Vorschläge der EU-Kommission zum europäischen Gesellschaftsrecht
Hintergrund
Am 25.4.2018 veröffentlichte die EU-Kommission die lang erwarteten Richtlinienentwürfe zur grenzüberschreitenden Mobilität von Unternehmen sowie zur Digitalisierung des Europäischen Gesellschaftsrechts („Company Law Package“). Diese Regelungsvorschläge waren ursprünglich bereits für November 2017 vorgesehen, mussten aber – vermutlich wegen des zwischenzeitlich ergangenen Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 25.10.2017 in der Rechtssache „Polbud“ zum grenzüberschreitenden Formwechsel – verschoben werden. Technisch werden keine neuen Richtlinien vorgeschlagen, sondern es soll die erst im Sommer 2017 konsolidierte Richtlinie über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts ergänzt werden.Richtlinienentwurf zur Digitalisierung des Gesellschaftsrechts
Nach dem Richtlinienentwurf soll die Online-Gründung von Kapitalgesellschaften (in Deutschland also vor allem GmbH und AG) ermöglicht werden, ohne dass die persönliche Anwesenheit bei einem Register oder – in Deutschland von Bedeutung – einem Notar erforderlich ist. Es soll künftig jedermann, also auch juristischen Personen, möglich sein, in jedem Mitgliedstaat eine Kapitalgesellschaft zu gründen, ohne dass er hierfür in den Mitgliedstaat reisen muss. Die Mitgliedstaaten können weiterhin Notare in das Gründungsverfahren einbinden. Problematisch wird bei der Online-Gründung die sichere Identifizierung der Gründer zur Betrugsvermeidung sein. Erleichtert werden soll die Gründung darüber hinaus dadurch, dass die Mitgliedstaaten Satzungsmuster (so genannte Templates) bereitstellen müssen. Etwas Ähnliches gibt es in Deutschland bereits mit dem Musterprotokoll bei der vereinfachten Gründung einer GmbH. Ziel ist es, dass digital errichtete Gesellschaften innerhalb von fünf Werktagen nach Einreichung aller Unterlagen und Leistungen der erforderlichen Zahlungen eingetragen werden. Darüber hinaus ist vorgesehen, dass der Informationsaustausch und die Informationsmöglichkeiten zwischen den Mitgliedstaaten verbessert werden. So sollen die Behörden künftig Informationen über Personen, die von Geschäftsführungs- oder Vorstandsfunktionen ausgeschlossen worden sind, abrufen können.Richtlinienentwurf zur Mobilität von Gesellschaften im Binnenmarkt
Der Richtlinienentwurf zur Binnenmarktmobilität überträgt die bereits jetzt für die grenzüberschreitende Verschmelzung von Gesellschaften geltenden Regelungen, die im Wesentlichen beibehalten werden, auf die grenzüberschreitende Sitzverlegung und die grenzüberschreitende Spaltung. Es soll bei Sitzverlegungen und Spaltungen ein unabhängiger Sachverständiger die Fakten überprüfen. Anschließend sollen staatliche Stellen des Wegzugs- und des Zielstaats die Rechtmäßigkeit der Sitzverlegung bzw. Spaltung prüfen. Minderheitsgesellschafter sollen die Möglichkeit eines Ausscheidens gegen Zahlung einer Abfindung durch die Mehrheitsgesellschafter erhalten. Außerdem sollen die Arbeitnehmer erweiterte Informations- und Konsultationsrechte erhalten. Hinsichtlich der unternehmerischen Mitbestimmung sollen grundsätzlich die Regelungen des Zielstaats gelten, wobei in bestimmten Fällen Verhandlungen mit der Arbeitnehmerseite zur Festlegung eines Mitbestimmungsregimes geführt werden müssen. Ein solches Verfahren gibt es bereits bei der SE, der europäischen Aktiengesellschaft.Ausblick
In welcher Form die Entwürfe tatsächlich in Richtlinien und anschließend von den Mitgliedstaaten der EU in nationales Recht umgesetzt werden, bleibt abzuwarten. Der europäische Gesetzgebungsprozess steht noch am Anfang. Die Vereinheitlichung des Gesellschaftsrechts auf europäischer Ebene ging in der Vergangenheit nur schleppend voran. So waren beispielsweise die Vorschläge der Kommission zur SPE (Societas Privata Europaea, Europäische Privatgesellschaft bzw. „Europa-GmbH“) und zur SUP („Societas Unius Personae“ bzw. „europäische Einmann-GmbH“) trotz verschiedener Anläufe nicht von Erfolg gekrönt und liegen derzeit offenbar auf Eis. Die ersten Reaktionen lassen vermuten, dass auch gegen die aktuellen Richtlinienentwürfe von verschiedenen Seiten Einwände vorgebracht werden.Die Frage der grenzüberschreitenden Onlinegründung ist in vielen Ländern „Neuland“. Bislang gibt es nur in Estland ein solches Verfahren. Die Tatsache, dass eine GmbH oder AG nach dem Willen der Kommission sogar ohne persönlichen Notarkontakt gegründet werden sollte, wurde bereits im Vorfeld in Deutschland sehr kritisch gesehen. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition heißt es daher auch sehr zurückhaltend: „Bei Onlineregistrierungen von Gesellschaften setzen wir uns – auch auf europäischer Ebene – für effektive präventive Kontrollen und zuverlässige Identitätsprüfungen ein, um die Richtigkeit der Eintragungen und den Vertrauensschutz öffentlicher Register zu gewährleisten; einfache Online-Anmeldungen lehnen wir ab.“ Ob und in welcher Form eine Gründung einer Kapitalgesellschaft in Deutschland ohne persönliche Anwesenheit und gar ohne Einbeziehung eines Notars möglich sein wird, bleibt abzuwarten. Ob durch die digitale Gründung tatsächlich eine Beschleunigung des Verfahrens erreicht wird, erscheint zumindest für Deutschland zweifelhaft. Die Praxis der vergangenen Jahre zeigt, dass die Eintragungen bei den Handelsregistern im Regelfall sehr zügig erfolgen. Problematisch und zeitaufwendig ist vielmehr – insbesondere bei der Beteiligung ausländischer Gründer – die Eröffnung eines Geschäftskontos bei einer Bank. Dies beruht nicht zuletzt auf den immer schärfer werdenden europäischen Geldwäschevorschriften.
Ebenso schwierig werden die Verhandlungen zu einer grenzüberschreitenden Unternehmensumwandlung sein. Von Seiten der Gewerkschaften wird bereits vor einer Aushöhlung der unternehmerischen Mitbestimmung gewarnt, da keine Mindeststandards für die Mitbestimmung eingeführt worden seien.
Letztlich wird es daher vermutlich noch eine ganze Weile dauern, bis die geänderte EU-Richtlinie tatsächlich verabschiedet und im EU-Amtsblatt veröffentlicht wird.