Neue Entwicklung bei der Wegzugssteuer: Stundung geboten!
Bundesfinanzhof: Wegzugssteuer bei Wegzug in die Schweiz stunden
Obwohl im Gesetz nicht explizit vorgesehen, hat der Bundesfinanzhof mit Urteil vom 6.9.2023 entschieden, dass die nach § 6 Außensteuergesetz – AStG entstehende Wegzugssteuer bei einem Wegzug in die Schweiz – gegebenenfalls unter Gewährung einer Sicherheitsleistung – dauerhaft und zinslos zu stunden ist. Das Urteil hat auch Auswirkung auf andere Wegzugsfälle.
Der Fall
Das Urteil stellt den vorläufigen Schlusspunkt im Verfahren dar, zu dem zuvor bereits der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden hatte. Der Kläger besaß Anteile an einer Kapitalgesellschaft und beendete im Jahr 2011 seine unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland durch Wegzug in die Schweiz. Das Finanzamt setzte daraufhin eine Wegzugssteuer fest. Eine Stundung der festgesetzten Wegzugssteuer wurde – entsprechend der gesetzlichen Vorgabe – nicht gewährt.
Mit Verweis auf das zwischen der Europäischen Union (EU) und der Schweiz bestehende Freizügigkeitsabkommen (FZA) wandte sich der Kläger gegen die Festsetzung der Wegzugssteuer. Nach erfolgtem Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH gelangte das Finanzgericht Baden-Württemberg ebenfalls zu der Auffassung, dass bereits die Festsetzung der Wegzugssteuer unzulässig sei. Hiergegen richtet sich die Revision des Finanzamts.
Steuerfestsetzung zulässig, aber Steuer ist zu stunden
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz erachtet der Bundesfinanzhof die Festsetzung der Wegzugssteuer bei einem Wegzug in die Schweiz als zulässig. Die Klage wurde somit abgewiesen. Gleichwohl ist nach dem Verständnis des Bundesfinanzhofs die Entscheidung des EuGH so auszulegen, dass auch bei Wegzügen in die Schweiz die Wegzugssteuer – gegebenenfalls unter Gewährung einer Sicherheitsleistung – dauerhaft und zinslos zu stunden sei, zumindest jedoch so lange, bis die Anteile tatsächlich veräußert werden. Damit grenzt sich der Bundesfinanzhof von einer anderslautenden Auffassung der Finanzverwaltung ab (BMF-Schreiben vom 13.11.2019, BStBl I 2019, 1212).
Erkenntnisse und Rechtsfolgen für die Praxis
Wenngleich die Vorschrift des § 6 AStG mit dem ATAD-Umsetzungsgesetz – Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie – zum 1.1.2022 reformiert wurde und die Entscheidung des Bundesfinanzhofs zur alten Rechtslage des § 6 AStG erging, können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden:
Bei Wegzügen in die Schweiz vor dem 1.1.2022 ist die Wegzugssteuer bis zu einer tatsächlichen Anteilsveräußerung dauerhaft und zinslos zu stunden. Die Stundung kann in diesem Fall gegen Sicherheitsleistung erfolgen. Bei Wegzügen in einen EU-/EWR-Staat war bereits bislang in der Regel eine Stundung zu gewähren (ohne Sicherheitsleistung).
Für Wegzüge nach dem 31.12.2021 sieht die neue Fassung des § 6 AStG – unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige in einen EU-/EWR-Staat, die Schweiz oder sonstigen Drittstaat verzieht – lediglich eine Ratenzahlung der Wegzugssteuer vor. Eine dauerhafte, zinslose Stundung wird nach aktuellem Gesetzeswortlaut nicht gewährt. Vor dem Hintergrund des nun ergangenen Urteils ist nicht ersichtlich, warum das Stundungsgebot – trotz anderslautendem Gesetzeswortlaut – jedenfalls bei Wegzügen in einen EU-/EWR-Staat oder in die Schweiz – nicht auch für Wegzüge nach dem 31.12.2021 gelten sollte. Steuerpflichtige sollten daher in Wegzugsfällen – unabhängig vom Zielstaat und unabhängig von einer Rückkehrabsicht – die Nichtgewährung einer dauerhaften, zinslosen Stundung der Wegzugssteuer anfechten und vergleichbare Fälle verfahrensrechtlich offenhalten. Es bleibt abzuwarten, wie die Finanzverwaltung und der Gesetzgeber auf das Urteil reagieren werden.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 6.9.2023 – Az. I R 35/20