Änderung der Rechtsprechung zur insolvenzrechtlichen Vorsatzanfechtung
Hintergrund
Die Insolvenzordnung (InsO) sieht vor, dass der Insolvenzverwalter Zahlungen, die das insolvente Unternehmen vor der Stellung des Insolvenzantrags noch vorgenommen hat, anfechten kann. Das kommt insbesondere dann in Betracht, wenn das insolvente Unternehmen bereits zahlungsunfähig war und der Zahlungsempfänger Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit hatte. Die Zahlungsunfähigkeit wird dabei in der Praxis häufig aus Indizien geschlossen wie z.B. rückständigen Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen oder nachträglichen Ratenzahlungsbitten. Rechtsfolge ist dann, dass vom insolventen Unternehmen noch vorgenommene Zahlungen von den Zahlungsempfängern an den Insolvenzverwalter zu erstatten sind.
Besonders weitreichend ging dies bislang mit der sogenannten Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO). Die Rechtsprechung ging davon aus, dass die Geschäftsleitung eines bereits zahlungsunfähigen Unternehmens mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz handelt, wenn sie an einzelne Gläubiger noch Zahlungen vornimmt. Der Insolvenzverwalter konnte von diesen Gläubigern Zahlungen zurückverlangen, die bis zu vier Jahre vor dem Insolvenzantrag (sogenannte Anfechtungsfrist) erfolgt waren.
Sachverhalt
Der Insolvenzverwalter einer GmbH machte gegenüber der Bundesrepublik Deutschland die Anfechtbarkeit von Zahlungen der GmbH geltend, die auf vom Bundesamt für Justiz (BfJ) verhängte Ordnungsgelder erfolgt waren. Das BfJ hatte der GmbH nach Besprechung der wirtschaftlichen Verhältnisse eine Ratenzahlungsmöglichkeit gewährt. Diese Ratenzahlungen verlangte der Insolvenzverwalter vom BfJ zurück. In den Vorinstanzen war die Anfechtungsklage des Insolvenzverwalters erfolglos geblieben.
Entscheidung
Der Bundesgerichtshof verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück, weil sich die Vorinstanzen nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nicht hinreichend mit den Gegebenheiten des Einzelfalls auseinandergesetzt hätten.
Der Bundesgerichtshof entschied, dass – entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung – von der bloßen Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens nicht auf einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz geschlossen werden kann. Erforderlich ist vielmehr zusätzlich, dass das Unternehmen weiß oder jedenfalls billigend in Kauf nimmt, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können.
Zur Begründung führt der Bundesgerichtshof an, dass ein Abstellen allein auf die Zahlungsunfähigkeit die Vorsatzanfechtung mit einer Anfechtungsfrist von vier Jahren (§ 133 InsO) zu sehr anderen Anfechtungstatbeständen (insbesondere § 130 InsO) mit einer Anfechtungsfrist von lediglich drei Monaten annähern würde. Insoweit nahm der Bundesgerichtshof die von mehreren Seiten geäußerte Kritik an seiner bisherigen Rechtsprechung auf. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs soll das Vertrauen eines Gläubigers darin, eine erhaltene Zahlung auch behalten zu dürfen, grundsätzlich geschützt werden und er insbesondere nicht ohne Weiteres einem vierjährigen Anfechtungsrisiko ausgesetzt sein. Nach (nunmehriger) Ansicht des Bundesgerichtshofs hat der Gesetzgeber einen Zahlungsempfänger grundsätzlich nur einem dreimonatigen Anfechtungsrisiko auf Grundlage der §§ 130, 131 InsO aussetzen wollen. Um einen Gläubiger zusätzlich der Anfechtung gemäß § 133 InsO mit einer Anfechtungsfrist von vier Jahren auszusetzen, müssen weitergehende Voraussetzungen erfüllt sein.
In einem weiteren Punkt stellte der Bundesgerichtshof seine bisherige Rechtsprechung klar: Hat der Insolvenzverwalter im Anfechtungsprozess zu einem beliebigen Zeitpunkt anhand von Indizien (z.B. Häufung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, rückständigen Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen oder Ratenzahlungsbitten) belegt, dass das insolvente Unternehmen zahlungsunfähig war, muss der Gegner darlegen und beweisen, dass die Zahlungsunfähigkeit später wieder entfallen ist. In seiner neuesten Entscheidung führt der Bundesgerichtshof aus, dass dies jedoch nicht ausnahmslos gilt. Vielmehr kann der Insolvenzverwalter bei weit zurückliegenden oder schwach ausgeprägten Indizien gehalten sein, darzulegen, dass die eingetretene Zahlungsunfähigkeit auch später noch vorlag.
Fazit
Der Bundesgerichtshof hat damit seine Rechtsprechung der letzten rund 20 Jahre geändert. Diese war zunehmend in die Kritik geraten, weil sich Lieferanten Rückforderungsverlangen der Insolvenzverwalter ihrer ehemaligen Kunden ausgesetzt sahen.
Ein Ende der Vorsatzanfechtung bedeutet diese neueste Entscheidung aber wohl nicht. Der Bundesgerichtshof führt nämlich selbst aus, dass ein Unternehmen vernünftigerweise nicht damit rechnen kann, in Zukunft alle Gläubiger bedienen zu können, wenn seine Zahlungsunfähigkeit ein ganz erhebliches Ausmaß angenommen hat. Dann ist vielmehr das Insolvenzverfahren unvermeidlich. Insoweit räumt der Bundesgerichtshof ein, dass eine solch tiefgreifende Krise ohne Aussicht auf zukünftige Befriedigung der Gläubiger möglicherweise sogar in der Mehrzahl der Rechtsstreite, in denen die Vorsatzanfechtung zum Tragen kommt, vorliegen kann.
Dementsprechend ist die neueste Entscheidung des Bundesgerichtshofs keine Entwarnung für Lieferanten, die mit Kund:innen zu tun haben, die verspätet oder in Raten bzw. Abschlägen zahlen. Die Entscheidung hält den Insolvenzverwalter eher an, seine Anfechtung genauer zu begründen, und das Gericht, diese genauer zu prüfen. So weit – nämlich zum Rechtsstreit – sollte es aber am besten gar nicht erst kommen. Sprechen Sie daher unsere Expert:innen im Insolvenzanfechtungsrecht an. Wir beraten Sie gerne zum Thema Anfechtungsprophylaxe. Und sollte der Anfechtungsfall bereits eingetreten sein, vertreten wir Ihre Interessen gegenüber dem Insolvenzverwalter, auch in gerichtlichen Auseinandersetzungen.