Betriebliches Eingliederungsmanagement ohne datenschutzrechtliche Einwilligung
Was ist passiert?
Die einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Klägerin war mehrere Jahre lang ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt.
Der Arbeitgeber lud die Arbeitnehmerin zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) ein. Die Arbeitnehmerin nahm diese Einladung an, unterzeichnete allerdings nicht die von dem Beklagten übermittelte datenschutzrechtliche Einwilligung. Zur Durchführung eines BEM kam es nicht, da nach Ansicht des Beklagten ein solches nicht ohne die datenschutzrechtliche Einwilligung der Klägerin durchgeführt werden konnte.
Nach der Einholung der Zustimmung zur Kündigung seitens des Integrationsamts kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgemäß. Gegen diese Kündigung erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage.
Arbeitgeber trifft Darlegungs- und Beweislast bei unterbliebenem BEM
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) gab der Klage statt und stellte die Unwirksamkeit der erfolgten Kündigung fest. Das Gericht betonte, dass vorrangig zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein betriebliches Eingliederungsmanagement hätte durchgeführt werden müssen. Kommen Arbeitgeber der Verpflichtung zum BEM nicht nach, seien diese darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein betriebliches Eingliederungsmanagement nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Diesen Nachweis der objektiven Nutzlosigkeit eines BEM war der Beklagte im konkreten Fall schuldig geblieben.
Der Beklagte hatte sich stattdessen vor allem darauf berufen, dass er das BEM angeboten, die Arbeitnehmerin es aber ausgeschlagen habe, indem sie die datenschutzrechtliche Einwilligung nicht erteilt habe. Aus einer solchen Situation dürften dem Beklagten als Arbeitgeber keine rechtlichen Nachteile erwachsen.
Damit hatte es sich der Arbeitgeber aber nach Auffassung des BAG zu einfach gemacht. In der bloßen Nichtunterzeichnung der Einwilligung liege noch keine Ausschlagung des BEM-Angebots. Vielmehr sei es dem Arbeitgeber auch ohne diese datenschutzrechtliche Einwilligung möglich und zumutbar gewesen, zunächst mit dem beabsichtigten BEM zu beginnen und mit der Arbeitnehmerin in einem Erstgespräch den möglichen Verfahrensablauf zu besprechen. Datenschutzrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Erhebung und Verarbeitung von Gesundheitsdaten des Arbeitnehmers seien frühestens dann von Bedeutung, wenn sich die Beteiligten des BEM darüber verständigt haben, welche Angaben über den Gesundheitszustand für eine Reduzierung der Arbeitsunfähigkeitszeiten voraussichtlich erforderlich sind.
BEM in der Praxis
Mit dieser Entscheidung folgt das BAG seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung und zeigt erneut die gravierenden kündigungsrechtlichen Konsequenzen bei einem unterbliebenen BEM für Arbeitgeber auf. Es hat diese Rechtsprechung um den Aspekt ergänzt, dass Arbeitgeber nicht bereits dann auf das BEM verzichten dürfen, wenn die betroffenen Mitarbeiter:innen keine datenschutzrechtliche Einwilligung erteilen.
Arbeitgeber müssen sich – um nicht die Unwirksamkeit der Kündigung zu riskieren – vor dem Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung stets mit der Frage auseinandersetzen, ob sie verpflichtet sind, ein BEM bei ihren Mitarbeiter:innen durchzuführen. Grundsätzlich muss ein BEM durchgeführt werden, wenn Mitarbeiter:innen innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt sind. Von der Verpflichtung zur Durchführung eines BEM sind Arbeitgeber nur dann befreit, wenn sie Mitarbeiter:innen zuvor rechtskonform ein BEM angeboten haben, diese aber die Durchführung eines solchen ablehnen. Jedenfalls nach der aktuellen Entscheidung sollte dabei keine datenschutzrechtliche Einwilligung verlangt werden. Wir raten für die Eröffnung des BEM-Verfahrens nunmehr zum bloßen Hinweis auf die Verwendung der Daten.
Das Verfahren wird dadurch nochmals verkompliziert. Sollten Sie zu krankheitsbedingten Kündigungssachverhalten und insbesondere zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements weitere Fragen haben, beraten wir Sie gern.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.12.2022 – 2 AZR 162/22