zu begrüßen und lässt auf eine Anpassung weiterer Zinstatbestände auf ein geringeres Zinsniveau hoffen. Sollte das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis gelangen, dass auch der Zinssatz für AdV-Zinsen zu hoch ist, ist ferner zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht nicht erneut eine großzügige Fortgeltungsanordnung trifft und stattdessen den Gesetzgeber auffordert, rückwirkend eine verfassungsgemäße Regelung zu schaffen.
Bis dahin sollten Bescheide über die Festsetzung von AdV-Zinsen offengehalten und die Aussetzung der Vollziehung der strittigen Zinsbeträge beantragt werden. Denn – immerhin – AdV-Zinsen werden ihrerseits nicht erneut durch Aussetzungszinsen verzinst.
Bundesfinanzhof, Vorlagebeschluss vom 8. Mai 2024, VIII R 9/23