Pflicht zur Unternehmensplanung? Anforderungen an die Krisenfrüherkennung und das Krisenmanagement nach § 1 StaRUG
Die sogenannten Geschäftsleiter, das heißt die Mitglieder des zur Geschäftsführung eines Unternehmens berufenen Organs eines Unternehmens, sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) bereits seit Beginn der 90er Jahre verpflichtet, sich fortlaufend über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens zu vergewissern.
Mit Einführung des § 1 Abs. 1 Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) hat der Gesetzgeber die zwischenzeitlich gefestigte Rechtsprechung zur Krisenfrüherkennung gesetzlich verankert. Danach obliegt den Geschäftsleitern juristischer Personen eine
- Krisenfrüherkennungspflicht
- Krisenbewältigungspflicht
- Krisenberichtspflicht
Der Fachausschuss Sanierung und Insolvenz (FAS) des Instituts der Wirtschaftsprüfer e.V. (IDW) hat am 3.2.2025 den Entwurf IDW ES 16 „Ausgestaltung der Krisenfrüherkennung und des Krisenmanagements nach § 1 StaRUG“ verabschiedet. Dieser Leitfaden soll den derzeitigen Stand von Theorie, Praxis und Rechtsprechung hinsichtlich der Anforderungen des § 1 StaRUG an die Krisenfrüherkennung zusammenfassen und wendet sich an Geschäftsleiter sowie sie beratende Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater.
Es handelt sich hierbei um einen Entwurf und damit um eine noch nicht abschließend abgestimmte Berufsauffassung. Gleichwohl werden Entwürfe mit den wesentlichen Inhalten üblicherweise innerhalb von ca. 12 bis 18 Monaten zu einem Standard erhoben. Die IDW-Standards sind für Wirtschaftsprüfer berufsrechtliche Vorgaben, deren Einhaltung der Berufsaufsicht unterfallen. Die IDW-Standards werden häufig von der Bundessteuerberaterkammer auch zur Anwendung für die Steuerberater empfohlen und durch die höchstrichterliche Rechtsprechung des BGH regelmäßig als Maßstab für Haftungsprozesse gegenüber Geschäftsleitern, Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern herangezogen.
Dieser Beitrag fasst die wesentlichen Eckpunkte des IDW ES 16 zusammen und gibt unter der Annahme, dass die Entwürfe des IDW mit ihren wesentlichen Inhalten zu bindenden Standards erwachsen, einen Ausblick für die Zukunft sowie mögliche Lösungsansätze.
Wesentliche Inhalte
Die Kernaussage des IDW ES 16 ist, dass nach § 1 StaRUG mit wenigen Ausnahmen jedes Unternehmen einer Krisenfrüherkennungspflicht unterliegt und für die frühzeitige Erkennung fortbestandsgefährdender Risiken (= Krisenfrüherkennung) eine Unternehmensplanung unverzichtbar ist.
Zu beachten ist, dass der IDW ES 16 hinsichtlich der Erforderlichkeit einer Unternehmensplanung nahezu keine Einschränkung in Bezug auf die Rechtsform und die Größe des Unternehmens vornimmt. Allerdings sind bei der Ausgestaltung der Unternehmensplanung die Größe und die Komplexität des Geschäftsmodells eines Unternehmens zu berücksichtigen.
Abweichend von der in der Praxis weit vertretenen Auffassung, dass es einer Unternehmensplanung nur bzw. erst bedarf, wenn die „Schönwetterkriterien“ (bekannt auch als „Sonnenscheinkriterien“) nicht mehr vorliegen, fordert der IDW ES 16, dass es generell einer Unternehmensplanung bedarf.
So wird ausgeführt:
„Wenn in der Vergangenheit nachhaltige Gewinne erzielt worden sind, leicht auf finanzielle Mittel zurückgegriffen werden kann und keine bilanzielle Überschuldung vorliegt (sog. „Schönwetterkriterien“), sind ungeachtet weitergehender gesetzlicher Pflichten (vgl. § 1 Abs. 3 StaRUG) i.d.R. keine hohen Anforderungen an die Unternehmensplanung zu stellen:
Um einschätzen zu können, ob Schönwetterkriterien vorliegen, ist es erforderlich, dass die Geschäftsleiter zukünftige Entwicklungen, die sich auf das Geschäftsmodell des Unternehmens auswirken können, laufend beobachten. Spätestens wenn die ersten Krisenindikatoren vorliegen, hat die Geschäftsleitung eine über die Beobachtung hinausgehende Krisenfrüherkennung (einschließlich Unternehmensplanung) einzurichten In Ausnahmefällen kann auch in einer solchen Situation auf eine Planung verzichtet werden, wenn eine Fortbestandsgefährdung trotz vorliegender Indikatoren zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann“.
Fortbestandsgefährdende Entwicklungen können
- finanzwirtschaftliche (z.B. das Unternehmen verlässt sich in erheblichem Ausmaß auf kurzfristige Darlehen zur Finanzierung langfristiger Vermögenswerte),
- betriebliche (z.B. Verlust von wichtigen Absatz- oder Beschaffungsmärkten, bedeutenden Kunden oder Lieferanten bzw. Kündigung von wichtigen Franchise- oder Lizenzverträgen) oder
- sonstige Entwicklungen sein (z.B. Änderungen von Gesetzen oder anderen Rechtsvorschriften sowie politische Entscheidungen mit voraussichtlich nachteiligen Auswirkungen auf das Unternehmen).
Anders gewendet, im Regelfall ist eine Unternehmensplanung vorzuhalten und nur in Ausnahmefällen bedarf es dieser nicht.
