Verrechnungspreise: Verwaltungsgrundsätze 2020 veröffentlicht

Hintergrund

Steuerpflichtige, die Teil einer internationalen Unternehmensgruppe sind, sehen sich steuerlich besonderen Herausforderungen ausgesetzt. So sind sie nicht nur – wie jeder andere Steuerpflichtige – zur Mitwirkung bei der Ermittlung steuerlich relevanter Sachverhalte verpflichtet. Diese Mitwirkungspflichten sind zum einen bei Vorgängen mit Auslandsbezug deutlich gesteigert, da die deutsche Finanzverwaltung bei grenzüberschreitenden Vorgängen nur in begrenztem Umfang eigene Ermittlungen anstellen kann und diese Aufklärungsarbeit daher teilweise auf den inländischen Steuerpflichtigen überwälzt (§ 90 Abs. 2 der Abgabenordnung – AO). Darüber hinaus bestehen speziell bei Geschäftsbeziehungen mit ausländischen nahestehenden Personen besondere Aufzeichnungspflichten über Art und Inhalt dieser Geschäftsbeziehungen (§ 90 Abs. 3 AO). Diese Aufzeichnungen, die allgemein auch als Verrechnungspreisdokumentation bezeichnet werden, dienen als Nachweis dafür, dass bei den Geschäftsbeziehungen zu ausländischen nahestehenden Personen (insbesondere verbundenen Unternehmen) der Grundsatz des Fremdvergleichs berücksichtigt wurde und die angesetzten Verrechnungspreise in diesem Sinne angemessen sind. Neben den gesetzlichen Vorschriften bestehen Rechtsverordnungen, die die Mitwirkungs- und Aufzeichnungspflichten konkretisieren. Zu nennen ist hier insbesondere die Gewinnabgrenzungsaufzeichnungs-Verordnung (GAufzV), die detaillierte Vorgaben für die Dokumentation der Verrechnungspreise beinhaltet. Die Finanzverwaltung hat ihre Auffassung zu den einschlägigen Vorschriften in verschiedenen BMF-Schreiben, den sogenannten Verwaltungsgrundsätzen, niedergelegt. Die Familie dieser Verwaltungsgrundsätze wurde nun um ihr jüngstes Mitglied, die Verwaltungsgrundsätze 2020, erweitert. Diese ersetzen – allerdings nur in Teilen – die Ausführungen des BMF-Schreibens vom 12.4.2005 (Verwaltungsgrundsätze-Verfahren).

Allgemeine (erhöhte) Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten

Zu den erhöhten Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten (§ 90 Abs. 2 AO) enthalten die Verwaltungsgrundsätze 2020 insbesondere folgende Regelungen:

  • Die Vorschrift verpflichtet den Steuerpflichtigen (Beteiligten) zur Sachverhaltsaufklärung, Beweismittelbeschaffung und Beweisvorsorge. Dabei hat der Beteiligte alle für ihn bestehenden rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten auszuschöpfen und dabei den ihm zumutbaren Aufwand zu betreiben. Ausdrücklich hingewiesen wird auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
  • Als vorlagepflichtige Beweismittel erachtet die Finanzverwaltung neben Gutachten und Stellungnahmen zu Verrechnungspreisen auch E-Mails, Messenger-Dienst-Nachrichten oder Nachrichten über andere elektronische Kommunikationsmedien, soweit diese geschäftliche Inhalte mit steuerlichem Bezug aufweisen. Beim Einsatz dieser Kommunikationsmittel für geschäftliche Korrespondenz ist daher erhöhte Vorsicht geboten.
  • Die Beweisvorsorge bei vertraglichen Beziehungen zu ausländischen verbundenen Unternehmen verpflichtet den Steuerpflichtigen, dafür Sorge zu tragen, dass er auch später auf die im Ausland befindlichen Beweismittel zugreifen kann, um diese der Finanzbehörde vorlegen zu können. Art und Umfang dieser Beweismittel hängen laut Finanzverwaltung insbesondere von der Art der Geschäftsbeziehung und der gewählten Verrechnungspreismethode ab.
  • Der Grundsatz „Die Amtssprache ist Deutsch“ wird auch weiterhin hochgehalten. Die Hürden für die Vorlage von Unterlagen in einer „fremden“ Sprache sind unverändert hoch, auch wenn dies in der Praxis häufig pragmatischer gehandhabt wird.

Besondere Mitwirkungspflichten bei Verrechnungspreisen

Die Verwaltungsgrundsätze 2020 enthalten ferner zu den besonderen Mitwirkungspflichten nach § 90 Abs. 3 AO grundsätzliche Aussagen sowie Regelungen zur Sachverhalts- und Angemessenheitsdokumentation im sogenannten Local File und zur Stammdokumentation (Master File).

