Vorerst keine Vorratsdatenspeicherung in Deutschland

EuGH: Vorratsdatenspeicherung ohne Anlass rechtswidrig

Was sich bereits seit einiger Zeit abzeichnete, steht seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 20.9.2022 fest: Die 2015 von der damaligen Großen Koalition eingeführten Regeln zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung im Telekommunikationsgesetz (TKG) sind rechtswidrig. Die Anwendung des Gesetzes war bereits seit 2017 wegen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit ausgesetzt. Jetzt ist es an der Ampelkoalition, sich auf eine neue Lösung zu einigen.

Was ist Vorratsdatenspeicherung und wie kann sie genutzt werden?

Vorratsdatenspeicherung bedeutet, dass bestimmte Kommunikationsdaten von den Telekommunikationsdienstleistern für einen späteren Zugriff staatlicher Behörden gespeichert werden. Nach dem nun für rechtswidrig erklärten deutschen Gesetz sollten die Telekommunikationsdienstleister u.a. die folgenden Daten ohne besonderen Anlass für alle Nutzer:innen speichern:

  • Daten zur Telefon- und Internetnutzung sowie der SMS-Nutzung,
  • Zeitpunkte der geführten Kommunikation,
  • Standortdaten und
  • IP-Adressen, die zum Surfen im Internet genutzt werden.

Die zu sammelnden Daten hätten also ein äußerst genaues Bild vom Verhalten, von den Bewegungen und der Kommunikation jeder beliebigen Person, die in Deutschland Telekommunikationsdienste nutzt, erlaubt.

Sicherheitsbehörden wünschen sich genau das: jede Kommunikation und die Bewegung von Verdächtigen, insbesondere im Bereich der Organisierten Kriminalität, verfolgen zu können und aus dem Hintergrund die Informationen zu sammeln, die erforderlich sind, um (schwere) Straftaten zu verhindern.

Da das deutsche Modell von 2015 aber zumindest in der Theorie sogar die Auswertung der Kommunikations- und Standortdaten aller rechtschaffenen Bürger:innen ermöglicht hätte, beanstandeten Kritiker:innen von Anfang an ein unverhältnismäßiges Missbrauchsrisiko. Die Anbieter Telekom und Spacenet hatten daher gegen das Gesetz geklagt. Die Klage lief bis zum Bundesverwaltungsgericht, das die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Gesetzes dann dem EuGH vorlegte.

Wie geht es nach dem EuGH-Urteil weiter?

Klar ist zumindest eines: Das Gesetz aus dem Jahr 2015 darf nicht angewendet werden. Die EU-Richter:innen befanden, wie schon in vergleichbaren Verfahren zu ähnlichen Gesetzen anderer EU-Staaten, dass die anlasslose Vorratsdatenspeicherung eine unverhältnismäßige Verletzung der Persönlichkeitsrechte und der Privatsphäre der Betroffenen nach sich ziehe.

Ganz vom Tisch ist die Speicherung von Telekommunikationsdaten damit jedoch nicht. Das Urteil lässt nämlich Hintertüren offen für die anlassbezogene Speicherung und Auswertung solcher Daten im konkreten Verdachtsfall bzw. für die anlasslose Speicherung von IP-Adressen zur Verfolgung von Kriminalität im Internet.

Womit ist nach dem Urteil in Deutschland zu rechnen?

Die aktuellen Regierungsparteien haben sich bereits im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, das Thema Vorratsdatenspeicherung während der laufenden Legislaturperiode und im Anschluss an die bereits erwartete Entscheidung des EuGH neu zu regeln. Man wolle laut Koalitionsvertrag die „Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können“. Welchen Inhalt die neue Gesetzgebung haben wird, ist bisher jedoch unklar, die Ampelparteien scheinen noch uneins:

Innenministerin Faeser (SPD) sprach sich kurz nach der Urteilsverkündung dafür aus, die vom EuGH zugelassene Ausnahme auszuschöpfen, IP-Adressen auch anlasslos zur Bekämpfung und Verhütung schwerer Kriminalität – insbesondere mit Blick auf sexualisierte Gewalt gegen Kinder – zu speichern. Eine solche Regelung lehnen Grüne und FDP jedoch ab. Justizminister Buschmann (FDP) bevorzugt die Einführung eines sogenannten Quick-Freeze-Verfahrens. Damit können die Telekommunikationsdienstleister im Einzelfall wegen Verdachts schwerer Straftaten verpflichtet werden, Kommunikationsdaten der verdächtigen Person „einzufrieren“ und zur Strafverfolgung bereitzustellen.

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