Es gibt weder von dem deutschen Gesetzgeber noch von der europäischen Union Vorgaben für die konkrete Ausgestaltung der erforderlichen Krisenfrüherkennung und deren Dokumentation. Der IDW ES 16 empfiehlt allerdings aus Nachweis- und Exkulpationsgründen die Einhaltung seines Leitfadens.
Die Krisenfrüherkennung stellt einen Prozess im Unternehmen dar, der als zentralen Punkt die fortlaufende Unternehmensplanung hat.
Abb. 1 im IDW ES 16, Rz. 25
Die Unternehmensplanung ist auf der Basis plausibler Annahmen zu erstellen, die durch Soll-Ist-Vergleiche zu überprüfen und erforderlichenfalls anzupassen ist. Die Plausibilität der Annahmen liegt vor, wenn diese nachvollziehbar, konsistent und frei von Widersprüchen sind. Hierbei ist die Sicht des Geschäftsleiters auf Basis einer Ex-ante-Betrachtung maßgeblich, die innerhalb eines gewissen Beurteilungsspielraums nachvollziehbar sein muss.
Für den Planungshorizont gilt in entsprechender Anwendung des § 19 Abs. 2 Satz 1 Insolvenzordnung (InsO) ein Zeitraum von mindestens zwölf Monaten ab dem Beurteilungszeitpunkt. Der IDW ES 16 empfiehlt aus Zweckmäßigkeitsgründen aber einen Zeitraum von 24 Monaten und weist in Abhängigkeit von dem Geschäftsmodell darauf hin, dass der erforderliche Planungshorizont auch länger sein kann.
Spätestens wenn sich die fortbestandsgefährdenden Entwicklungen zu einer fortgeschrittenen Krise (insbesondere Erfolgs- oder Liquiditätskrise) verdichten, müssen sich die Geschäftsleiter zu deren Überwindung an den Kernbestandteilen eines Sanierungskonzeptes nach IDW S 6 orientieren.
Diese sind:
- Analyse der wirtschaftlichen und rechtlichen Ausgangslage des Unternehmens in seinem Umfeld, einschließlich der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage
- Analyse von Krisenstadium und -ursachen sowie Analyse, ob eine Insolvenzgefährdung vorliegt
- Entwicklung eines Leitbilds mit dem Geschäftsmodell des sanierten Unternehmens
- Identifikation von Maßnahmen zur Abwendung einer Insolvenzgefahr und Bewältigung der Unternehmenskrise sowie zur Herstellung des Leitbilds des sanierten Unternehmens
- Erstellung eines integrierten Unternehmensplans, um festzustellen, ob die Maßnahmen ausreichen, um die Krise zu überwinden.
Ausblick
Derzeit ist davon auszugehen, dass der IDW ES 16 mit seinen wesentlichen Inhalten bis Mitte 2026 zum Standard erhoben wird. Bis dahin ist es durchaus möglich, dass noch Änderungen, z.B. bei dem nahezu uneingeschränkten Adressatenkreis oder dem Planungshorizont, vorgenommen werden. Derzeit ist aber von den aktuellen Inhalten auszugehen.
Spätestens dann sind dessen (geänderte) Inhalte von Wirtschaftsprüfern verbindlich sowie von Rechtsanwälten und Steuerberatern, die von Geschäftsleitern zur Beratung bzgl. deren Pflichten nach § 1 StaRUG hinzugezogen werden, aus Haftungsgründen zu berücksichtigen.
Die Nichtbeachtung der Inhalte kann zu einer Haftung der Geschäftsleiter und im konkreten Einzelfall auch zu einer Berufshaftung der Berater führen.
Lösungen
Die Entwicklungen in der Rechtsprechung, der Gesetze und letztendlich nun auch im Berufsrecht führen dazu, dass die Berater von Unternehmen frühzeitig auf die Einführung einer Unternehmensplanung hinweisen sollten und demnächst auch müssen.
Die erste Einführung bzw. die Überarbeitung einer dem IDW ES 16 bislang noch nicht entsprechenden Unternehmensplanung kostet nicht nur Geld, sondern insbesondere auch Zeit und bindet personelle Ressourcen im Unternehmen.
Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich im Unternehmen eine frühzeitige Auseinandersetzung mit den Anforderungen nach IDW ES 16 noch in 2025.
Die dhpg bietet für eine Unternehmensplanung abhängig von der Größe des Unternehmens sowie dessen Geschäftsmodell unterschiedliche Planungstools nebst deren Einführung an. Diese reichen von einer auf Excel basierenden und die berufsrechtlichen Mindestvorgaben des IDW erfüllenden „einfachen“ integrierten Unternehmensplanung bis hin zu aufwendigeren und umfassenden Fremdsoftwarelösungen.
Zusammenfassung
Wenn der IDW ES 16 mit seinen wesentlichen Inhalten zum Standard erwächst, besteht eine Pflicht zum Vorhalten einer Unternehmensplanung für nahezu alle deutschen Rechtsformen nach folgenden Kriterien:
- Grundsatz
- Unternehmensplanung für alle
- Vorhandene Schönwetterkriterien
- niedrige Anforderungen an die Unternehmensplanung
- Keine Schönwetterkriterien
- hohe Anforderungen an die Unternehmensplanung bis hin zu IDW S6
- Ausnahme: Fortbestandsgefährdung ist zweifelsfrei auszuschließen
Die dhpg steht für „Lösungen aus einer Hand“. Insofern gilt: Sprechen Sie Ihren Berater auf das Erfordernis einer Einführung bzw. Überarbeitung einer Unternehmensplanung für bzw. Ihres Unternehmens an.