  • Es wird klargestellt, dass in Betriebsstättenfällen die Aufzeichnungspflicht nach § 90 Abs. 3 AO und die Verpflichtung zur Erstellung einer Hilfs- und Nebenrechnung nebeneinander bestehen.
  • Es finden sich nur wenige Aussagen zu der in der GAufzV geforderten „Beschreibung der Wertschöpfungskette und Darstellung der Wertschöpfungsbeiträge des Steuerpflichtigen“. Hierdurch verstärkt sich der bestehende Eindruck, dass dieser Wertschöpfungsanalyse in der Praxis keine eigenständige Bedeutung zukommt, sondern sich diese regelmäßig bereits aus der Funktions- und Risikoanalyse ergibt.
  • Der Steuerpflichtige soll aufzeichnen, warum er die von ihm jeweils angewandte Verrechnungspreismethode für die am besten geeignete Methode hält. Dies stellt eine deutliche Verschärfung gegenüber den Verwaltungsgrundsätze-Verfahren dar, die lediglich den Nachweis der „Eignung der angewandten Methode“ gefordert haben.
  • Für die Durchführung der Angemessenheitsanalyse verlangt die Finanzverwaltung u.a. die „Bilanzen aller Beteiligten unter Einschluss der konsolidierungsfähigen Einzelabschlüsse (Handelsbilanzen II)“. Woraus sich die Vorlagepflicht dieser – für die Besteuerung nicht maßgeblichen – Rechenwerke ergeben soll, bleibt unklar.
  • Die Verwaltungsgrundsätze-Verfahren enthielten noch gewisse Erleichterungen für die Fälle, in denen die Unternehmensgruppen als Profitcenter organisiert sind bzw. über interne Verrechnungspreisrichtlinien verfügen. Diese Regelungen sind in den Verwaltungsgrundsätzen 2020 nicht mehr bzw. nur noch deutlich eingeschränkt enthalten.

Rechtsfolgen bei Verstößen gegen Mitwirkungspflichten

Die Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Steuerpflichtigen berechtigt die Finanzverwaltung – in unterschiedlichen Abstufungen – zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen, wenn diese nicht exakt ermittelt werden können (§ 162 Abs. 1 bis 3 AO). Bei Verstößen gegen die Vorschriften zur Verrechnungspreisdokumentation (Nichtvorlage, verspätete Vorlage, Vorlage im Wesentlichen unverwertbarer Aufzeichnungen) können zudem Strafzuschläge nach § 162 Abs. 4 AO festgesetzt werden. Auch hierzu enthalten die Verwaltungsgrundsätze 2020 umfangreiche Regelungen und ersetzen insoweit die Verwaltungsgrundsätze-Verfahren.

Fazit

Für Unternehmen ist die Flut von Verwaltungsanweisungen, die sich im weitesten Sinne mit Verrechnungspreisen beschäftigen, kaum noch überschaubar. Neben den Verwaltungsgrundsätzen 2020 bleiben auch die Verwaltungsgrundsätze-Verfahren aus dem Jahr 2005 weiterhin partiell anwendbar. Zur Ausgestaltung des Fremdvergleichsgrundsatzes muss vielfach auf die noch wesentlichen älteren Verwaltungsgrundsätze aus dem Jahr 1983 zurückgegriffen werden. Darüber hinaus finden sich Spezialregelungen für Fälle der Arbeitnehmerentsendungen, Funktionsverlagerungen und Gewinnermittlung bei Betriebsstätten in jeweils gesonderten Verwaltungsgrundsätzen. Und spätestens dann, wenn ein Streit um Verrechnungspreise in ein Verständigungsverfahren mündet, gelten international die OECD-Verrechnungspreisrichtlinien als maßgebliche „Spielregeln“. Ob die Verwaltungsgrundsätze 2020 gegenüber dem Vorgängererlass eher eine Verschärfung oder eine Erleichterung darstellen, lässt sich nicht pauschal beantworten. In vielen Fällen wurden Passagen wortgetreu oder zumindest inhaltlich unverändert übernommen und lediglich neu gegliedert. An einigen Stellen wirkt die Tonalität schärfer, an anderer Stelle mag man Ansätze für eine weniger strenge Umsetzung durch die Finanzverwaltung erkennen. Insgesamt ist das aktuelle Schreiben mit seinen „nur“ 25 Seiten deutlich kürzer als die Verwaltungsgrundsätze-Verfahren (76 Seiten), die allerdings in Teilen anwendbar bleiben. Bei weniger detaillierten Vorgaben dürfte es zukünftig noch stärker als bislang auf die Person des jeweiligen Prüfers ankommen, ob die einschlägigen Vorschriften buchstabengetreu oder „mit Augenmaß“ interpretiert werden.

 

 

Benno Lange

Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Fachberater für Internationales Steuerrecht

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Nadine Sinderhauf

Steuerberaterin

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