Mängel in der Kasse – nicht jede Schätzung ist zulässig
Fall: Hinzuschätzung mangels Einzelaufzeichnungen
Der Kläger betrieb eine Diskothek. Die Diskothek war mit mehreren offenen Ladenkassen ausgestattet, deren Tagesgesamteinnahmen auf Zettel erfasst und an die Buchhaltung übergeben wurden. Einzelaufzeichnungen der Kassen konnte der Kläger im Rahmen einer Außenprüfung nicht vorlegen. Der Prüfer schätzte daraufhin den Umsatz sowie den Gewinn, wobei er einen Gewinnaufschlag von ca. 555 % zugrunde legte. Das Finanzgericht Hamburg hielt das Ergebnis der Schätzung für fehlerhaft und reduzierte den Gewinnaufschlag auf 300 %, wobei es sich auf die Richtsatzsammlung des Bundesfinanzministeriums (BMF) für Gaststätten sowie eine verwaltungsinterne Richtsatzsammlung für Diskotheken berief (äußerer Betriebsvergleich). Dieses Urteil hob der Bundesfinanzhof im ersten Verfahrensgang wieder auf. Es sah den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör als verletzt an, da diesem kein Zugang zu der verwaltungsinternen Richtsatzsammlung ermöglicht wurde. Das Finanzgericht behielt den Rohgewinnaufschlag auch im zweiten Urteil bei. Hierauf zog der Kläger erneut vor den Bundesfinanzhof. Seiner Ansicht nach bietet die Richtsatzsammlung des BMF keine geeignete Grundlage für Schätzungen. Zudem sei direkt die Richtsatzsammlung angewendet worden, ohne die vom Kläger dargelegten Besonderheiten seines Unternehmens zu berücksichtigen.
Bundesfinanzhof: Nicht jede Schätzungsmethode ist zulässig
Laut Bundesfinanzhof steht den Unternehmen frei, zu entscheiden, in welcher Form die Warenverkäufe erfasst werden, z.B. manuell oder mittels PC-Kasse. Die verwendete Kasse bestimmt dann die notwendigen Aufzeichnungen. Bei einer offenen Ladenkasse sind hierzu Einzelaufzeichnungen nötig zwecks Gewährleistung der Kassensturzfähigkeit. Fehlt es hieran, liegt ein formeller Buchführungsmangel vor. Dies berechtigt grundsätzlich nur zur Schätzung, sofern Anlass besteht, das Ergebnis der Buchführung anzuzweifeln. Werden aber vorwiegend Bargeschäfte getätigt, können Mängel in der Kassenbuchführung die gesamte Buchführung infrage stellen und ihr die Ordnungsmäßigkeit nehmen. Das Finanzamt war daher zur Schätzung berechtigt.
Allerdings hat das Finanzgericht weder die gewählte Methode der Schätzung noch deren Höhe nachvollziehbar begründet. Grundsätzlich sind die Finanzämter sowie die Finanzgerichte frei in der Wahl der Schätzungsmethode, sofern diese geeignet ist, ein realistisches Ergebnis zu erzielen. Schätzungsmethoden, die der Realität am nächsten kommen, sind hierbei vorzuziehen.
Der äußere Betriebsvergleich mittels Richtsatzsammlung führt im Allgemeinen zu unsicheren Ergebnissen, da kaum ein Unternehmen dem anderen gleicht. Daher ist der innere Betriebsvergleich (Nachkalkulation) grundsätzlich die zuverlässigere Schätzungsmethode. Das Finanzgericht hat aber weder begründet, warum es den inneren Betriebsvergleich nicht genutzt hat, noch, wie es zur Überzeugung gekommen ist, eine Diskothek mittels der Richtsatzsammlung für Gaststätten zu schätzen. Aufgrund dieser Mängel verweist der Bundesfinanzhof das Verfahren erneut an das Finanzgericht zurück.
Hinweise des Bundesfinanzhofs für den dritten Rechtsgang
Zunächst weist der Bundesfinanzhof darauf hin, dass das Finanzamt die vorherige Entscheidung des Finanzgerichts schon in Bescheiden umgesetzt hat, wodurch eine Hinzuschätzung nun begrenzt wird.
Ermessensgerecht erscheint dem Bundesfinanzhof eine Nachkalkulation auf Basis des Wareneinsatzes.
Soweit der Kläger sich auf für ihn günstige Besonderheiten des Unternehmens beruft (hier z.B. die Ausgabe von Freigetränken), trifft ihn die Feststellungslast.
Die festgestellten Mängel in der Kassenbuchführung sind so erheblich, dass der Kläger auch ein grob vereinfachtes Schätzungsergebnis akzeptieren muss. Ein pauschaler Zuschlag von 5 %, wie vom Kläger vorgeschlagen, dürfte daher nicht angemessen sein.
Konsequenzen
Kassenbuchführung
Unternehmer:innen sind frei in ihrer Entscheidung, welches Kassensystem sie einsetzen. Haben Sie sich für ein Kassensystem entschieden, so bestimmt dieses die Art und den Umfang der erforderlichen Aufzeichnungen. Beachten Sie die Vorgaben: Lassen Sie dem Prüfer keinen Raum für Hinzuschätzungen.
Zulässigkeit von Schätzungen auf Basis der Richtsatzsammlung
Laut Bundesfinanzhof kann der äußere Betriebsvergleich mittels Richtsatzsammlung eine taugliche Schätzungsmethode darstellen. Er hat jedoch erhebliche Zweifel, dass die aktuelle Richtsatzsammlung aufgrund von Mängeln in der Datenerfassung hierzu geeignet ist. In der Regel muss die Schätzung durch Nachkalkulation (innerer Betriebsvergleich) erfolgen. Die Richtsatzschätzung ist nur bei Unternehmen anwendbar, bei denen die vorhandenen Aufzeichnungen derart lückenhaft oder inhaltlich zweifelhaft sind, dass der innere Betriebsvergleich nicht mit zumutbarem Aufwand durchgeführt werden kann.
Vorsicht bei Prüfungen
Für Prüfer:innen bedeutet die Schätzung mittels Nachkalkulation Arbeit. Daher wird gerne auf die Richtsatzsammlung zurückgegriffen. Wie ersichtlich, ist dies häufig nicht die geeignete Methode. Prüfen Sie genau, ob die Schätzung, auch im Falle einer Nachkalkulation, geeignet, ausreichend begründet und zutreffend ermittelt ist. Unsere Expert:innen unterstützen Sie gerne hierbei.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 18.6.2025 – X R 19/21