Steuerzinsen seit 2014 verfassungswidrig – Änderung aber erst ab 2019
Die Entscheidung kompakt
Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der bislang für Steuernachzahlungen sowie Steuererstattungen geltende Zinssatz von 6 % pro Jahr verfassungswidrig ist. Aufgrund der Entwicklung des tatsächlichen Zinsniveaus in den vergangenen Jahren lasse sich der hohe Zinssatz spätestens ab dem Jahr 2014 nicht mehr rechtfertigen. Zu beachten ist, dass eine rückwirkende Korrektur der Nachzahlungs- und Erstattungszinsen jedoch erst ab 2019 erfolgen soll.
Steuerrechtlicher Hintergrund
Steuernachzahlungen und Steuererstattungen werden verzinst, wenn nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist, mehr als 15 Monate (sogenannte zinsfreie Karenzzeit) bis zur Festsetzung der Steuer, das heißt der Bekanntgabe des Steuerbescheids, vergehen. Für jeden vollen Monat nach Überschreiten dieser Frist schreibt die Abgabenordnung eine Verzinsung von 0,5 % vor. Auf das Jahr gerechnet ergibt sich mithin eine Verzinsung von 6 %. Insbesondere durch Betriebsprüfungen, die regelmäßig erst einige Jahre nach den entsprechenden Prüfungszeiträumen stattfinden, kann es zu nachträglichen Steuererhöhungen und entsprechenden Zinsbelastungen kommen.
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Mit dem am 18.8.2021 veröffentlichten Beschluss vom 8.7.2021 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die steuerrechtlich vorgesehene Zinshöhe von 0,5 % pro Monat für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 als nicht verfassungskonform anzusehen sind. Grund hierfür sei die Ungleichbehandlung von Steuerpflichtigen, deren Steuer erst nach dem Ablauf von 15 Monaten festgesetzt werde, gegenüber den Steuerpflichtigen, deren Steuer innerhalb der Karenzzeit festgesetzt werde. Darüber hinaus sei der angewandte Zinssatz nicht mehr realitätsgerecht. Bereits im Jahr 2014 habe sich der marktübliche Zinssatz weit vom gesetzlichen Zinssatz von 6 % entfernt. Aufgrund der einheitlichen Anwendung des Zinssatzes von 6 % beschränke sich die Unvereinbarkeit der Verzinsung im Übrigen nicht auf Nachzahlungszinsen, sondern umfasse ebenso die Erstattungszinsen zugunsten der Steuerpflichtigen.
Von besonderer Bedeutung ist, dass die bisherige Rechtslage trotz der Verfassungswidrigkeit für Verzinsungszeiträume bis einschließlich 2018 weiterhin Anwendung finden soll. Hintergrund ist ausweislich der Begründung des Beschlusses das Interesse einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung. Bei einer rückwirkenden Anwendung ab dem Jahr 2014 ginge das Bundesverfassungsgericht von insoweit erheblichen haushaltswirtschaftlichen Unsicherheiten aus, welche mithin eine Fortgeltung der verfassungswidrigen Gesetzeslage bis zum 31.12.2018 rechtfertigen. Für Verzinsungszeiträume ab 2019 darf die alte Rechtslage dahingegen nicht mehr angewendet werden. Zwar führe dies ebenso zu entsprechenden staatlichen Mindereinnahmen, die Gefahren für eine verlässliche Finanz- und Haushaltsplanung seien für Verzinsungszeiträume nach 2018 jedoch deutlich geringer.
Für Verzinsungszeiträume, die teilweise vor, teilweise nach dem 31.12.2018 liegen, wird es somit zur teilweisen Anwendung sowohl der Alt- als auch der Neuregelung kommen.
Ausblick
Der Gesetzgeber ist nun angehalten, bis zum 31.7.2022 eine Neuregelung zu implementieren. Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit Anhaltspunkte gegeben, dass eine verfassungskonforme Regelung schlicht durch Anwendung eines geringeren Zinssatzes geschaffen werden könne. Über die genaue Ausgestaltung der Neuregelung kann gleichwohl zu diesem Zeitpunkt nur gemutmaßt werden.
Zu beachten ist, dass sämtliche in den letzten Jahren bekannt gegebenen Zinsfestsetzungen einen Hinweis auf die Vorläufigkeit enthalten, sodass diese schon von Amts wegen und somit ohne Mitwirkung des Steuerpflichtigen geändert werden sollten.